Weil sich gestern zwei Nationalteams wegen zahlreicher Coronafälle abmeldeten und die Schweiz auf der Liste der nachrückenden Nationen die Nummer 2 war. Anstatt Tschechien und den USA nehmen nun Nordmazedonien und die Schweiz teil. Für die Handball-Nati ist es die erste WM-Teilnahme seit 26 Jahren.
Erst gestern Abend fiel der endgültige Entscheid der amerikanischen Absage, heute Morgen haben sich die Spieler in Schaffhausen zu Corona-Tests eingefunden, danach isolieren sie sich. Wenn alle Tests negativ sind, besteigt die Nati morgen früh den Flieger nach Ägypten, wo dann um 18 Uhr bereits die erste Partie auf dem Programm steht. Das erinnert an Dänemarks Fussballer, die 1992 aus den Ferien geholt wurden, um Jugoslawien an der EM zu ersetzen – und sensationell den Titel gewannen.
«Wir wären bereit und sind quasi in Alarmbereitschaft, falls kurzfristig etwas passiert», betonte Nationaltrainer Michael Suter am Sonntag. Er hatte stets mit der Möglichkeit spekuliert, an der WM dabei zu sein und mit dem Nationalteam für einige Tage trainiert.
Eine seriös geplante WM-Vorbereitung sieht natürlich anders aus. Allerdings ist es nicht so, dass die Schweiz sportlich abfällt und es nur dank dem Grünen Tisch an die WM schaffte. Sie hatte in den Playoffs gegen Island eine sportliche Chance auf die Qualifikation und wurde dann bei der Vergabe von zwei Wildcards übergangen. Mit Polen und Russland gingen diese an Teams, die an der EM im letzten Jahr klar schlechter abschnitten.
Der Schweizer WM-Kader: Ben Romdhane Mehdi (Kadetten Schaffhausen), Bringolf Aurel (TSV St.Otmar St.Gallen), Gerbl Maximilian (Kadetten Schaffhausen), Grazioli Leonard (HSC Suhr Aarau), Lier Marvin (Pfadi Winterthur), Maros Luka (Kadetten Schaffhausen), Milosevic Alen (Leipzig/GER), Novak Philip (Kadetten Schaffhausen), Portner Nikola (Chambéry (FRA), Raemy Nicolas (Wacker Thun), Röthlisberger Samuel (Stuttgart/GER), Rubin Lenny (Wetzlar/GER), Schelker Jonas (Kadetten Schaffhausen), Schmid Andy (Rhein-Neckar Löwen/GER), Sidorowicz Roman (Pfadi Winterthur), Svajlen Michal (Pfadi Winterthur), Tominec Nik (Kadetten Schaffhausen), Tynowski Cédrie (Pfadi Winterthur), Zehnder Samuel (Kadetten Schaffhausen).
Andy Schmid wurde zwischen 2014 und 2018 fünf Mal in Folge als bester Spieler der deutschen Bundesliga ausgezeichnet, einer der besten Ligen der Welt. Der Spielmacher der Rhein-Neckar Löwen bezeichnet die plötzliche WM-Teilnahme als «völlig surreal.» Er habe zu seinem Geburtstag nicht so viele Nachrichten bekommen wie nach dieser Nachricht, sagte Schmid am späten Abend zur Zeitung «Mannheimer Morgen».
Der 184-fache Nationalspieler Schmid sagte, er habe sich darauf eingestellt, nun Lehrer für seine Kinder zu sein, die im Home-Schooling sind. Doch etwas erfreuliches ist dazwischengekommen: Eine WM-Teilnahme. «Ich wasche und packe gerade. Ich weiss, dass es wegen der Corona-Situation Argumente für und gegen die WM gibt. Aber ich muss das machen, ich muss diese WM spielen. Diese Chance habe ich wahrscheinlich nur dieses eine Mal in meinem Leben», so der 37-Jährige.
In der Gruppe E trifft die Schweiz auf Österreich (Donnerstag, 18.00 Uhr), Norwegen (Samstag, 20.30 Uhr) und Frankreich (Montag, 18.00 Uhr). Ein guter Start ist elementar, wenn sich die Nati Hoffnungen aufs Weiterkommen machen will – schliesslich gilt Norwegen um Sander Sagosen, den derzeit wohl besten Handballer der Welt, als einer der Topfavoriten. Der «Handball-Haaland» wurde mit Kiel unlängst Champions-League-Sieger und war 2020 EM-Torschützenkönig. Und Rekord-Weltmeister Frankreich gehört auch ohne seinen verletzten Star Nikola Karabatic immer zum Kreis der Titelanwärter.
Die drei Vorrundenpartien der Schweiz werden auf TV24 zu sehen sein. Der Sender hat sich darüber hinaus auch die Rechte an weiteren WM-Spielen gesichert, unter anderem am Final. Zu den gezeigten Spielen gehört das Topspiel der «Schweizer» Gruppe, Norwegen – Frankreich (Donnerstag, 20.30 Uhr).
32 Teams nehmen teil, so viele wie noch nie an einer WM. Sie sind in acht Vorrundengruppen eingeteilt, aus denen es jeweils die ersten drei in die Hauptrunde schaffen. Dort tragen die Teams drei weitere Partien gegen Teams einer anderen Gruppe aus. Aus diesen vier Sechsergruppen steigen die beiden Erstplatzierten in die Viertelfinals auf, ab da wird im K.o.-Modus gespielt.
Für jene acht Teams, die in der Vorrunde ausscheiden, gibt es als Trostpflaster den President's Cup. In ihm werden die WM-Plätze 25 bis 32 ausgespielt. Jede Nation trägt also in jedem Fall sechs Partien in Ägypten aus.
Die Schweiz trägt ihre Vorrundenspiele in Madinat as-Sadis min Uktubar aus – auf deutsch: Stadt des 6. Oktobers. Sie hat rund 350'000 Einwohner und liegt in der Nähe der Pyramiden von Gizeh. Dort würde sie auch in der Hauptrunde antreten. Ab den Halbfinals sind die Spiele in Kairo, wo die Halle 16'200 Zuschauern Platz bietet.
Sie werden wegen der Corona-Pandemie leer sein. Zu diesem Entschluss haben sich die Veranstalter durchgerungen, nachdem sie lange Zeit mit Fans gerechnet hatten. Zuletzt hiess es noch, dass die Stadien zu 20 Prozent ausgelastet würden. Doch die Captains von 14 europäischen Nationalteams kritisierten dies in einem Brief an den seit Jahren umstrittenen Weltverbands-Präsidenten Hassan Moustafa. Daraufhin erfolgte die Wende.
Viel mehr als das Sportliche die Corona-Situation. Während der WM befinden sich die Teams in einer Blase, das Hotel-Personal soll die Anlage während des Turniers nicht verlassen. Alle Beteiligten sollen mindestens alle 72 Stunden auf Covid-19 getestet werden.
Viele Spieler überlegten sich eine WM-Teilnahme unter diesen Umständen – und einige sagten sie daraufhin ab. So fehlen Deutschland etwa Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold, die vor rund zwei Wochen mit THW Kiel die Champions League gewonnen haben.
Das Corona-Chaos geht weiter. Kurz vor Mittag wurde bekannt, dass im brasilianischen Team sieben Personen positiv getestet wurden. Unter ihnen sind Nationaltrainer Tata Oliveira und der Rückraum-Star Thiagus Petrus vom FC Barcelona. Alle sieben zeigen laut Verband leichte Krankheitssymptome. Was das für Brasiliens Startspiel am Freitag gegen Europameister Spanien bedeutet, ist unklar.
Kurz gesagt: Die üblichen Verdächtigen. Olympiasieger und Titelverteidiger Dänemark werden die grössten Chancen gegeben, auch Frankreich, Norwegen und Spanien zählen zum Kreis der Topfavoriten. Mit Kroatien ist ebenfalls zu rechnen und Deutschland sollte man nie abschreiben, auch wenn die DHB-Auswahl viele unerfahrene Spieler dabei hat.
Vom Fussballstar des FC Liverpool ist nicht bekannt, dass er zur WM nach Ägypten reist. Doch sein Schweizer Namensvetter ist dabei: Schiedsrichter Morad Salah erhielt gemeinsam mit seinem Partner Arthur Brunner ein WM-Aufgebot.