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Smart Cities: Grün, kreativ - und sehr gefährlich

«Bosco Verticale» in Mailand: Die Stadt wird zum Wald.
«Bosco Verticale» in Mailand: Die Stadt wird zum Wald.
Bild: STRINGER/ITALY/REUTERS

Die Stadt der Zukunft wird kreativer, smarter, grüner – und das ideale Opfer in einem Cyberwar

Im digitalen Zeitalter werden die Metropolen London, New York oder Zürich zu Hochburgen für kreative Singles. Das hat allerdings einen Pferdefuss: Die Smart Cities können sich nur schlecht gegen Terroristen aus dem Cyberspace schützen.
05.11.2015, 17:3606.11.2015, 22:51
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Die UBS hat kürzlich einen globalen Blasen-Index für Immobilien vorgestellt, den «UBS Global Real Estate Index». Darin werden die Orte aufgezählt, an denen der Markt überhitzt oder sich gar schon im gefährlichen Blasenbereich befindet. An der Spitze dieser Liste befinden sich London und Hong Kong, aber in Genf und Zürich sind Wohnungen und Büros ebenfalls überbewertet.

Dieses Phänomen hat einen Grund: Städte, vor allem internationale Metropolen, sind sehr attraktiv für die neue Elite des digitalen Zeitalters geworden.

In seinem Buch «Smart Cities im Cyber War» hat Florian Rötzer die Veränderung der Städte in den letzten Jahrzehnten analysiert. Der Chefredaktor des Online-Magazins «Telepolis» stellt fest, dass die Metropole des digitalen Zeitalters im Begriff ist, ihren Charakter grundsätzlich zu verändern.  

«In der On-Demand-Gesellschaft wird alles von der Massage und dem Sex bis zu frischen veganen Lebensmitteln prompt ins Haus geliefert.»
Florian Rötzer, Buchautor

Das beginnt schon bei den Bewohnern. «In den postindustriellen Städten Washington, San Francisco oder in Boston zeigt sich, dass nach der Klasseneinteilung der Wissenschaftler in der Innenstadt praktisch keine Angehörigen der Arbeiterklasse mehr wohnen», schreibt Rötzer. Das Phänomen lässt sich auch in Zürich feststellen: Das ehemalige Handwerker-Quartier Seefeld ist zu einer Oase für Aufsteiger geworden, in den ehemaligen Arbeiterkreisen 4 und 5 werden glitzernde Bürotürme und Wohnhäuser für die gehobenen Klasse hochgezogen.

Die Kreativen zieht es in die Stadt

Die Bewohner dieser Häuser gehören immer öfters einer gesellschaftlichen Gruppe an, die unter dem Oberbegriff «Kreative» zusammengefasst werden. Dazu gehören Software-Ingenieure genauso wie Medienschaffende, Designer, Architekten oder neuerdings die Vorhut der Bankenwelt, die Fintech-Spezialisten.

Die neuen Kreativen haben einen neuen Lebensstil entwickelt, die On-Demand-Gesellschaft, «in der alles von der Massage und dem Sex bis zu frischen veganen Lebensmitteln prompt ins Haus geliefert wird», wie Rötzer beschreibt. Die neue Elite hat auch eine Tendenz, sich vom Rest der Menschheit abzukoppeln. In den USA beispielsweise lässt sich ein Trend zu von privaten Sicherheitsdiensten streng bewachten «gated communities» feststellen.  

Der Paternoster Square mitten in London ist in Privatbesitz.
Der Paternoster Square mitten in London ist in Privatbesitz.
bild: shutterstock.

Die NZZ hat diese Entwicklung kürzlich wie folgt beschrieben: «Die Stadt wird zu einer Festung. Solche abgeschotteten Siedlungen sind vielerorts bereits Realität – in Kalifornien genauso wie in Brasilien oder Malaysia. Diejenigen, die es sich leisten können, ziehen sich in die isolierte Welt von Gated Communities zurück.»

Stadt wird zum Naturreservat

Grün ist die Farbe der digitalen Städte. Was heute noch gerne als Urban Gardening belächelt wird, ist ein zukunftsträchtiger Trend. «Die Stadt soll nicht mehr Gegenentwurf zum Land oder der Natur sein, sondern auch im Hinblick auf die Monokulturen und schwindende Artenvielfalt auf dem Land zu einer Synthese von Urbanität und Grün werden», schreibt Rötzer.  

Der neue Trend: Urban Gardening.
Der neue Trend: Urban Gardening.
bild: shutterstock.

Ein extremes Beispiel dieser Entwicklung sind zwei Wohnhäuser in Mailand, die mit einem richtigen Wald begrünt worden sind. Dieser Trend wird sich verstärken. «Die Schreber- und Kleingärten waren die Vorläufer», so Rötzer, «die nun von Urban Gardening oder Farming erweitert werden, während die Vertical Gardens oder Living Walls die Fassadenbegrünung durch im Boden wurzelnde Selbstklimmer wie Efeu oder andere Kletterpflanzen (...) weiter entwickeln.»

«Die Stadt wird zu einer Festung.»
Neue Zürcher Zeitung

In den grossbürgerlichen Villen der Stadt wurde einst die Privatsphäre entwickelt. In der digitalen Stadt der Zukunft wird sie wieder abgeschafft. Transparenz ist das Gebot der Stunde, die riesigen Fenster der modernen Wohnungen der sichtbare Ausdruck dafür. «Smarte Wohnungen, in denen nahezu alles zentral und auch aus der Ferne gesteuert werden kann, sind keine Panzer mehr für Innerlichkeit, sondern neue Körpergrenzen oder räumlich entfernte ‹Körperteile›, die sich wie eine Drohne fernsteuern lassen», so Rötzer.  

«Was der Blitzkrieg im 20. Jahrhundert war, wird im 21. Jahrhundert der Cyberwar.»
Florian Rötzer, Buchautor

Die entstehenden Smart Cities haben aber eine Achillesferse. Weil sie mit High-Tech vollgestopft und auf jede nur erdenkliche Art vernetzt sind, stellen sie ideale Ziele für Hacker in einem Cyberwar dar. In der Fachwelt spricht man daher von einem Verletzlichkeitsparadox. Darunter versteht man das Phänomen, dass die Städte gerade weil sie sich gegen Angriffe aus dem Cyberspace zu wappnen suchen, immer anfälliger für diese Angriffe werden. 

Eine Ruine in der von einer Atombombe zerstörten Stadt Hiroshima.
Eine Ruine in der von einer Atombombe zerstörten Stadt Hiroshima.
bild: Shutterstock.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki von amerikanischen Atombomben eingeäschert. Die grösste Gefahr für die smarten Cities der Zukunft sind Atombomben, die nicht am Boden, sondern hoch in der Luft explodieren. Sie zerstören keine Häuser und Strassen, aber sie legen das gesamte Stromnetz lahm.  

Die Folgen sind verheerend. «Es fallen Kraftwerke, Stromversorgung, Verkehrsleitsysteme, Heizung, Autos, Fahrstühle oder was auch immer aus», schreibt Rötzer. «Und damit weitgehend auch die Möglichkeit, eine Stadt gegen Angriffe mit Waffen zu verteidigen. Die smarte Stadt oder das smarte Heim werden damit zur Falle.»

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