Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking staunt die ganze Welt. Der Jamaikaner Usain Bolt läuft trotz offenem Schuhbändel und einer fast demonstrativen Lässigkeit über 100 Meter einen neuen Weltrekord. Schon nach 80 Metern bricht er seinen Lauf ab und joggt über die Ziellinie. Trotzdem: 9,69 Sekunden. Unglaublich.
Damit ist Bolt nochmals drei Hundertstel schneller als bei seiner bisherigen Bestmarke, die er erst im Mai in New York aufgestellt hat. Aber nicht nur Bolt, sondern alle wissen: Es geht noch schneller.
Doch wie viel schneller kann ein Mensch noch sein? Diese Frage beschäftigt die ganze Sportwelt. Bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin liefert der «Lightning Bolt» die Antwort gleich selbst.
Schon im Vorfeld der WM ist der Hype um den 100-Meter-Wettkampf der Männer riesig. Das Rennen wird zum grossen Duell zwischen Weltrekordler Bolt und Tyson Gay hochstilisiert. Der Amerikaner hat im Juli in Rom mit 9,77 Sekunden auch eine Kampfansage an den Jamaikaner geschickt. Wird er Bolt tatsächlich schlagen können?
Die klare Antwort lautet «Nein». Der 100-Meter-Final von Berlin wird nur zum Duell Bolt gegen die Uhr. Schon in den Vorläufen deutet der 1,96 Meter grosse Modellathlet an, dass er zur genau richtigen Zeit in Topform ist. Spielend setzt er sich in 10,20 und 10,03 Sekunden in den Vorläufen sowie 9,89 im Halbfinal gegen die Konkurrenz durch.
Dann am Sonntagabend der mit Spannung erwartete Höhepunkt: Wie schon vor Jahresfrist in Peking gibt sich Bolt vor dem 100-Meter-Final betont lässig, auf seine Mätzchen mit der Kamera kann er einfach nicht verzichten. Trotzdem ist der damals knapp 23-jährige Supersprinter bis in die Fingerspitzen motiviert. Auch die äusseren Bedingungen stimmen: 20 Grad und leichter Rückenwind (0,9 m/s).
Das Rennen wird dann auch zur One-Man-Show. Nach gewohnt mässigem Start – er hat nur die sechstschnellste Reaktionszeit – setzt sich Bolt nach gut 20 Metern an die Spitze und lässt die Konkurrenz unaufhaltbar hinter sich. Im Gegensatz zum Final von Peking zieht er diesmal voll durch, sein Höchsttempo beträgt unglaubliche 44,72 km/h.
Beim Zieleinlauf nach exakt 41 Schritten schaut Bolt frech nach links auf die Uhr und sieht schier Unglaubliches: 9,58 Sekunden. Ein Fabelweltrekord! Gleich um 11 Hundertstel ist er schneller als 2008 in Peking.
Bolt jubelt, Bolt tänzelt, zeigt seine berühmte Bogenschützenpose, bevor er sich mit einer Jamaika-Flagge auf die Ehrenrunde macht. «Heute hat alles geklappt», gibt er nach seinem Triumph zu Protokoll. «Mein Trainer wird in meinem Lauf nichts finden, mit dem er unzufrieden ist.» Und das, obwohl er sich vor dem Rennen noch eine Portion Chicken Nuggets gegönnt hat.
Bolt pulverisiert wenige Tage später auch über 200 Meter (19,19 Sekunden) den Weltrekord und wird mit der 4x100-Meter-Staffel Weltmeister. Und wieder stellt sich nach den zweiten Bolt-Festspielen die Frage, wie viel schneller ein Mensch noch laufen kann. «Ich kann 9,40 laufen», ist sich der Weltrekordhalter damals sicher. «Ich denke, da wird es aufhören. Aber man weiss nie, alles ist möglich. Wir werden einfach weiter um die Wette laufen.»
Doch seinen Fabelweltrekord von Berlin kann Bolt nicht mehr verbessern. Mit einem Rückenwind von 1,5 m/s läuft er bei den Olympischen Spielen 2012 in London mit 9,63 Sekunden nochmals nahe an seine Bestmarke. 2013 in Moskau wird er in 9,77 Sekunden zum zweiten Mal Weltmeister, nachdem er bei der WM 2011 in Daegu wegen eines Fehlstarts disqualifiziert wurde.
Auch 2015 in Peking wird er über 100 Meter, 200 Meter und mit der Staffel Weltmeister. 2017 in London – seinem letzten Grossanlass – reicht es über 100 Meter nur zu Bronze. Das grosse Drama folgt dann in der Staffel. Im letzten Rennen seiner Karriere verletzt sich Bolt und geht zu Boden. Nur mit der Hilfe seiner Teamkollegen schafft er es noch über die Ziellinie.