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Corona: Die Forderung der Schweizer Taskforce im Wortlaut

Martin Ackermann, Praesident National COVID-19 Science Task Force, links, verfolgt die Rede von Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewaeltigung und internationale Zusammenarbeit, waehrend einer Medi ...
Deutliche Worte: Martin Ackermann am 15. Dezember in Bern.Bild: keystone

«Es ist Zeit zu handeln – jeder Tag zählt»: Der Appell der Taskforce im Wortlaut

Martin Ackermann, Leiter der «COVID-19 Science Task Force», hat sich heute Dienstag mit eindringlichen Worten an die Öffentlichkeit gewandt. Wir publizieren seinen Aufruf in ganzer Länge.
15.12.2020, 14:4115.12.2020, 15:22
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Aufruf im Video:

Video: watson

Sehr geehrte Damen und Herren, Mesdames et Messieurs

Die unabhängige wissenschaftliche Task Force traf sich am Sonntagabend, 13. Dezember, zu einer ausserordentlichen Videokonferenz. Die anwesenden Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus den unterschiedlichsten Fachbereichen kamen auf Grund der aktuellen Situation übereinstimmend zum folgenden Schluss: Die am 11. Dezember beschlossenen Massnahmen reichen nicht aus. Um die Neuansteckungen drastisch zu senken, braucht es umfassende, schweizweite Massnahmen und diese sollten möglichst schnell eingeführt werden.

Aus wissenschaftlicher Sicht müssen diese Massnahmen sehr wirksam sein, analog zum Anfang November in Genf eingeführten Lockdown sowie dem schweizweiten Lockdown im März und April mit Schliessungen von Restaurants und nicht-essentiellen Geschäften und strikter Durchsetzung von Homeoffice, wo immer dies möglich ist. In unserer beratenden Funktion haben wir auch den Bundesrat über unsere Schlussfolgerungen informiert.

Lassen Sie mich erklären, wie wir zu diesem Schluss gekommen sind.

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Erstens: Die Lage in den Schweizer Spitälern ist bereits heute sehr ernst. Weil sehr viele Patientinnen und Patienten hospitalisiert sind oder auf Intensivstationen betreuten werden müssen, können immer mehr dringliche und wichtige Eingriffe nicht mehr oder nur verzögert durchgeführt werden. Es leiden also zunehmend auch Menschen, welche selber nicht an COVID-19 erkrankt sind. Zudem stecken sich Menschen in unseren Gesundheitsinstitutionen vermehrt mit SARS-CoV-2 an.

Es sterben jeden Tag in der Schweiz zu viele Menschen am Virus. Und die Menschen, die mit aller Kraft versuchen das zu verhindern, unsere Gesundheitsfachpersonen in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen, arbeiten seit Monaten an der Belastungsgrenze.

Um es deutlich zu sagen: Wir sehen momentan keine Anzeichen, dass sich die Situation in den Spitäler bald oder in einem entscheidenden Ausmass verbessert. Deshalb ist es Zeit zu handeln – jeder Tag zählt.

Zweitens: Wenn wir uns den Verlauf der Daten ansehen, wird schnell klar, dass wir weder Zeit noch Spielraum haben, um Massnahmen einzuführen, von denen wir nicht wissen, ob sie ausreichen. Hier können wir aus den Erfahrungen der Romandie und anderer Ländern lernen. Es geht darum, schnell einheitliche und wirksame Regeln zu haben, damit diese besser nachvollziehbar sind, breiter akzeptiert und umgesetzt werden und dadurch auch wieder mehr Planungssicherheit entsteht.

Der Faktor Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Ich wiederhole nochmals, was ich bereits letzte Woche gesagt habe: Die kommenden Festtage, die höhere Mobilität und das kalte Wetter bergen ein grosses, zusätzliches Risiko, dass sich die epidemiologische Lage weiter verschlechtert – was schwerwiegende Folgen hätte.

Drittens: Das Virus kennt keine Kantonsgrenzen. Die ganze Schweiz ist von der Pandemie betroffen. Uns ist klar, dass viele Menschen in einzelnen Kantonen schon in den letzten Wochen grosse Einschränkungen auf sich genommen haben und enttäuscht sind, wenn die Task Force nun zum Schluss kommt, dass die jetzt beschlossenen Massnahmen nicht ausreichen. Es ist aber der Moment, in dem wir alle zusammenhalten müssen.

Auch in den Westschweizer Kantonen liegt die Reproduktionszahl, der R-Wert, wieder nahe bei 1. Nur wenn wir den R-Wert in der ganzen Schweiz unter 0.8 bringen und unten halten, können wir die Fallzahlen rasch und nachhaltig reduzieren.

Wir können uns weder eine Stagnation leisten geschweige denn einen erneuten Anstieg der Fallzahlen.

Und, meine Damen und Herren, der R-Wert zeigt momentan nur in eine besorgniserregende Richtung – nämlich nach oben. Dieser Entwicklung müssen wir Einhalt gebieten und zwar sofort, gemeinsam – solidarisch.

Die Task Force hat zudem darauf hingewiesen, dass strengere Massnahmen über die kommenden Feiertage das Recht auf Bildung bestmöglich gewährleisten, weil die Schulen sowieso geschlossen sind. Der Präsenzunterricht kann nach den Ferien wieder aufgenommen werden, sobald es die epidemiologischen Lage erlaubt. Hier gilt es zu verhindern, dass Ansteckungen von den Festtagen direkt in die Schulen gebracht und dort weiterverbreitet werden.

Auf einen weiteren wichtigen Punkt möchte ich hinweisen: Die strengen Massnahmen sind umso wirkungsvoller, je umfassender und schneller all jene unterstützt werden, welche unverschuldet, direkt und indirekt betroffenen sind – also Arbeitgeberinnen, Arbeitnehmer und Kapitaleigner.

Sowohl die strengeren Massnahmen, wie auch die Kompensationen, sind eine Investition – eine Investition in die Zukunft, um noch drastischere Massnahmen und noch grössere Schäden zu verhindern. Die Expertinnen und Experten unserer Ökonomiegruppe halten fest, dass es auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist, sofort wirksame Massnahmen zu ergreifen, um die Fallzahlen rasch und nachhaltig zu senken.

Meine Damen und Herren, ich weiss, es ist für uns alle nicht einfach, uns mit der Möglichkeit eines erneuten Lockdowns auseinandersetzen zu müssen.

Aber ich bitte Sie, sich vor Augen zu halten, warum die Taskforce zu diesem Schluss kommt: Es geht schlicht darum, möglichst viele Kranke und Tote in diesem Land zu verhindern. Es geht darum, alle jene zu unterstützen, die sich in unseren Gesundheitsinstitutionen um erkrankte Menschen kümmern. Es geht darum, nicht einen zu hohen Preis zu zahlen, bevor im nächsten Jahr die Impfung kommt. Meine Damen und Herren, es geht darum, in absehbarer Zeit wieder mehr Freiheit zu bekommen und unser Leben nicht mehr von dieser Pandemie bestimmen zu lassen.

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Oly photographer
15.12.2020 15:03registriert Mai 2020
Ich bin auch für strengere Massnahmen, aber solange noch Ski gefahren wird, bin ich gegen die Schliessung sogenannter nicht essenzieller Geschäfte. Im Blumenladen, im Baumarkt wo wir uns in aller Regel für kurze Zeit aufhalten, ist die Gefahr für eine Ansteckung auch nicht grösser. Heute in der Migros war eine junge Ordnungskraft die tatsächlich alle die die Maske nicht richtig trugen darauf hingewiesen hat. Bravo!
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demian
15.12.2020 15:07registriert November 2016
Den Appell hätte ich mir von unserer Regierung gewünscht.
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Majoras Maske
15.12.2020 15:34registriert Dezember 2016
Mein Arbeitgeber hat heute verkündet, dass Home Office weiterhin nicht vorgesehen ist. Obwohl das im Frühling gut und problemlos geklappt hat. Einmal habe ich sogar bis 23:00 Uhr gearbeitet, was ich als ÖV-Nutzer im Büro nie gemacht hätte. Aber sie sagen, wir würden zu Hause zu wenig arbeiten.
Ich glaube einfach zu viele Entscheidungsträger in diesem Land glauben, dass die Pandemie sie nichts angeht. Daher kann man die Bekämpfung der Pandemie praktisch wegdelegieren. Ohne Zwang wird es nicht gehen. Leider.
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