Wenn eine Frau nein sagt, meint sie vielleicht, und wenn sie vielleicht sagt, meint sie ja. Die Mentalität, die in diesem so alten wie sexistischen Spruch zutage tritt, ist heute überwunden. Das könnte man meinen, doch die Realität sieht anders aus.
Die Realität ist erschreckend, wenn man dem Report der Europäischen Kommission Glauben schenken mag, der zum «Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen» veröffentlicht wurde. Über 27'000 Personen wurden in allen 28 EU-Ländern zu verschiedenen Aspekten geschlechtsspezifischer Gewalt befragt, unter anderem auch darüber, ob und in welchen Fällen Sex ohne Einverständnis gerechtfertigt sei.
Nicht weniger als 27 Prozent – das ist mehr als jeder Vierte – findet es in bestimmten Fällen in Ordnung, mit jemandem Sex zu haben, der sein Einverständnis dazu nicht gegeben hat. Und unglaubliche 7 Prozent sind der Meinung, nicht einvernehmlicher Sex sei dann gerechtfertigt, wenn jemand nachts allein draussen unterwegs ist. So etwas kann nur als Vergewaltigung verstanden werden.
12 Prozent sagten ja zur Frage, ob Sex ohne Einverständnis bei jemandem gerechtfertigt sei, der betrunken ist oder unter Drogen steht. Wenn jemand freiwillig mit nach Hause kommt, zum Beispiel nach einer Party, ist das für 11 Prozent ein ausreichender Grund für nicht einvernehmlichen Sex. Und 10 Prozent kamen zu diesem Schluss, wenn es um jemanden geht, der aufreizende Kleider trägt.
Diese EU-weiten Durchschnittswerte sind schon erschreckend genug. Betrachtet man die Resultate in einzelnen Ländern, ergeben sich gewaltige Unterschiede: Während nur 6 Prozent der befragten Schweden Sex ohne Einverständnis in bestimmten Fällen für legitim hält, sind es in Rumänien, dem Schlusslicht, unfassbare 55 Prozent.
In Europa scheint es in dieser Angelegenheit offenbar ein Ost-West-Gefälle zu geben. In Spanien, Slowenien, Irland, den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden ist Sex ohne Einverständnis deutlich verpönter als in den meisten osteuropäischen Ländern – und Belgien. In der Schweiz wurde niemand befragt.
Die EU will laut Justizkommissarin Vera Jourová im kommenden Jahr zehn Millionen Euro ausgeben, um häusliche und sexuelle Gewalt zu bekämpfen und die Opfer zu unterstützen. Zudem will Jourová die Gewalt gegen Frauen durch ein Paket von Massnahmen zurückdrängen, unter anderem durch den Hashtag #SayNoStopVAW und die Publikation einer Studie über geschlechtsspezifische Gewalt im Sport.
We start today a Year of focused actions aimed at raising awareness & fighting #ViolenceAgainstWomen #SayNoStopVAW pic.twitter.com/QZ2i2pfW0f
— Věra Jourová (@VeraJourova) 24. November 2016
(dhr)