Souverän und gross gewachsen steht Johannes Läderach an der Glasscheibe im oberen Geschoss der Produktionshalle in Bilten GL und spricht über den Schokoladenweltmeistertitel seines Bruders und über die Flachbildschirme, die sie nebenan gerade montieren, damit man den Confiseurinnen direkt bei der Arbeit zuschauen kann. Er spricht über die Meilensteine der Familiengeschichte, über fair angebauten Kakao und davon, dass alles von Hand gefertigt wird.
Johannes Läderach würde gerne nur übers Geschäft sprechen und nicht darüber, welcher Kirche er angehört und welchen Glauben er lebt, wie fundamentalistisch unterwegs er eigentlich ist und ob er findet, Homosexualität sei eine Sünde. Er möchte zurück an den Punkt, als er noch dachte, diese Mediengeschichte würde an ihm vorbeiziehen wie das Schokoladenpulver, das da unten auf dem Fliessband an uns vorbeifährt.
Angefangen hatte alles 2018, als Johannes Läderach dem Zürcher SVP-Gemeinderat und Präsidenten des «Marsch fürs Läbe», Daniel Regli, medial zu Hilfe eilte. Dieser hatte zu Protokoll gegeben, dass «sich promiske Homosexuelle zwischen 30 und 40 das Leben nehmen, weil der Analmuskel nicht mehr hält, was er verspricht». Läderach beklagte die Kritik der Medien, die «alle nur auf den Mann» spielten und sah die «Meinungsfreiheit» wegen der «derzeit dominant scheinenden ‹political correctness›» in Gefahr. Die als homosexuellen-feindlich eingestuften Aussagen stiessen auf ein immer breiteres Medieninteresse.
Die Spirale begann zu drehen. Die Medienhäuser begannen, zu recherchieren. Im «Tages-Anzeiger», in der NZZ, auf «Infosperber» und «das Lamm» erschienen Artikel. Über das freikirchliche Milieu der Familie Läderach, über ihre zweifelhafte Rolle innerhalb der Missionsgesellschaft «Kwasizabantu» bei Kaltbrunn SG. Aussteiger berichteten über arrangierte Ehen, den Kampf um Keuschheit, um Züchtigung mit Schlägen an der Schule «Domino Servite», die zur Missionsgesellschaft gehört und auf die auch Johannes Läderach als Jugendlicher ging. Der Kampf der Familie Läderach gegen Abtreibung an vorderster Front der Organisation «Marsch fürs Läbe» wurde aufgegriffen. Und die Fragen: Sind die Läderachs homophob? Frauenfeindlich?
Johannes Läderach, der die Medien dafür kritisierte, dass sie «alle nur auf den Mann spielen», wird selbst zu diesem Mann. Jetzt spielen sie alle auf ihn. Und auch für viele Leserinnen und Leser ist die Meinung schnell gemacht: Die Aussicht, über den Kauf von Schokolade unter Umständen indirekt politische Aktivitäten mitzufinanzieren, hinter denen man nicht stehen kann, wird für immer mehr Konsumenten zum heiklen Unterfangen. Mit dem ehemals so unverfänglichen Geburtstagspräsent steht man plötzlich auf der vermeintlich falschen Seite.
Die Läderachs dementieren bis heute, dass Geld aus der Firma in ihre privaten politischen Aktivitäten hineinfliesst. Doch so richtig glauben wollten das viele nicht. Aktivisten fingen Ende 2019 an, Stimmung zu machen. Homosexuelle riefen zum Boykott auf. Es fanden Buttersäure-Anschläge auf Filialen statt. Die Läderachs mussten Polizeischutz für Mitarbeitende beordern.
Die Airline Swiss kündigte dem Unternehmen nach Protesten aus den eigenen Reihen den Vertrag. Gleichzeitig formierte sich Widerstand gegen den Widerstand. Die «Weltwoche» schrieb von einer Hexenjagd auf die Familie, von Verleumdung und linkem Gesinnungsterror, Tausende unterschrieben eine Petition, dass die Swiss wieder mit Läderach zusammenarbeiten soll.
Nun sitzt Läderach in der Kantine des Firmensitzes auf einem Stuhl am Fenster, gabelt vegetarisches Curry, weil das Fondue von gestern noch aufliegt, und verweigert, über das zu sprechen, worüber die Schweiz sprach:
Stattdessen spricht er vom Spirit der Firma, vom gelebten Glauben zu Hause. Vom Vater, der ihm vorlebte, was er als Geschäftsmann zu tun hatte. Mit Prinzipien wie: Begeistern statt befehlen. Ergänzen statt ersetzen. Da sein statt Chef sein. «Meine Kindheit war von Ehrlichkeit und Liebe geprägt», sagt er dann. Johannes Läderach wird derzeit von einer der teuersten und renommiertesten Kommunikationsagenturen des Landes beraten, die sich genau aussucht, mit wem gesprochen wird. Läderach gab Anfang dieses Jahres in der «Linth-Zeitung» und der «NZZ am Sonntag» Interviews. Er sagte, niemand bei Läderach sei homophob. Er dürfe eine andere Meinung haben zur gleichgeschlechtlichen Ehe oder zur Frage, wann das Leben beginnt. Aber das heisse nicht, dass er etwas gegen Homosexuelle habe, sagte Läderach den Journalisten. Das Interview: Ein Gefäss, das kontrollierbar ist. Jeder Satz muss abgesegnet werden, hundert Prozent der Aussagen im Vorfeld bekannt.
Und hier, jetzt, in dieser Kantine, kein Durchkommen ins Private. Obwohl vereinbart war, dass wir über diese Fragen sprechen. Über sein Leben. Über seine Haltung, seine Kindheit, seine christliche Prägung. Wo es um die Klärung der Frage gegangen wäre: War wirklich alles nur ein Missverständnis, missglückte Kommunikation? Wurde einem Menschen, der christlich geprägt ist, unrecht getan, indem Aktivistinnen und Aktivisten zu Gewalt und Boykott aufgerufen haben gegenüber einem Unternehmen, das im Wirtschaftlichen höchste moralische Standards pflegt? Oder steht da ein Mensch, der Institutionen und Ideen mitfinanziert, die Frauen und Homosexuellen ihr Recht auf die Selbstbestimmung absprechen?
Vielleicht ist das Schweigen, weil Johannes Läderach Angst hat, nie wieder aus den Negativschlagzeilen rauszukommen. Vielleicht, weil er das Vertrauen in die Medien verloren hat. Vielleicht, weil er wirklich Dinge denkt und privat äussert, die in unserer aktuellen Gesellschaft als menschenfeindlich angesehen würden. Kein Wort also aus dem Leben im Dunstkreis einer christlichen Wertehaltung, die offenbar keine Worte finden darf, die in eine Zeitung gehören. Oder einem Menschen die Möglichkeit gäben, zu verstehen.
Wir werden drei Stunden zusammen verbringen, Johannes Läderach wird mir einen Produktionsstandort zeigen, eine Verkaufsfiliale und ein paar Fliessbänder, er wird die Mitarbeitenden alle freundlich grüssen und sie grüssen alle freundlich zurück. Er wird mir vom Glauben als Halt erzählen und wieder übergehen auf die Ziele, die das Unternehmen sich gesteckt hat, er wird mir das Sitzungszimmer zeigen, das vor Jahren die Stube der Familie war, und ich werde ahnen können, dass die Familie sich in der einen Ecke, in der ein alter Kamin steht, die Füsse wärmte.
«Schokolade produzieren, können wir eben besser als Krisenkommunikation», sagt er, sein Ziel sei erreicht, wenn die Medien wieder über Schokolade schreiben würden und nicht mehr immer das Andere fragen, immer das Andere, er verstehe gar nicht recht, warum, es gebe für ihn im Leben viel Wichtigeres als diese Themen, und der Glaube, der drehe sich auch um Güte, Liebe, Gemeinschaft, Hoffnung.
Vor einem Jahr stand der Name Läderach doch für die meisten Leute einfach für ein Familienunternehmen, aus dem Kanton Glarus, in dritter Generation. Für eine Schweizer Marke. Für die Schokolade, die man auf Swiss-Flügen immer bekam. Und wenn einer Geburtstag hatte und man Schokoküsse mitbrachte, sagten alle: Oh, Läderach, das ist doch die gute, teure Schokolade. Und er, Johannes Läderach, CEO der Firma, 34 Jahre alt, abgeschlossenes Wirtschaftsstudium an der Hochschule St. Gallen, immer im Anzug unterwegs, selten Krawatte, galt als Musterschüler der Unternehmensführung.
14 Uhr, unsere Begegnung ist zu Ende, Läderach drückt mir eine kleine Tasche mit Schokolade in die Hand, verabschiedet sich höflich und steigt in seinen weissen Tesla, den er liebt, weil man auf den ersten Blick gar nicht sehe, wie viel Kraft dieses Auto hat. Für die Kinder läuft das Hörspiel «Winnie Puuh – lustige Jahreszeiten im Hundertmorgenwald», er geht sie jetzt abholen, für einen Nachmittag im Alpamare, an einem stinknormalen Montag, dreimal die Woche sitzt er um 18 Uhr am Familientisch, seine Frau kennt er aus Kindertagen. Der Kommunikationsberater hat bereits eine Nachricht geschrieben, die Assistentin klingelt durch, Johannes Läderach legt die Airpods in seine Ohrmuscheln und startet den Motor.
Verzichte weiterhin gerne auf meine Lieblingsschokolade.