Als die Polizistinnen und Polizisten realisierten, zu was sie da gezwungen werden, war es schon zu spät: Seit Anfang Jahr müssen sie immer ihre Identität preisgeben, wenn sie eine Ordnungsbusse ausstellen.
Auf jeder Bussenquittung ist zwingend der Name und der Vorname des ausstellenden Beamten aufzuführen. Das Gleiche gilt für das Bedenkfristformular, das Gebüssten ausgehändigt wird, wenn sie nicht sofort bezahlen.
Hunderttausende Ordnungsbussen verteilen die Schweizer Polizeikorps jährlich. Betroffene wissen nun immer, mit wem genau sie es zu tun haben. Der Staat steht ihnen nicht mehr als anonyme Macht gegenüber.
Dies auch vor dem Hintergrund, dass nach manchen Polizeieinsätzen noch Aufklärungsbedarf besteht oder sogar Beschwerden eingereicht werden. Festgeschrieben ist die Transparenzregel im neuen Ordnungsbussengesetz, das der Bundesrat auf Anfang dieses Jahres in Kraft gesetzt hat.
Eigentliches Ziel der Revision war es, aufwendigen Anzeigen und Gerichtsverfahren bei Bagatelldelikten ein Ende zu setzen. Zwar bilden den grössten Teil der Bussenliste weiterhin Übertretungen im Strassenverkehr – etwa wegen überhöhter Geschwindigkeit oder Falschparkierens.
Doch mehr und mehr einfache Verstösse in anderen Bereichen werden ebenfalls mit Ordnungsbussen geahndet. Das Rauchen in geschlossenen, öffentlich zugänglichen Räumen wird beispielsweise mit 80 Franken gebüsst.
Dass sich im Gesetz eine Kennzeichnungspflicht versteckt, blieb selbst unter Parlamentariern weitgehend unbemerkt. Ebenso übersahen die Interessenvertreter während der Vernehmlassung, welch brisante Passage sich da unter hundert anderen befand. «Wir haben das leider auch erst realisiert, als das Gesetz bereits in Kraft war», sagt Max Hofmann, Generalsekretär des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter.
Inhaltlich könne man die Regelung nicht nachvollziehen. «Es erschliesst sich uns schlicht nicht, warum Polizisten auf Vorrat ihre Identität offenlegen müssen.» Laut Hofmann tun sie dies auf Anfrage hin ohnehin immer, das habe mit einer hohen Professionalität zu tun. Falls jemand eine Busse nicht innert Frist bezahlt und es zu einem regulären Strafverfahren kommt, muss die Identität des «bussenausstellenden Organs» – so der Fachjargon – so oder so bekannt gegeben werden.
Wegen der generellen Offenlegungspflicht müssten Polizisten unter Umständen um ihre Sicherheit fürchten, kritisiert Hofmann. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sei die Regelung bedenklich.
Gleicher Meinung ist der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor. «Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum der Datenschutz nicht auch die Angehörigen der Polizeikräfte schützen sollte», konstatiert er in einer parlamentarischen Motion. Darin verlangt er, dass Polizisten statt ihres Namens künftig nur noch eine Matrikelnummer angeben müssen. So blieben sie im Falle einer Beschwerde identifizierbar, aber auf Umwegen.
Der Bundesrat unterstützt das Anliegen, das hat er in seiner letzten Sitzung vor den Sommerferien entschieden. Er empfiehlt Addors Motion dem Parlament zur Annahme. Der Entscheid überrascht; erst recht, weil das neue Ordnungsbussengesetz erst vor ein paar Monaten in Kraft getreten ist.
Warum spricht sich der Bundesrat jetzt plötzlich dafür aus, auf die Bekanntgabe der Identität zu verzichten? Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin des zuständigen Bundesamts für Justiz:
Der Verzicht entspreche der früheren Rechtslage, die keine Probleme bereitet oder zu Kritik geführt habe.
Umso mehr stellt sich die Frage, wieso die Kennzeichnungspflicht dann überhaupt eingeführt worden ist. Das Bundesamt verweist auf formelle Gründe. Die ganze Regelung orientiere sich an jener für Strafbefehle, hier werde jeweils eine Unterschrift des ausstellenden Beamten verlangt.
Das letzte Wort hat nun das Parlament. Nimmt es die Motion an, muss wiederum der Bundesrat das Anliegen umsetzen – und dafür sorgen, dass sich Polizisten nicht mehr mit ihrem Namen outen müssen, wenn sie jemanden büssen.
Der oder die Gebüsste kann aber immer noch auf dem Rechtsweg auf die jeweilige Person zurückkommen oder gemeinsam mit anderen Gebüssten prüfen, ob immer dieselbe Person besonders hart büsst.
Sollte eine Busse zu Unrecht ausgestellt worden sein (was durchaus öfters vorkommt), hat man ja immer noch die Möglichkeit, Aussage (und Identität) des Beamten über den ordentlichen Rechtsweg in das Verfahren einfliessen zu lassen.