Langnau hat die Saison als Aussenseiter begonnen. In den Prognosen mehrheitlich auf dem letzten und zweitletzten Platz. Der Start gelingt. Zuerst mit Auswärtssiegen und Heimniederlagen. Triumphe der Taktik. Eher der Arbeit mit dem Puck als dem Spiel ohne Puck geschuldet.
Dann kommt zur defensiven Arbeit die offensive Kunst hinzu, die es möglich macht, auch vor eigenem Publikum einen Titanen wie Lugano auszuspielen (3:2 n.P.).
Die Langnauer haben Lugano schon oft besiegt. Auch schon viel höher. Aber spielerisch besser, spektakulärer als die auf dem Papier wahrscheinlich talentierteste Mannschaft der Liga? Nein, das hat es so noch nicht gegeben. Die Emmentaler spielten nicht rauer, und böser, aber schneller, dynamischer, eleganter und präziser als Lugano.
Die Weisheiten des Novembers sind oft die Torheiten des Februars. Ob Langnaus Spektakel weiterhin so ergiebig in Punkten zinst, ist vorerst unerheblich. Nicht die Resultate allein erstaunen. Das Ereignis ist der Stilwechsel, die Erschaffung einer neuen Mannschaft.
Natürlich stimmen die wichtigsten Zutaten für ein Erfolgsrezept: eine exzellente Doppelbesetzung der Goalie-Position und fünf Ausländer, die erstaunlicherweise ein Rotationsprinzip akzeptieren. Sie sind für den Erfolg im Hockey so wichtig und unentbehrlich wie das Lab für die Käseproduktion.
Aber hier geht es um viel mehr. In Langnau hat ein Trainer mit Durchsetzungsvermögen, Akribie, Geduld und psychologischem Geschick ein Team nicht einfach in eine taktische Schablone gesteckt.
Im Emmental ist ein Trainer drauf und dran, nach langer Arbeit – seit Oktober 2016 – ein spielerisches Kunstwerk zu schaffen und eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zu formen.
Das Kunstwerk, das Heinz Ehlers in Lausanne nach drei erfolgreichen Jahren nicht mehr vollenden durfte (er wurde, zum Glück für Langnau, im Frühjahr 2016 aus einem laufenden Vertrag gefeuert) – in Langnau kann es gelingen.
Der Sieg gegen Lugano ist deshalb reizvoll, weil Lugano zwar Jahr für Jahr genug Talent zum Titel hat. Aber die letzte Meisterfeier gab es anno 2006. Deshalb gehört eine Frage so zum HC Lugano wie die Palmen zur Stadt: «Was könnte ein Trainer wie Heinz Ehlers mit Luganos Geld und Talent erreichen?».
Heinz Ehlers Vertrag läuft Ende Saison aus. Auch der Kontrakt von Luganos Greg Ireland endet im nächsten Frühjahr. Kein Schelm, wer denkt: Endlich, endlich haben die Hockeygötter eine Konstellation herbeigeführt, die es Heinz Ehlers ermöglicht, ein Spitzenteam zu übernehmen.
Aber Langnaus Trainer tickt anders. Er mag in erster Linie ein strenger Taktiklehrer und Ausbildner sein – aber er ist eben auch Künstler. Den wahren Künstler interessiert die Vollendung seines Kunstwerkes mehr als der Preis (das Geld). Die Freiheit, sein Kunstwerk zu vollenden, hat der Däne nur in Langnau. In Lugano würde die Geduld fehlen wie zuvor in Lausanne.
Heinz Ehlers ist nach dem Penalty-Sieg gegen Lugano (Ivars Punnenovs hat alle Versuche Luganos gestoppt) erstaunlich locker und gut gelaunt.
Natürlich bleibt er seinem Grundmuster (kritisieren nach Siegen, rühmen nach Niederlagen) treu und moniert ein ungenügendes erstes Drittel (Zwischenresultat 0:2).
Aber dann wird er doch gesprächig. Die Steigerung sei auch möglich, weil man aus der letzten Saison die Lehren gezogen habe. Unter anderem durch eine Umstellung des Sommertrainings. Er habe diese Änderung gegen den Willen des Konditionstrainers durchgesetzt. «Was wir anders gemacht haben, sagen wir aber nicht.» Es bleibt sozusagen Betriebsgeheimnis.
Tatsächlich sind Tempofestigkeit und Ausdauer der Langnauer erstaunlich. Bei seinem schmalen Kader muss Heinz Ehlers die Spieler stärker forcieren als etwa Biel. Zehn Spieler kommen auf mehr als 17 Minuten Eiszeit pro Match. In Biel sind es nur fünf, bei Lugano sechs. Nur in Bern gibt es eine ähnlich starke Belastung der Besten. Dort aber nicht aus Mangel an Tiefe im Kader. Sondern weil das gnadenlose Auswinden, Auspressen der Besten zur Strategie des Trainers gehört.
Item, in Langnau dreht sich intern in diesen Tagen alles um das Projekt «Haltet den Heinz!» Auf die Frage, wie die Gespräche um die Verlängerung laufen, reagiert Langnaus Trainer nur im ersten Augenblick mit der ihm eigenen Grantigkeit. Entspannt sich innerlich und äusserlich schnell und sagt für seine Verhältnisse geradezu locker: «Ich habe keine Angebote von anderen Klubs.» Hält inne und ergänzt mit schelmischem Lächeln (ja, da huschte so etwas wie ein Lächeln durch seine Gesichtszüge): «Aber ich könnte natürlich auch nur noch als dänischer Nationaltrainer arbeiten…»
Der Däne wirkt so mit sich und dem Eishockey im Reinen, dass der Chronist die Behauptung wagt: Heinz Ehlers hat innerlich sein Arbeitsverhältnis in Langnau bereits verlängert. Sollte er keinen neuen Vertrag von mindestens zwei Jahren Dauer plus Option unterschreiben, so soll jeder Buchstabe dieses Textes zu einem Fünfliber in der Mannschaftskasse werden.
Item, im November 2018 wird in Langnau zum ersten Mal seit 40 Jahren nicht nur das tägliche Hockey-Brot serviert. Zum ersten Mal seit 1978 gibt es nun wieder währschafte «Züpfe».
«Züpfe» ist ein ganz spezieller Butterzopf, also ein Gebäck, das nach einem besonderen Rezept so nur im Emmental gebacken wird. Es waren die Bäuerinnen zu Gotthelfs Zeiten, die es erfunden haben, um den Sonntag zu zelebrieren, der ganzen Familie schon vor dem Predigtbesuch etwas Gutes auf den Tisch zu zaubern und den Ruhetag («am siebten Tag sollst du ruhn…») gemütlich und lecker zu beginnen.
Im Jahre 1978 hat es im Emmental zum letzten Mal währschafte «Hockey-Züpfe» gegeben. Als die Langnauer zum bisher letzten Mal ein echtes Spitzenteam waren und den Titel erst nach dem allerletzten Spiel wegen einer 3:6 (1:0, 0:4, 2:2)-Heimpleite gegen den SC Bern dem EHC Biel überlassen mussten.
Seither ist allerlei Hockeygebäck serviert worden. Steinhartes Krisenbrot, verschimmeltes Krisengebäck, zerbröselte Schulden-Weggli, hin und wieder süsse Aufstiegs-Schlüfchüechli, ein paar Derby-Sieg-Meringues und einmal sogar gebrannte Playoff-Creme (2011), die aber John Fust den Magen verdorben hat.
Aber so knusprige «Hockey-Züpfe» wie Heinz Ehlers in diesen Novembertagen hat seit 1978 kein Trainer mehr gebacken. Sie werden auch nach ein paar Niederlagen noch vorzüglich schmecken.