Halbleiter sind «das Erdöl des 21. Jahrhunderts», sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Mai beim symbolischen Spatenstich einer neuen Chip-Fabrik in Dresden. Und wie beim Erdöl ist Europa abhängig von anderen Ländern. Weit mehr als die Hälfte aller produzierten Mikrochips stammt von Marktführer TSMC aus Taiwan. Bei den modernsten Varianten hat TSMC einen Weltmarktanteil von mehr als 90 Prozent. Weniger als zehn Prozent der produzierten Chips kommen aus europäischer Fertigung.
Viel zu wenig, meint die EU. Die Winzlinge stecken bekanntlich vom Kinderspielzeug bis zum Marschflugkörper in allen technischen Geräten – ohne Chips funktioniert gar nichts mehr.
Die Chipknappheit während der Coronapandemie, als Fabriken stillstanden oder auf Sparflamme produzierten, ist Politik und Industrie in die Knochen gefahren. Ein winziges Virus führte uns die fragilen Lieferketten und die Dominanz einiger weniger Länder schonungslos vor Augen.
Das Ausgangsmaterial für Halbleiter, sogenannte Wafer, stammt oft aus Japan. Über 60 Prozent der daraus hergestellten Chips werden in Taiwan gefertigt, der zweitwichtigste Fabrikationsstandort ist Südkorea. In Europa und den USA gibt es bislang keine Auftragsfertiger, die in ganz grossen Volumen Chips fabrizieren.
Umgekehrt ist Asien vom patentierten Chip-Design aus den USA abhängig sowie von Hochpräzisionsmaschinen aus Europa, die für die Chip-Produktion unabdingbar sind. Das niederländische Unternehmen ASML liefert geschätzt 80 bis 90 Prozent aller modernen Chip-Maschinen, ohne die bei Intel, Samsung oder Taiwan Semiconductor (TSMC) fast nichts geht.
Auch wenn die USA und Taiwan in zentralen Bereichen eine Vormachtstellung innehaben, es gibt kein Land, das vom Rohstoffabbau über das Chip-Design bis zur Produktion, Montage und dem Testen sämtliche Produktionsschritte allein ausführen kann. Gegenseitige technische Abhängigkeiten bleiben bis auf Weiteres bestehen.
Spätestens seit dem Ukraine-Krieg und dem Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China ist die EU aufgewacht. Europas Abhängigkeit von TSMC wäre fatal, sollte China den Inselstaat Taiwan dereinst angreifen oder Lieferketten und Handelswege blockieren.
Der Chipmangel in den vergangenen Jahren hat Europa besonders hart getroffen. Die EU reagierte auf diese Bedrohung mit dem «European Chips Act», einem milliardenschweren Förderprogramm für die Halbleiter-Industrie.
Die EU will bis zu 43 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen mobilisieren, um den europäischen Anteil an der globalen Chipproduktion bis 2030 auf 20 Prozent zu verdoppeln. Ein Ziel, das von Branchenkennern als unrealistisch eingestuft wird, da die USA, China, Japan und Südkorea ebenfalls milliardenschwere Subventionstöpfe anzapfen, um vom Rest der Welt unabhängiger zu werden. Für Europa geht es darum, den Status quo zu bewahren.
Erste Früchte trägt der «Chips Act» dennoch: Mit zig Milliarden an Subventionen wurden dieses Jahr Chip-Gigant Intel aus den USA und der weltweit grösste Halbleiterhersteller TSMC nach Ostdeutschland gelockt. Laut deutschen Medien erhält Intel bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von gegen 30 Milliarden Franken bis zu zehn Milliarden Franken vom Staat, bei TSMC sollen es bis zu fünf Milliarden sein.
Aber warum ist eine Chip-Fabrik so unfassbar teuer? Um Chips zu produzieren, braucht es die wohl aufwändigsten Fabriken – genannt Fabs –, die es überhaupt gibt. Solche Chip-Fabs sind teils teurer als ein Flugzeugträger und trotzdem bloss ein paar Jahre technologisch an der Spitze.
Für einmal profitiert Ostdeutschland von seinem DDR-Erbe:
Sachsen konnte dank technischen Universitäten, gut ausgebildeten Fachkräften aus DDR-Zeiten und einem stetigen Fluss an Subventionen bereits ab den 1990er-Jahren ein Mikrochip-Cluster aufbauen, das heute unter dem Namen Silicon Saxony firmiert.
Im Mai hat der deutsche Halbleiterhersteller Infineon mit dem Projektstart einer fünf Milliarden Franken teuren Chip-Fabrik in Dresden begonnen. Auch Bosch und das US-Unternehmen Globalfoundries unterhalten seit Jahren Chip-Werke in Dresden. Dass nun die Schwergewichte TSMC und Intel ebenfalls in Ostdeutschland Milliarden in neue Chip-Fabriken investieren und mehrere Tausend Arbeitsplätze schaffen, ist beileibe kein Zufall. Sie treffen dort auf vor- und nachgelagerte Betriebe aus der Halbleiter-Branche.
Das strukturschwache Ostdeutschland wird nebst den Niederlanden zu einem führenden Standort der europäischen Chip-Industrie. Die Bundesregierung frohlockt. Autarkie bleibt für Deutschland und Europa vorerst dennoch eine Illusion. Denn unabhängig davon, wie viele weitere Milliarden in Chip-Fabriken gebuttert werden, man wird trotzdem von importierten Rohstoffen wie Silizium abhängig bleiben.
Dass Deutschland mit Steuergeldern ausländische Chip-Hersteller anlockt, passt längst nicht allen: «Wir werfen das Geld zum Fenster raus», sagte Reint Gropp vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle der «Süddeutschen Zeitung» im Juni und stiess damit in ein Wespennest. Es würden Milliarden an Subventionen in veraltete Technologie gesteckt, da TSMC in Ostdeutschland zunächst nicht seine modernsten Chips produziere. Der Ökonom hält nichts vom «internationalen Subventionswettlauf». Warum, so Gropp, «sollte man so profitablen Unternehmen noch Geld geben»?
Intel baue zwar ein grosses Werk, aber es würden keine bedeutenden Aktivitäten für Forschung und Entwicklung (F&E) angesiedelt, kritisierte der Professor für Volkswirtschaftslehre. Statt veraltete Chip-Fabriken zu subventionieren, wäre es «besser, Zukunftstechnologien zu fördern» und das Geld für Forschung an Universitäten und in Unternehmen auszugeben.
Was die Bundesregierung nicht an die grosse Glocke hängt: Sein europäisches Zentrum für Forschung und Entwicklung baut Intel nicht in Deutschland, sondern in Frankreich. Dort sollen neue Chipgenerationen designt werden. Frankreich versüsst Chip-Herstellern die Ansiedlung ebenfalls mit Milliardensubventionen.
Von Plänen für den Ausbau einer Chip-Industrie in Europa hält auch der Geschäftsführer der deutschen Halbleiter-Vertriebsfirma Rutronik, Thomas Rudel, wenig. Von den Subventionen profitierten ausländische Konzerne. Eigene Chip-Hersteller aufzubauen, lohne sich nicht, sagte Rudel. Dafür müsste ein Unternehmen «acht bis zehn Milliarden investieren».
Die notwendigen hochspezialisierten Maschinen erhalte man aber derzeit in Deutschland ebenso wenig wie genügend Elektroingenieure. Der Fachkräftemangel sei das gravierendste Problem. Ausserdem fehlten neuen Herstellern die Patente für die Chip-Designs. «Und ohne Patente kannst du nichts verkaufen.»
Letztlich sind die nun geplanten Chip-Fabriken eine ungewisse Wette auf die Zukunft. Sie machen Deutschland und Europa zwar nicht unabhängig, aber bei einer weiteren Krise weniger verwundbar. Zudem geht es nicht nur um die Versorgungssicherheit, sondern auch um die technologische Souveränität. Die EU möchte eine moderne Halbleiter-Industrie fördern, die bei neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz vorn mitspielt.
Die teuer erkaufte Ansiedelung von TSMC und Intel wird von der Bundesregierung als geopolitische Absicherung für den Standort Deutschland verkauft. Für lokale Politiker zählen aber in erster Linie Arbeitsplätze: möglichst rasch und möglichst viele. Der mit den Chip-Fabriken erhoffte wirtschaftliche Aufschwung soll der AfD in ihrer Hochburg Sachsen den Wind aus den Segeln nehmen. Das kann nur aufgehen, wenn auch bei Zulieferern und in verwandten Branchen im grossen Stil neue Arbeitsplätze entstehen.
Ein Jobwunder über Nacht sind die Chip-Fabriken aber nicht. Das TSMC-Werk soll frühestens Ende 2027 die Produktion aufnehmen und der Fachkräftemangel könnte das Hochlaufen der Fabrik verzögern. Im Juni äusserte sich der taiwanische Chipfertiger besorgt und schlug vor: Deutsche Studenten könnten nach Taiwan entsendet werden, um sie dort in den betreffenden Fächern auszubilden.
Die Intel-Fabrik in Magdeburg kämpft noch mit anderen Sorgen: Die Chip-Fabrik dürfte viele Millionen Liter Wasser für Kühlungs- und Reinigungsprozesse verbrauchen – pro Tag. Sachsen-Anhalt leidet aber schon seit Jahren unter Dürren und die Lage wird in den kommenden Jahrzehnten nicht besser. Intel muss daher den Verbrauch mithilfe einer Aufbereitungsanlage drastisch senken.
Was Wassermangel für Chip-Hersteller bedeutet, bekam Rivale TSMC bereits zu spüren. Nach einer der immer häufigeren Dürreperioden in Taiwan fiel die auf Wasserkraft angewiesene Stromversorgung 2021 zweimal aus. TSMC musste seinen Wasserverbrauch auf Anordnung der Regierung drosseln. Das Problem: TSMC verbraucht pro Tag 212 Millionen Liter Wasser, «was dem täglichen Verbrauch von rund 1,5 Millionen Europäerinnen und Europäern entspricht», rechnete das Center for Security Studies der ETH vor.
Der wichtigste Chip-Fertiger hat also nicht nur mit chinesischen Hackern und Chinas Hegemonialanspruch zu kämpfen, sondern auch mit den realen Folgen des Klimawandels.