Dies ist die Geschichte über missbrauchte Ideale und verlorene Träume. Am Anfang steht der adelige Baron Pierre de Coubertin. Inspiriert von seinen archäologischen Ausgrabungen träumt er von der Wiederbelebung der Olympischen Spiele. 1893 gründet er das Internationale Olympische Komitee (heute IOC). 1896 werden in Athen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit organisiert. 262 Sportler aus 13 Nationen kommen nach Athen. Frauen dürfen nicht starten. 2016 in Rio werden es 6161 Männer und 5057 Frauen aus 207 Ländern sein.
Es geht dem Baron aus Paris um internationale Verständigung, ums Überwinden von Nationalismus und Egoismus. Nur Amateure sind zugelassen. Es gibt kein Geld und es ist untersagt, mit dem Olympischen Ruhm Geld zu verdienen. Noch 1972 wird Karl Schranz, der damals weltbeste Abfahrer, wegen verbotener Kaffee-Werbung von den Spielen in Sapporo ausgeschlossen. Ironie der Geschichte: der Weg ist frei für Bernhard Russi, der auch dank des Olympischen Goldes von 1972 zur ersten Werbe-Ikone des helvetischen Sportes wird.
Pierre de Coubertin kann nicht ahnen, wie aus seiner Idee einmal eine globale Werbe-, Geld- und Machtmaschine werden wird. 1913 erfindet er das Logo mit den fünf Olympischen Ringen. Heute eine der wertvollsten Marken überhaupt. Während des 1. Weltkrieges flüchtet er in die neutrale Schweiz nach Lausanne. Deshalb hat das IOC heute seinen Sitz in Lausanne.
Die olympischen Romantiker sind erst einmal freundliche Gäste und sind froh, dass sie einen Ort finden, wo sie auftreten dürfen. Noch 1900 (Paris) und 1904 (St. Louis) werden die Spiele im Rahmen der Weltausstellung und 1910 in London im Rahmen einer französisch-britischen Messe durchgeführt.
Aber die Olympische Idee gewinnt unaufhaltsam an Strahlkraft. 1936 kommt es zum ersten Sündenfall. Die Nationalsozialisten missbrauchen die Spiele in Berlin für politische Propaganda. Im Mai 1936 hatte der deutsche Kanzler Adolf Hitler dem in finanziellen Nöten steckenden Baron eine Ehrengabe von 10'000 Reichsmark (umgerechnet rund 70'000 Euro) zukommen lassen. Von einem französischen Journalisten darauf angesprochen, wie er dazu komme, die «Nazi-Spiele» zu unterstützen, soll Pierre de Coubertin geantwortet haben, das Wichtigste sei, dass die Spiele grandios gefeiert werden und dabei sei es egal, ob damit Tourismuswerbung für Südkalifornien (wie 1932 in Los Angeles) oder Werbung für ein politisches System gemacht werde.
Ab der ersten Teilnahme der Sowjetunion (1952) werden die Spiele bis zum Ende des «Kalten Krieges» (1989) zum Wettstreit der Systeme. Der Kommunismus will auf der Olympischen Bühne seine Überlegenheit über den Kapitalismus beweisen. Der «Medaillen-Spiegel» – also die Rangliste der Länder nach gewonnenen Medaillen – wird das Mass aller Dinge und ist es bis heute geblieben.
Die naiven olympischen Idealisten lassen sich immer mehr von der Politik vereinnahmen. 1956 boykottieren die Schweiz, Holland und Spanien die Spiele in Melbourne wegen der Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn. Es ist bis heute der einzige komplette Boykott der Schweiz. Irak, Kambodscha, Libanon und Ägypten bleiben 1956 wegen der Suezkrise zu Hause.
1972 und 1976 erreichen zahlreiche afrikanische Staaten durch Boykottdrohung den Ausschluss von Südafrika und Rhodesien. 1980 bleiben die USA und weitere 64 westliche Staaten wegen des Einmarsches der Sowjets in Afghanistan den Spielen von Moskau fern. Als Retourkutsche boykottiert die UdSSR zusammen mit 14 Ostblockstaaten vier Jahre später die Spiele in Los Angeles.
1972 sind die Spiele in München durch das Attentat der palästinensischen Terrororganisation «Schwarzer September» erschüttert worden. Elf israelische Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist verlieren bei der missglückten Geiselbefreiung ihr Leben.
Im Dezember 1984 erklärt das IOC die Teilnahme an den Spielen als «prinzipielle Pflicht der Nationalen Olympischen Komitees». Die IOC-Mitgliedländer werden also dazu «verdonnert», teilzunehmen. Aber der Grund, warum von nun an Boykotte kein ernsthaftes Thema mehr sind, ist ein ganz anderer. Das Geld.
Der boykottgeplagten olympischen Familie geht es finanziell nicht gut. 1980 wird Juan Antonio Samaranch IOC-Präsident. 1981 wird der «Amateurparagraph» gestrichen. Der neue IOC-Boss versucht so, die finanziell notleidenden Spiele zu einem Geschäft zu machen. Nun darf jeder seinen Ruhm versilbern und umgekehrt profitieren die Spiele vom Glanz der Superstars. Nun werden aus den einstigen Olympischen Romantikern und Idealisten höchst erfolgreiche Kapitalisten.
Die kommerzielle Entwicklung ist atemberaubend. Die Spiele von 1976 in Montréal enden mit einem Defizit von 990 Millionen Dollar und in der Provinz Quebec wird bis 1995 (!) auf jedem Päckli Zigaretten eine Sondersteuer von 25 Cents und eine Immobiliensteuer von 2,5 Prozent erhoben, um das olympische Loch zu stopfen. Aber bereits 1984 wird in Los Angeles unter OK-Präsident Peter Ueberroth ein Gewinn von 215 Millionen erwirtschaftet.
Nun rollt der Rubel. Die TV-Einnahmen betragen für die letzten Winterspiele 2018 in Südkorea und die kommenden Sommerspiele 4,1 Milliarden Dollar. 1976 waren es noch knapp 45 Millionen für die Sommer- und Winterspiele.
Das Geld hat alles verändert. Inzwischen tritt der IOC-Präsident auf Augenhöhe mit Staatsoberhäuptern und dem Papst auf. Das Emblem mit den fünf Ringen steht für ein globales Milliarden-Imperium. Für eine Werbe-, Geld- und Machtmaschine. Und für Grössenwahn.
Die Spiele, die dem IOC Milliarden bescheren, werden heute in Arenen zelebriert, die den gastgebenden Staat Milliarden kosten. 5,7 Milliarden Franken werden die Spiele von Tokyo verschlingen. Für den «Götzen Olympia» werden Tempel mit dem Geld des arbeitenden Volkes erbaut. Ein Heer von unbezahlten freiwilligen Arbeitskräften («Volunteers») sorgt dafür, dass der Gewinn fürs IOC nicht geschmälert wird. Wenn demokratische Strukturen eine Abstimmung erfordern (also das Volk mitreden darf), können die Spiele inzwischen nicht mehr durchgeführt werden.
Dass das Wohl der Athletinnen und Athleten im Zentrum aller Bemühungen steht ist nur noch eine hohle Phrase. Längst gibt es für die Olympischen Spiele in Tokio keine Chancengleichheit mehr. Weil die Athletinnen und Athleten wegen der Welt-Viruskrise gar nicht mehr die gleichen Voraussetzungen bei der Vorbereitung haben. Und es geht um etwas, das unendlich wichtiger ist als Kosten und Kommerz. Die Gesundheit und das Leben aller, die mit diesen Spielen zu tun haben. Eine Verschiebung der Spiele ins Jahr 2021 ist unumgänglich.
Die Arroganz mit der IOC-Präsident Thomas Bach und sein byzantinischer Hofstaat eine Absage und Verschiebung bisher abgelehnt haben, ist schier unerträglich. Wenn je die Kombination von Geld und Macht eine Sportorganisation verdorben und die Ideale und Träume verraten hat, dann im Fall der Olympischen Bewegung der Moderne. Jetzt, während der grössten Krise des 21. Jahrhunderts zeigen die Olympischen Macher ihr wahres Gesicht.
Aber der machtbewusste, autoritäre IOC-Präsident hat vergessen, dass es eben doch die Spiele der Athletinnen und Athleten sind. Nun drohen sie und nicht Politiker zum ersten Mal in der Olympischen Geschichte mit einem Boykott. Es ist ein Aufstand, der Pierre de Coubertin gefallen hätte. Es gibt doch noch einen Olympischen Geist. Thomas Bach wird sich den Sportlerinnen und Sportlern beugen müssen. Die Spiele werden 2020 nicht wie geplant vom 24. Juli bis 9. August stattfinden. Ende der Polemik.
Auch "unser" Bundesanwalt Lauber könnte sich zu den beiden, zu Bach und Infantino, dazugesellen.
Diese drei würde die Honigtöpfe des IOC überquillen lassen.
Prost !
Der Polemikmeister hat die Entwicklung des IOC sehr gut aufgezeigt. Das Wort Lotter.. habe ich aber vermisst.
Item.