Eine Darstellung zeigt ein weinendes Kind, darunter die Worte: «Ein Leben ohne Papa? Egoismus vor Kindeswohl?» Auf einer anderen ist ein Becher mit Sperma zu sehen, darunter die Worte: «Lesben und Samenspende: Kindeswohl am Ende!»
Es sind zwei von mehreren Sujets, die Facebook als Hassrede taxiert. Der Social-Media-Gigant ermahnte die Gegner der «Ehe für alle» zunächst, entsprechende Inhalte von ihrer Facebook-Seite zu entfernen. Dann löschte Facebook die Sujets, sperrte die ganze Facebook-Gruppe zunächst für einen Tag und schliesslich mehrmals für mehrere Tage. Zwischen dem 28. Juli und 9. August lief gar nichts auf der Facebook-Seite.
Seither sind die umstrittenen Sujets wieder zu finden. Am vergangenen Wochenende folgte aber der nächste Akt der «Zensur», wie Anian Liebrand, Koordinator des Nein-Komitees, sagt. Facebook löschte das Sujet mit der Überschrift «Männer sind die besseren Väter. Nein zur Samenspende für lesbische Paare.»
Unterdessen ist zwar fast sämtliches Kampagnenmaterial wieder auf der Facebook-Seite aufgeschaltet. Doch für das Nein-Komitee – die Wortführer sind Politiker aus SVP und EDU – ist die Angelegenheit damit nicht vom Tisch. «Wir prüfen rechtliche Schritte», sagt Liebrand.
Der Techgigant nutze seine Marktmacht gnadenlos aus, um politisch nicht genehme Meinungsäusserungen aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen. Dabei sei Facebook eine der wichtigsten Plattformen für die Meinungsbildung.
Genau in diesem Punkt sieht es aktuell schlecht aus für die Gegner. Laut einer aktuellen Tamedia-Umfrage stösst die Vorlage, über die am 26. September abgestimmt wird, bei 64 Prozent auf Zustimmung. Die Ehe für alle ermöglicht unter anderem gleichgeschlechtlichen Paaren die Adoption und lesbischen Paaren die Samenspende.
Man mag die Sujets der Gegner polemisch finden oder sie als gelungene Provokation einstufen. Die Geschmäcker sind verschieden. Doch handelt es sich tatsächlich um Hassrede? «Unter die auf die sexuelle Orientierung ausgedehnte ehemalige Antirassismusstrafnorm dürften sie kaum fallen», sagt Martin Steiger, Anwalt für Recht im digitalen Raum.
Das hilft dem Nein-Komitee nicht weiter. Facebook definiert in den sogenannten Gemeinschaftsregeln selber, was Hassrede ist. Dazu gehören direkte Angriffe auf Personen aufgrund der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, aber auch der sexuellen Orientierung. Als Angriffe gelten gewalttätige oder menschenverachtende Sprache, Ausdrücke der Verachtung, Abscheu oder Ablehnung. Facebook will mit diesen Regeln Hassrede unterbinden.
Das Problem: Wer moniert, Facebook habe Inhalte zu Unrecht gelöscht, kann nur schwer dagegen vorgehen. Man kann sich zwar via Mausklick über die Sperrung beschweren. Doch was damit passiert, bleibt weitgehend Facebook überlassen. Das Nein-Komitee weiss bis heute nicht, weshalb genau der Social-Media-Gigant die Sujets als Hassrede qualifizierte und wer sie wieder freigab.
Die Verantwortlichen sind kaum erreichbar. Hat ein Algorithmus den Inhalt aufgrund eines bestimmten Stichworts gecancelt? War es ein Mitarbeiter am Facebook-Hauptsitz in den USA? Oder jemand in Europa? Bekannt ist: Bei Facebook arbeiten eigentliche Löschteams, welche die Plattform von Inhalten säubern, die ihrer Ansicht nach gegen die Richtlinien des Mediums verstossen.
Rechtlich gegen die Löscharbeiten von Facebook vorzugehen, ist schwierig. «Juristische Personen können in der Schweiz nicht gegen Facebook auf Vertragsverletzung klagen, da in diesem Fall ein Gerichtsstand fehlt», sagt Steiger. Betroffene juristische Personen in der Schweiz müssten in Irland und gemäss irischem Recht gegen die Facebook-Europazentrale in Irland klagen.
Steiger ortet im Vorgehen von Facebook eine gewisse Willkür und spricht von einem kafkaesken Vorgang: Was genau vorgeworfen wird, bleibe unklar. Steiger ergänzt: «Ich zweifle, ob Facebook mit der gebotenen Sorgfalt abklären kann, ob eine politische Äusserung wirklich Hassrede ist oder nicht.»
Der Medienanwalt berät das Nein-Komitee juristisch. Er sieht eine Möglichkeit, wie sich der Verein doch noch in der Schweiz mit Facebook anlegen könnte: Indem es eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung geltend macht. Die Argumentation: Facebook stellt das Nein-Komitee als einen Verein dar, der die Antidiskriminierungsstrafnorm verletzt und sich strafbar macht.
Auch Kampagnenspezialist Mark Balsiger, Autor mehrerer Bücher über politische Kommunikation, betrachtet das Vorgehen von Facebook im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen als heikel. Zugleich findet er, dass man die Rolle von Facebook nicht überbewerten sollte. Das Nein-Komitee verfüge über zahlreiche alternative Kanäle, um ihre Sujets unter die Leute zu bringen.
Die Problematik, dass soziale Netzwerke wie Facebook in der Schweiz kaum belangt werden können, steht auf der politischen Agenda. Das Parlament hat Vorstösse angenommen, in denen Politiker ein Zustellungsdomizil in der Schweiz für soziale Netzwerke verlangten. Damit würde es für Nutzer einfacher, gegen Internetplattformen wie Facebook vorzugehen.
In Deutschland haben Kritiker, die Facebook ungebührliche Eingriffe in die Meinungsäusserungsfreiheit vorwerfen, vor wenigen Tagen einen Sieg errungen. Der Bundesgerichtshof erklärte die Gemeinschaftsstandards in Deutschland teilweise für unwirksam. Facebook muss künftig Nutzer vor einer beabsichtigten Sperrung eines Kontos im Voraus ins Bild setzen, eine Begründung dafür liefern und die Möglichkeit zu einer Replik gewähren. (aargauerzeitung.ch)