Ein älterer Mann sitzt in einem Rettungsboot. Er wirkt erschöpft unter seiner weiss-blauen Schildmütze - aber auch erleichtert. «Wir haben es geschafft!», ruft ihm einer der Freiwilligen zu, die den Ukrainer aus dem überfluteten Gebiet bei Cherson gerettet haben. Wie alt er sei, will der Helfer wissen. «93», sagt der Mann und lächelt in die wacklige Kamera. Einen Krieg habe er schon überlebt, sagt er noch, jetzt müsse er einen zweiten überleben. Dann folgt der russische Angriff.
Als die Kamera wieder aufblendet, hält sich der ältere Mann den Kopf. Seine blutverschmierte Mütze liegt am Boden. Blut läuft zwischen seinen Fingern hindurch. Ein Schrapnell hat ihn getroffen. Unter russischem Beschuss rasen die Helfer an Land. Sie wuchten den Mann aus dem Boot. Er überlebt den Angriff. Die Helfer auch. Sieben Ukrainer werden bei der Aktion verwundet.
Russland feuert auf die Menschen, die der Flutkatastrophe nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms entkommen wollen. Eine Katastrophe, für die Russland verantwortlich ist.
Ob die Besatzer den Damm als Reaktion auf die beginnende ukrainische Gegenoffensive absichtlich gesprengt haben oder ob er aus Fahrlässigkeit brach, ist letztlich unerheblich. Die Russen verminten den Damm, die Sprengung mitsamt der schrecklichen Folgen für die Menschen in der Ukraine war stets eine Option und wurde von Putins Truppen mindestens billigend in Kauf genommen. Nun sind ganze Dörfer zerstört, Hunderte Menschen tot, Tausende auf der Flucht.
Ein Staudamm als Massenvernichtungswaffe: So weit ging nicht einmal die Terrororganisation IS im Irak. Die Islamisten hätten einen Damm oberhalb der Stadt Mossul sprengen können, was zahllose Tote zur Folge gehabt hätte, wie der französische Wasser- und Militärfachmann Franck Galland diese Woche im Interview mit CH Media sagte.
Wladimir Putin, das wissen wir seit dieser Woche sicher, schreckt vor solchen Mitteln nicht zurück. Die Lehre daraus ist eindeutig: Gelingt es dem Kreml-Chef nicht, die Ukraine in seine Fänge zu bekommen, dann hat er wenig Skrupel, sie zu zerstören.
Für den weiteren Verlauf des Krieges lässt das Schlimmes befürchten. Das ständige Zündeln am Atomkraftwerk Saporischschja wirkt vor dem Hintergrund der Dammsprengung noch bedrohlicher als ohnehin schon. Die Sprengung des grössten AKW Europas hätte noch schlimmere Folgen als der Dammbruch bei Cherson.
All dies lässt nur einen Schluss zu: Putins irrsinnigem Krieg muss ein Ende gesetzt werden. Der bekannteste Gegner des russischen Präsidenten, der ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow, brachte es in dieser Woche am Swiss Economic Forum in Interlaken auf den Punkt: «Die einzige Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, ist, ihn zu gewinnen.» Je früher, desto besser.
Entscheidend dafür wird die nun angerollte Gegenoffensive der Ukrainer. Diese wird mit Verlusten verbunden sein. Dabei wird auch vom Westen geliefertes Gerät zerstört werden. Umso wichtiger ist es, dass die Waffenlieferungen in hohem Tempo weitergehen. Nur so kann die Offensive zum Erfolg werden. Bis dahin wird der Terror gegen die ukrainische Bevölkerung weitergehen. (aargauerzeitung.ch)
abian hock / ch media
Diese Zeile eines Schweizer Journalisten sagt unendlich viel aus.
Sollen wir Putin mit unserer Neutralität in die Schranken weisen? Oder fordern wir, wie es obige Zeile im Prinzip impliziert, dass die anderen Staaten mehr und bessere Waffen senden?
Ich denke, Abian Hock bringt perfekt zum Ausdruck, wie wir Schweizer funktionieren.
Die anderen sollen. Pfründe für uns.