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Die Nerven liegen blank: EU-Sondergipfel erneut unterbrochen

Die Nerven liegen blank: EU-Sondergipfel erneut unterbrochen

20.07.2020, 06:2220.07.2020, 12:53
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Der EU-Sondergipfel zum Corona-Hilfspaket geht abermals in die Verlängerung. Die Gespräche wurden am frühen Montagmorgen unterbrochen und sollen am Nachmittag um 14.00 Uhr aufgenommen werden. Dies teilte der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter mit. Damit läuft das Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs bereits zwei Tage länger als geplant.

Am frühen Montagmorgen, knapp drei Tage nach Beginn der Verhandlungen in Brüssel am Freitag, scheinen die Fronten beim EU-Sondergipfel in Brüssel im Streit um Coronavirus-Hilfen und langfristigen EU-Haushalt noch immer verhärtet. Es wird weiter gerungen.

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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am EU-Sondergipfel.Bild: keystone

Aber deutlich ist auch: Das geplante Konjunktur- und Investitionsprogramm dürfte deutlich schmaler ausfallen, als von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gewünscht. Wenn es denn überhaupt zustande kommt.

Kleinere Brötchen

Statt von Zuschüssen in Höhe von 500 Milliarden Euro ist am Morgen des vierten Gipfeltages nur noch von 350 Milliarden bis 400 Milliarden Euro die Rede. Die Regierungschefs von Österreich, den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Finnland – die selbsternannten «Sparsamen Vier» – sind kaum zu Kompromissen bereit. Sie sind die Nettozahler, die an Länder wie Italien und Spanien am liebsten gar keine Zuschüsse, sondern nur rückzahlbare Kredite vergeben würden.

Austria's Chancellor Sebastian Kurz arrives for an EU summit at the European Council building in Brussels, Sunday, July 19, 2020. Leaders from 27 European Union nations meet face-to-face for a th ...
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz.Bild: keystone

Dass der Gipfel einer der schwersten in der Geschichte der EU werden würde, zeigt sich spätestens am Sonntagabend. Die Stimmung wird Stunde für Stunde angespannter. In einigen Delegationen liegen die Nerven blank. Schuldzuweisungen werden teils sogar mit persönlichen Angriffen auf einzelne Staats- und Regierungschefs verbunden.

So wird dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz vorgeworfen, nicht zuzuhören und sich lieber um Medienarbeit zu kümmern. Zudem instrumentalisiere er zusammen mit dem Niederländer Mark Rutte das Thema Rechtsstaatlichkeit, um die Verhandlungen zu blockieren.

Nerven liegen blank

Kurz gibt sich jedoch unbeirrt. Schon am Vormittag hatte er auf Anschuldigungen gegen Rutte reagiert: Er respektiere, dass nach «ein paar Tagen die Nerven blank liegen oder manche da vielleicht irgendwie Dinge sagen oder Aktionen setzen, die sie in ausgeschlafenem Zustand so nicht machen würden».

In der Nacht gegen 1.30 Uhr twittert Kurz ein Foto, auf dem er gut gelaunt wirkt und mit seinen Kollegen aus Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Finnland zusammensitzt. Man koordiniere die Positionen für die Verhandlungen über die noch ausstehenden Fragen, schreibt Kurz.

EU-Ratspräsident Charles Michel hatte kurz zuvor noch einmal Kompromissbereitschaft aller gefordert. Sein Appell las sich allerdings vor allem verzweifelt und gekränkt. Als Grund für eine notwendige Einigung nennt er unter anderem das erwartbar negative Medien-Echo im Fall des Scheiterns. «Mein Wunsch ist es, dass wir eine Einigung erzielen, und dass die FT (»Financial Times«) und andere Zeitungen morgen titeln, dass die EU erfolgreich eine ‹Mission Impossible› gemeistert hat», sagte er laut Redetext.

Vom längsten Gipfel in der Geschichte der EU ist man am Montagmorgen noch rund 24 Stunden entfernt. Damals, im Jahr 2000 im französischen Nizza, hatten die Staats- und Regierungschef einen neuen EU-Vertrag ausgehandelt, der ein weiteres Zusammenwachsen Europas ermöglichte. So wurden die Weichen für die Aufnahme der damals noch nicht zur EU gehörenden Länder Mittel- und Osteuropas sowie von Malta und Zypern gestellt. Erst am frühen Morgen des fünften Tages waren die Verhandlungen damals zu Ende gegangen – mit einem Happy End. (sda/dpa)

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
20.07.2020 07:40registriert August 2018
Die Staaten, die ihre Haushalte im Griff haben, wollen nur Kredite vergeben.

Die anderen wollen den Geldsegen ohne jede Bedingung erhalten und auch nicht zurückzahlen müssen.

EU-Ratspräsident Charles Michel will jetzt von allen Kompromissbereitschaft einfordern.

Ein Ding der Unmöglichkeit.
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einkritischer
20.07.2020 09:27registriert Juni 2018
Die heutige Welt hat wohl vergessen, dass man in guten Zeiten Geld zur seite legt, um in solchen Zeiten etwas auf der hohen Kante zu haben. Heute denken alle, dass es in Ordnung ist, möglich viel zu verdienen, in Saus und Braus zu leben, wohlgemerkt, die Kasse ist stets leer. Dann wenn etwas unerwartetes geschieht, ist man auch nicht mehr bereit für das Unvorhergesehe. Das grosse Jammern geht los, und nun soll der Staat entsprechend einspringen und den gewohnten Komfort weiter berappen. Geht's noch ?! Kommt mal alle wieder runter auf den Boden!
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Kaspar Floigen
20.07.2020 08:19registriert Mai 2015
Irre ich mich, oder können die "sparsamen vier" nicht bis auf fünf zählen?
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