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Brexit: Hunderttausende Briten protestieren

Hunderttausende Briten demonstrieren für zweites Brexit-Referendum

Es war einer der grössten Protestzüge in London seit vielen Jahren.
20.10.2018, 17:2120.10.2018, 17:23
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Mehr als eine halbe Million Menschen haben am Samstag in der britischen Hauptstadt gegen den Brexit demonstriert. Sie forderten eine zweite Abstimmung zum EU-Austritt.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan, ein Labour-Politiker, sprach von einem «historischen Moment» der Demokratie. Aufgerufen zu dem Marsch hatte die Kampagne «People's Vote», die ein zweites Referendum zum EU-Austritt durchsetzen will. Nach ihrem Willen sollen die Briten das Recht bekommen, über ein finales Abkommen abzustimmen.

Der Protestzug führte durch das Zentrum Londons bis zum Parlament. Die Veranstalter hatten rund 100'000 Teilnehmer erwartet, die Zahl wurde aber weit übertroffen. Offizielle Behördenzahlen gab es zunächst nicht. Es könnte sich Medienberichten zufolge um die grösste Demonstration seit 15 Jahren in der Hauptstadt handeln.

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Bild: EPA/EPA

Aus Wales, Südengland und selbst von den über 1000 Kilometer entfernten Orkney-Inseln vor der Nordküste Schottlands kamen Menschen nach London, um ihren Ärger Luft zu machen. Familien mit Kindern beteiligten sich ebenso wie EU-freundliche Abgeordnete der regierenden Konservativen.

Die politisch angeschlagene Premierministerin Theresa May hatte allerdings schon zuvor klar gemacht: Ein zweites Referendum soll es nach ihrem Willen nicht geben.

«Alles Banane! Total verrückt!»

«Das ist doch alles Banane! Total verrückt!», schimpfte Jacki Hughes aus Lancaster im Nordwesten Englands über den geplanten Brexit im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Und ihr Freund Anthony Brown ergänzte: «Wir wollen in der EU bleiben. Ich möchte kein Visum beantragen müssen, wenn ich zum Beispiel Deutschland besuche.»

Ein anderer Brite hielt ein Schild in die Luft mit der Aufschrift: «Papa war hier». Warum? «Ich kämpfe hier auch für mein Kind und meine Frau, die Italienerin ist.» Der Brexit sei ausserdem wirtschaftlicher Unsinn, sagte er.

Beim Referendum 2016 sei der EU-Austritt als «einfachster Deal in der Geschichte» verkauft worden, so «People's Vote», ein Zusammenschluss mehrerer Gruppierungen. Inzwischen wisse man aber, welche Kosten der Brexit verursache und welchen Schaden er den Arbeitnehmerrechten zufüge. Kritik wurde auch an der Abwanderung von ausländischen Ärzten und Pflegepersonal sowie am schwächelnden Pfund geübt.

Ein 69-jähriger Demonstrant aus dem Südwesten sagte: «Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich politisch engagiere.» Auch Prominente aus dem Kulturbereich wie Schauspieler Andy Serkis («Der Herr der Ringe») tauchten in der Menge auf.

epa07107213 Tens of thousands of demonstrators gather in Parliament Square during the People's Vote March for the Future in London, Britain, 20 October 2018. Reports state that the 'March fo ...
Bild: EPA/EPA

An dem Protestzug bei schönstem Wetter nahmen auch zahlreiche Studenten teil, von denen sich viele wegen ihres Alters noch nicht an dem Brexit-Referendum 2016 beteiligen durften. Damals hatte eine knappe Mehrheit (52 Prozent) der Briten für den Austritt gestimmt. Grossbritannien will Ende März 2019 die EU verlassen.

Verhandlungen in der Sackgasse

Die Verhandlungen mit Brüssel stecken in einer Sackgasse. May steht deshalb unter einem enormen Druck, auch in ihrer eigenen Partei weht ihr ein scharfer Wind entgegen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich London ohne Abkommen von der EU trennt. Dies würde Folgen für alle Lebensbereiche haben und voraussichtlich zu wirtschaftlichen Einbussen führen. Viele Unternehmen treffen bereits Vorkehrungen.

Die Brexit-Verhandlungen stocken vor allem wegen der Irland-Frage. London und Brüssel wollen zwar Kontrollen und Schlagbäume an der derzeit nahezu unsichtbaren Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermeiden, damit in der fragilen Ex-Bürgerkriegsregion nicht wieder Unruhen aufflammen. Sie konnten sich aber bislang nicht auf eine praktikable Lösung einigen.

Um Zeit für eine dauerhafte Regelung zu gewinnen, brachte die EU nun die Verlängerung der geplanten Übergangsphase nach dem EU-Austritt ins Gespräch. Statt bis Ende 2020 könnte sie ein Jahr länger dauern.

Braucht es eine zweite Brexit-Abstimmung?

(dsc/sda/dpa)

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