International
Interview

«Apple Intern»: Ex-Mitarbeiterin erhebt schwere Vorwürfe

callcenter
Die ehemalige Mitarbeiterin bezeichnete ihren Arbeitsplatz als «chicken factory». (Symbolbild)Bild: shutterstock
Interview

Ehemalige Apple-Mitarbeiterin: «Toilettenzeiten waren auf acht Minuten beschränkt»

Eine Wienerin arbeitete drei Jahre lang bei Apples Callcenter in Irland. Jetzt erhebt sie schwere Vorwürfe gegen den Konzern.
22.03.2017, 07:3222.03.2017, 08:38
Laura Gianesi / Nordwestschweiz
Mehr «International»

Daniela Kickl, Sie arbeiteten im Callcenter von Apples Europazentrale. In Ihrem Buch «Apple Intern» prangern Sie die Arbeitsbedingungen an. Etwa die Toilettenzeiten ...
Daniela Kickl: Genau, die waren auf acht Minuten pro Tag beschränkt. Zudem wurde jede unserer Verfehlungen von den Vorgesetzten genau aufgezeichnet – egal, ob wir ein paar Minuten zu spät kamen oder die Klozeit überzogen.

Sie nannten Ihren Arbeitsplatz «chicken factory».
Wir arbeiteten wie in einer «Hühnerfabrik», da wir wie Federvieh Ellbogen an Ellbogen aneinandergedrängt sassen. Die Beine ausstrecken konnten wir auch nicht. Bei Besuch von Kaderleuten mussten wir alle persönlichen Gegenstände wegräumen, nicht einmal eine Tasse durfte noch auf unserem Pult stehen. Mitspracherecht gab es nicht.

Jetzt auf

Warum sind Sie trotzdem drei Jahre geblieben?
Ich habe immer wieder versucht, innerhalb des Unternehmens Verbesserungsvorschläge anzubringen, das Gespräch mit den Verantwortlichen zu suchen, auf die Missstände aufmerksam zu machen. Man hat mir versichert, dass Apple sich um seine Angestellten kümmert und Innovation schätzt. Geändert hat sich aber nichts. Deshalb wende ich mich von interner Kritik ab und gehe an die Öffentlichkeit.

Sie schreiben, dass sich bei Apple Angestellte «massenweise umbringen». Bei 5000 Mitarbeitern in der Europazentrale begingen gemäss Ihnen drei in einem Jahr Suizid.
Natürlich spielen bei einem Selbstmord verschiedene Faktoren eine Rolle. Ich will nicht sagen, dass Apple alleine dafür Verantwortung trägt. Aber wenn jemand angeschlagen ist und keine Unterstützung erhält, erhöht sich die Gefahr psychischer Probleme.

Wie Apple psychische Probleme behandelt, kritisieren Sie ebenso.
Ja, mir geht es dabei auch um den zynischen Umgang des Unternehmens mit seinem Selbstmord-Problem: Als sich einer meiner Mitarbeiter zu Hause umbrachte, überbrachte uns ein Vorgesetzter die Nachricht, dass er tot sei, ohne den Suizid zu erwähnen. Ganz emotionslos, und am Ende sagte er mit kaltem Lächeln, man könne sich bei psychischen Problemen an Apples Hotline wenden. Dann war er wieder weg. Echte Hilfe wurde nicht angeboten. Apple will Suizidfälle seiner Mitarbeiter totschweigen. Bei Absenzen oder Kündigungen entstanden natürlich Gerüchte, und wir mussten mit dieser Unsicherheit leben.

Sind Callcenter nicht generell Problemherde? Warum sollen sie ein spezifisches Apple-Phänomen sein?
Es ist mir bewusst, dass das Arbeitsklima nicht nur bei Apple so ist. Es wird durchaus auch andere Unternehmen und Branchen geben, die ihre Angestellten gleich behandeln. Ich will mit meinem Buch diese Ausprägung unseres Wirtschaftssystems kritisieren, das nur auf Leistung und Zahlen aus ist und den Menschen entmenschlicht. Wir sind doch keine Maschinen.

Wenn Sie Aufklärungsarbeit leisten wollen, warum haben Sie dann nicht etwa ein Komitee gegründet, statt einen 280-seitigen Text zu schreiben? Sie schildern auch viel Privates, wie etwa Ihr Liebesleben und Ihr Blasenproblem bei Stress.
Ich wollte den Prozess der Entmenschlichung aufzeigen, das Klima der Angstmacherei. Damit man das als Leser nachempfinden kann, muss man mich als Menschen verstehen, mit Familie, mit Liebhaber, mit Gefühlen und einem eigenen Hintergrund. Deshalb habe ich im Buch auch Privates dargestellt. Ich will eine tiefere Ebene erreichen, um andere Leute zu ermutigen, die auch unter ihren Arbeitsbedingungen leiden. Wir können nur etwas ändern, wenn wir unsere Stimmen erheben.

Daniela Kickl «Apple Intern». Verlag Edition A 2017. 288 Seiten. 

Passend dazu: Vom Ur-iPhone bis zum aktuellen Apple-Handy

1 / 17
Vom Ur-iPhone zum iPhone X
Am 9. Januar 2007 enthüllte Steve Jobs in San Francisco das erste iPhone. Damals hätte niemand gedacht, was aus dem Apple-Handy werden würde ...
quelle: getty images north america / david paul morris
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
17 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Bowell
22.03.2017 08:01registriert Mai 2014
Auch bei uns sind die Toilettenzeiten echt ein Frust. Schon nach 20 Minuten auf der Schüssel geht das Licht aus...
763
Melden
Zum Kommentar
avatar
StealthPanda
22.03.2017 08:13registriert September 2015
Nur zu gerne lese ich Berichte die Apple als schlechte Firma darstellen mit einer guten Marketing abteilung. Hier jedoch habe ich eher das Gefühl das jemand ganz viel Bücher Verkaufen will. Es ist alles drin: ein bisschen Sex, ein paar peinliche details damit man sich mit dem "Opfer" identifizieren kann, ein spritzer Tod und als beilage einen bösen grosskonzern. Gibts ReadBait? Das wäre in diesem Buch der Fall.
546
Melden
Zum Kommentar
avatar
Madison Pierce
22.03.2017 08:33registriert September 2015
Das ist leider kein spezifisches Problem von Apple. Durch die neuen technischen Möglichkeiten können Mitarbeiter mit Routinejobs immer mehr überwacht werden. Man sieht, wie viele Anrufe sie annehmen, wann sie kurz Pause machen, durch Kundenumfragen sieht man, wie gut ihre Antworten waren etc.

Das gilt nicht nur in Callcentern: in Industriebetrieben wird jeder Arbeitsschritt "ein- und ausgecheckt". Im SAP sehen die Manager dann, wer für das Polieren drei Minuten braucht, obwohl nur 2.5 Minuten vorgesehen sind. Konnte ich nicht glauben, bis ich es selbst gesehen habe.
451
Melden
Zum Kommentar
17
Brückeneinsturz mit Folgen – so wichtig ist der Hafen von Baltimore

Riesige Brückenteile versperren seit Dienstag die Zufahrt zum Hafen Baltimore an der Ostküste der USA. Die mehr als 2,5 Kilometer lange Francis Scott Key Bridge war in der Nacht eingestürzt, nachdem das rund 290 Meter lange Containerschiff «Dali» steuerlos einen Stützpfeiler der vierspurigen Brücke gerammt hatte. Zwei Tote wurden inzwischen aus dem Wasser geborgen, vier weitere Opfer wurden noch nicht gefunden.

Zur Story