Der Kanzler ist clever, wenn es darum geht, mit Vorwürfen zum umstrittenen Treffen mit dem Warburg-Banker Christian Olearius umzugehen. Er gibt nur das zu, was öffentlich bekannt wird. Bis dahin bezieht er sich auf Erinnerungslücken und fehlende Terminkalendereinträge. Viele Kritiker sagen, er verhöhne damit das Parlament, das in Ausschusssitzungen und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Klarheit schaffen wollte: Hat der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs und heutige Kanzler Einfluss auf ein Steuerverfahren in Hamburg genommen?
Jetzt hat sich der Kanzler aber offenbar in der eigenen Argumentation verheddert. Und auf Anfrage der Fraktion «Die Linke» im Bundestag, die t-online exklusiv vorliegt, reagiert die Bundesregierung schmallippig und verärgert. Hat der Kanzler einen Kalendereintrag zu einem Treffen mit Christian Olearius erfunden – und lügt er über seine Erinnerungslücken?
Olaf Scholz hatte sich zum Steuerverfahren mehrfach mit dem Warburg-Chef Christian Olearius getroffen. Der sitzt derzeit wegen der illegalen Cum-Ex-Geschäfte seiner Bank in Bonn auf der Anklagebank. Er soll sich Steuern erstattet lassen haben, die die Bank nie bezahlt hat. Cum-Ex nennt sich das. Als das Vorgehen aufflog, bat er um Treffen mit Scholz. Die Politik sollte helfen und hat geholfen. Scholz riet Olearius in einem der Treffen, dass er dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher eine Protestnote schreiben sollte. Das tat Olearius, das Finanzamt nahm die Steuerforderungen daraufhin zurück. Insgesamt geht es beim Warburg-Scholz-Cum-Ex-Skandal um gut 170 Millionen Euro.
Scholz hatte die Treffen mit Olearius immer bestritten. Nur weil die Medien an das Tagebuch von Christian Olearius gelangten, in dem er über die Treffen schrieb, musste Scholz schrittweise drei dieser Treffen einräumen, zog sich aber immer auf Erinnerungslücken zurück. Eines dieser Treffen fand am 10. November 2017 statt und könnte Scholz jetzt in Probleme bringen, denn er machte widersprüchliche Aussagen über die Erinnerungen an dieses Treffen.
So hatte Scholz im Februar 2020 als Bundesfinanzminister öffentlich im Hamburger Abendblatt zu einer kleinen Anfrage der Linksfraktion mitteilen lassen:
Diese Aussage enthält mindestens zwei Unwahrheiten, die Scholz in Bedrängnis bringen.
1.) Scholz wusste, warum der Senat nichts zu einem möglichen Kalendereintrag sagen konnte
Der letzte Satz des Pressestatements von Scholz' Sprecher Steffen Hebestreit ist unwahr. Im November 2019 antwortete der Senat auf eine Anfrage der Fraktion «Die Linke» in der Hamburger Bürgerschaft nach Treffen zwischen dem früheren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und Vertretern der Warburg-Bank zum Cum-Ex-Steuerverfahren gegen die Bank eindeutig: Es habe keine solchen Treffen gegeben. Dies stellte sich später als falsch heraus. Die sehr spezielle Begründung des Senats für die nicht erfolgte Offenlegung der Treffen lautete später: Da sich Erste Bürgermeister grundsätzlich nicht in laufende Steuerverfahren einmischen, habe man auch Treffen zu dem Steuerverfahren verneint.
Die Fraktion hakte im August 2023, und somit vier Jahre später, erneut nach, auf welcher Grundlage der Hamburger Senat damals solche Treffen verneint habe. Denn dem früheren Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi war aufgefallen, dass der Hamburger Senat laut eigenen Aussagen seit dem Amtswechsel von Scholz, der im März 2018 Bundesfinanzminister wurde, gar nicht mehr auf Scholz' Kalender zugreifen konnte.
Die Antwort des Senats im Behördendeutsch:
Zusammengefasst: Alles, was nötig und möglich ist, um die Frage zu beantworten.
Der Senat blieb tatsächlich nicht untätig und fragte Ende des Jahres 2019 im Bundesfinanzministerium wegen solcher Treffen von Scholz mit der Warburg Bank an, denn dort war Scholz mittlerweile Minister.
Scholz' Ministerium antwortete also einfach nicht, wusste, dass der Hamburger Senat nicht in den Kalender schauen konnte und erweckte dann trotzdem mit dem Schlusssatz im Pressestatement den irreführenden Eindruck, Scholz hätte mit der Nicht-Offenlegung der Treffen nichts zu tun gehabt:
Dabei wussten Scholz und sein Sprecher ganz genau, warum der Senat die Kleine Anfrage der Linken nicht zutreffend beantworten konnte. Denn Scholz hatte die Treffen trotz einer offiziellen Anfrage des Senats nicht offenbart.
2.) Der Kalendereintrag war seit mindestens März 2018 nicht in seinem Kalender
Der zweite Satz des obigen Pressestatements ist auch unwahr, konkret der Teil, in dem es heisst, dass das Treffen von Olearius und Scholz am 10. November 2017 «aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters» hervorgehe.
Denn zumindest im Februar 2020, zum Zeitpunkt des Scholz-Statements durch seinen Sprecher Hebestreit, war dieser Termin im Kalender nicht vorhanden. Es ist sogar mehr als fraglich, ob es ihn je gegeben hat.
Denn im April 2021 hatte die Büroleiterin von Olaf Scholz dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg Termine von Scholz und dem Banker Olearius übermittelt. Doch der besagte Termin am 10. November 2017 war offensichtlich nicht dabei. Die Büroleiterin, so berichtete es der Stern, schrieb in der Mail den Satz: «Zu diesem Termin finden sich keine Einträge im Ministerkalender des Bundesministeriums der Finanzen.» Und laut Stern soll sie in einer E-Mail noch deutlicher geworden sein:
Ein möglicher Grund für den fehlenden Eintrag: Als Scholz vom Amt des Ersten Bürgermeisters in Finanzministerium wechselte, soll es zu einem technischen Problem beim Überspielen des Dienstkalenders von Ende 2018 gekommen sein. So seien nach der Synchronisierung ab Mitte Oktober 2017 «ausschliesslich Termine meines Amtsvorgängers», Ex-Bundesminister Altmaier, zu finden, das sagte Scholz selbst im Hamburger Untersuchungsausschuss.
Es gab also zum Zeitpunkt des Pressestatements keinen Kalendereintrag zu dem Termin. Scholz lässt hier also eine Unwahrheit mitteilen. Und: Wenn es einen solchen Kalendereintrag nie gab, kann er sich darauf in der Beantwortung der Fragen der Linkspartei nicht stützen. Er muss also eine eigene Erinnerung an den Termin haben, was er bis zuletzt immer bestritt. «Kanzler Scholz lügt über Erinnerungslücken und erfindet einen Kalendereintrag», sagt Cum-Ex-Experte Fabio De Masi, der lange Zeit für die Linken im Bundestag sass und zuletzt Anzeige gegen Scholz wegen einer Falschaussage erstattet hatte. «Damit ist auch die Erinnerungslücke widerlegt, denn ich kann einen Termin nur dann ohne eine Aufzeichnung bestätigen, wenn ich mich erinnere.»
Auch wenn De Masi mittlerweile aus der Partei ausgetreten ist, arbeitet er weiter eng mit Politikern der Fraktion zusammen. So hatte er gemeinsam mit Christian Leye eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und sie mit den oben genannten Widersprüchen konfrontiert. Die Antwort fällt ernüchternd aus:
«Jetzt ist es schwarz auf weiss», kommentiert Christian Leye, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. «Die Bundesregierung kann die Widersprüche von Olaf Scholz nicht widerlegen. Wir haben einen Bundeskanzler, der die Öffentlichkeit nachweislich belogen hat.» De Masi ergänzt:
Dass jetzt tatsächlich die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Kanzler ermittelt, glaubt De Masi nicht. «Die Hamburger Staatsanwaltschaft, die der grünen Justizsenatorin untersteht, hat sich in der Warburg Affäre im Unterschied zu den Kölner Cum-Ex-Staatsanwälten bisher immer gegen Ermittlungen gestemmt.» Denn die Ermittler behaupteten laut De Masi, in der Vergangenheit bei einer vorherigen Strafanzeige des renommierten Hamburger Strafverteidigers Gerhard Strate, Scholz habe womöglich im Bundestag den Sachverhalt nicht korrekt wiedergegeben, nicht aber im Hamburger Untersuchungsausschuss. «Er konnte sich also bereits in der Vergangenheit nur mit einer theoretischen Lüge im Bundestag vor der Strafverfolgung retten. Die Widersprüche mit dem Kalendereintrag lassen diese Ausrede aber nicht mehr zu!», so De Masi.
t-online wollte von der Bundesregierung wissen, wie sie diesen Widerspruch in der Darstellung erklären. Es gab keine Antwort. Offensichtlich gehen hier mittlerweile tatsächlich die Argumente aus.
Der Olaf war in einen Betrugsskandal verwickelt.