Sucht Schweiz kritisiert Politik und Wirtschaft

Sucht Schweiz kritisiert Politik und Wirtschaft

16.02.2017, 10:36

Suchtmittelbedingte Probleme haben sich im letzten Jahr nicht verändert und stagnieren auf hohem Niveau. Sucht Schweiz kritisiert in ihrem Suchtpanorama 2017, dass sich Politik und Wirtschaft nicht darum kümmern.

So hätten die jüngsten suchtpolitischen Debatten eines gemeinsam: «eine dezidierte Position des Parlaments, nicht regulierend in diese Märkte einzugreifen», schreibt Sucht Schweiz im am Donnerstag veröffentlichten Bericht.

«Die Politik akzeptiert die Situation, um die Interessen von einzelnen Akteuren zu verteidigen», erklärt Markus Meury, Mediensprecher von Sucht Schweiz, auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Denn Industrie und die entsprechenden Lobbys machten ihren Einfluss stark geltend. Dies zeigte sich beim Tabakproduktegesetz, das wegen des vorgesehenen Werbeverbots vom Parlament an den Bundesrat zurückgewiesen wurde.

Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung raucht. Über die Hälfte der Raucherinnen und Raucher möchte gemäss dem Suchtmonitoring 2015 des Bundesamtes für Gesundheit aber damit aufhören. Dies werde aber nicht zuletzt durch die Allgegenwärtigkeit von Tabakwerbung erschwert, schreibt Sucht Schweiz und erinnert daran, dass 2012 rund 9500 Menschen in der Schweiz aufgrund des Rauchens starben.

Auch Alkoholgesetz scheiterte

Aber auch beim Alkoholgesetz scheiterte der Bundesrat mit Vorschlägen zur Besteuerung der Schnapsbrenner und Obstlieferanten und einem Nachtverkaufsverbot für Alkohol.

Gemäss dem Suchtmonitoring trinken 21 Prozent der Schweizer Bevölkerung risikoreich Alkohol, eine Viertelmillion hat die Kontrolle über den Alkoholkonsum verloren; 1600 sterben jährlich wegen Alkoholmissbrauchs.

«Die Problemlast bleibt hoch, aber politisch passiert nichts», sagt Meury weiter. Und auch die Wirtschaft schaue weg, obwohl die Suchtproblematik auch sie betreffe etwa mit Krankheitstagen oder verminderter Leistungsfähigkeit.

Spielerschutz im Geldspielgesetz

Von der schwachen Regulierung profitiere aber auch die öffentliche Hand. Sie verdient an den Spielenden. Schätzungsweise 75'000 Menschen in der Schweiz sind spielsüchtig. Die sozialen Kosten der Spielsucht in der Schweiz werden auf 551 bis 648 Millionen Franken pro Jahr geschätzt.

Sucht Schweiz fordert nun, dass beim neuen Geldspielgesetz, das im Frühling vom Nationalrat beraten wird, der Spielerschutz ebenso stark gewichtet wird wie die Interessen der Geldspielanbieter. Allerdings befürchtet Sucht Schweiz, dass mit der geplanten Zulassung von ausländischen Internetportalen für Geldspiele «ein unkontrollierbarer Schwarzmarkt weiter besteht und der Schutz der Spieler und Spielerinnen auf der Strecke bleibt».

Der Ständerat hatte im vergangenen Sommer schon die Einführung einer Spielsuchtabgabe für die Betreiber von Casinos abgelehnt. Auch eine Sicherstellung der Alterskontrolle an Spielautomaten fiel durch.

Das neue Gesetz soll einerseits besser vor Spielsucht und Wettmanipulationen schützen. Zugleich sollen aber Casinos neu auch Geldspiele im Internet anbieten dürfen. Online-Geldspiele bergen gemäss Sucht Schweiz besondere Risiken. «Sie sind Tag und Nacht zugänglich und der Jugendschutz kann leicht umgangen werden.»

Eigenverantwortung - für alle

Der einseitige Fokus der Politik auf die Eigenverantwortung blende aus, dass Ursachen für Suchtprobleme nicht nur beim Individuum sondern auch beim sozialen Umfeld und der Gesellschaft zu finden seien, schreibt Sucht Schweiz.

«Nimmt man die Forderung nach verantwortungsbewusstem Handeln ernst, so muss sie für alle Akteure gelten, denn Eigenverantwortung ersetzt das verantwortliche Handeln der Industrie und der Politik nicht.»

Cannabis und Medikamente

Weiter kritisiert Sucht Schweiz in seinem Suchtpanorama 2017, dass das Ordnungsbussenverfahren für den Cannabiskonsum nicht in allen Kantonen gleich umgesetzt wird. «Cannabiskonsumierende werden je nach Ort, an dem sie sich aufhalten, und allenfalls je nach Polizeikorps, das sie aufgreift, unterschiedlich sanktioniert.» Jeder und jede habe jedoch das Recht auf gleiche und vorhersehbare Behandlung vor dem Gesetz.

Zudem nehmen gemäss dem Suchtmonitoring 2015 rund 2 Prozent der Schweizer Bevölkerung täglich oder fast täglich während mindestens eines Jahres meist rezeptpflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel ein. Bei den über 74-Jährigen sind es 7 Prozent. Oft haben die Mittel Suchtpotenzial.

Prävention und Frühintervention beim Medikamentenmissbrauch sei noch wenig entwickelt, hält Sucht Schweiz fest. Die Stiftung möchte daher, dass präventive Massnahmen gefördert werden. (sda)

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