Die Geschichte beginnt so: Eine schöne «junkfrouwe» (Jungfrau) sitzt in einem lauschigen Gärtchen und streitet sich gar fürchterlich mit ihrem «fud» – ja, damit ist ihre Vagina gemeint. «Was nur verleitet sie dazu, ein Zwiegespräch mit ihrem Geschlechtsorgan zu führen?», fragt man sich da als neugieriger Leser sofort.
Nun, es ist die existentielle Frage nach der Natur der Liebe, die ihr von einem Mann entgegengebracht wird.
Liebt er sie nur, weil sich zwischen ihren Beinen das Paradies auftut? Oder liebt er sie ihrer Schönheit willen? Die «fud» ist sich sicher: Die «junkfroue» gibt zu viel aufs Aussehen. Am Ende begehre der Mann sowieso nur das eine: sie selbst. Die klaren Worte ihrer Vulva machen die junge Frau so wütend, dass sie sie verstösst.
Doch die Trennung bekam beiden nicht sonderlich gut und so endet die Geschichte mit der Versöhnung der beiden – und der Dichter «nagelt» die «fud» dauerhaft an ihrer Besitzerin fest. Auf dass selbiges nicht noch einmal geschieht!
Soweit der Inhalt von Rosendorn – einem schlüpfrigen mittelalterlichen Gedicht.
Bisher ist die Mittelalter-Forschung davon ausgegangen, dass solcherlei unflätige Gedanken über Sexualität erst in der städtischen Kultur des 15. Jahrhundert aufgeschrieben worden seien. Man kannte den «Rosendorn»-Text aus zwei Abschriften – doch nun ist eine dritte im niederösterreichischen Stift Melk aufgetaucht. Eine bedeutend ältere, die ums Jahr 1300 datiert wurde.
Schön, wie sich die Menschheit mit ihrer Originalität immer wieder selbst überraschen kann.
In der höfischen Literatur des Mittelalters wurde gemeinhin nicht so unverblümt über Sexualität geschrieben, das verletzte die Konventionen der Minnerede.
Deshalb wichen die besonders forschen Autoren auf schwankartige Erzählungen aus, da konnte man alles geziemlich Ritterliche parodieren und sich ungestraft Obszönitäten hingeben. So wie dies Heinrich Wittenwiler in seinem satirischen Lehrgedicht «Der Ring» tat. Dieses Meisterwerk aus dem frühen 15. Jahrhundert erzählt uns von Bauern, die eigentlich Ritter sein wollen, Fress- und Sauforgien feiern und aufgrund irgendwelcher Lappalien ganze Kriege ausfechten.
Und mittendrin befindet sich Mätzli Rüerenzumph, ein ausnehmend hässliches Mädchen mit Buckel und schwarzen Zähnen, die wie die «junkfrouwe» im «Rosendorn»-Gedicht mit ihrer «mutze» – natürlich ist auch hier ihre Vagina gemeint – streitet. Denn sie hat den «tumben» und liebestollen Bertschi dazu veranlasst, in ihr Haus einzubrechen. Nur wegen ihrer «vil praunen mutzen» habe, so denkt das verzweifelte Mädchen, der Vater sie verprügelt und in den Speicher gesperrt. Dort beginnt sie nun damit, ihre Vagina zu bestrafen, sie zu «ziehen, rupfen, schlagen, reißen, flechten, zwicken, drohen und schelten bis daz ir das maul geswar».
Auch das schlüpfrige anonyme «Nonnenturnier» stammt aus dem 15. Jarhundert und erzählt die Geschichte von einem «zagel» – ja, das ist ein Penis, der einst einem Ritter gehörte –, der plötzlich im Kreuzgang eines Klosters auftaucht und die Nonnen ganz verrückt macht. Jede will ihn für sich haben und so artet das Ganze in einen üblen Kampf aus, in deren Wirrungen der «zagel» unbemerkt von dannen zieht.
Beide Texte stehen dem «Rosendorn»-Gedicht in ihrer Schlüpfrigkeit in nichts nach, entstanden aber bedeutend später als jenes.
Christine Glassner vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist die glückliche Finderin jenes unscheinbar wirkenden Pergamentstreifens. Sie fand ihn in der Stiftsbibliothek Melk, wo er als Einband für ein jüngeres, theologisches Buch diente – eine gängige Methode, um die wertvolle Tierhaut wiederzuverwenden. Dafür wurde die ursprüngliche Seite zerschnitten.
In mühevoller Kleinarbeit haben die Wissenschaftler das dünne Streifchen als Fragment des «Rosendorns» identifiziert – und erfreuen sich nun an der Tatsache, dass ein so freizügiger Text bereits im 14. Jahrhundert aufgeschrieben und vielleicht sogar szenisch aufgeführt worden war.
Ob das Pergament wegen seines für eine Stiftsbibliothek besonders ungehörigen Inhalts als Einband für ein anderes Buch herhalten musste, darüber könne man nur mutmassen, meint Glassner. Denkbar sei ebenso ein deutlich pragmatischerer Ansatz: Nämlich, dass auf den Inhalt des Textes des als Bindematerial verwendeten Pergaments überhaupt nicht geachtet wurde.
(rof mit Material von sda/apa)
Aber wirklich ein sehr interessanter Bericht, danke Watson.