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Vom Schuldenberg zum Millionär – Die Geschichte eines Zürcher Bitcoin-Zockers

Yves Welti hat mit Bitcoins etwas Geld gemacht und sich davon einen Lotus (Auto) und ein Nummernschild gekauft. Photo by Roland Schmid
Ohne Bitcoins würde er immer noch Roller fahren. Yves (27) mit seinem Lotus vor dem Zürcher Schiffbau.Bild: AZ/roland schmid
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Vom Schuldenberg zum Millionär – Die unglaubliche Geschichte eines Zürcher Bitcoin-Zockers

Drei schlaflose Jahre, Schulden bei der Oma und ein Ultimatum der Freundin: Yves bezahlte einen hohen Preis für seine Sucht. Durch das Hochrisikospiel mit dem digitalen Geld häufte er massig Schulden an. Doch heute fährt er mit dem Lotus vor.
09.01.2018, 05:1903.04.2018, 16:45
Antonio Fumagalli / az Aargauer Zeitung
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Am 24. Juni 2016 war er am Ende. Mit Tränen in den Augen sass Yves Welti, Lebemann, Versicherungsangestellter und Bitcoin-Hasardeur, auf dem Sofa seiner Grossmutter und erzählte ihr alles. Sie war die einzige Person, der er sich anvertraute. Und vielleicht auch die Einzige, die ihn verstand.

Innert zweieinhalb Jahren hatte er 180'000 Franken verloren, einen Schuldenberg von über 90'000 Franken angehäuft und als Nebeneffekt auch sein Leben ins Verderben geritten. Trotz fortlaufender Lohnzahlung konnte er nicht einmal mehr die Zinsen der Darlehen begleichen. Die Schuldenfalle war mit voller Wucht zugeschnappt.

Die Oma beschloss, ihm aus der Patsche zu helfen. Ein letztes Mal. Sie tilgte einen Teil der Schulden und rang dem Enkel ein Gelübde ab: Nie mehr Bitcoin-Zockerei mit Fremdkapital. Yves versprach es – und lief kurz darauf mit einem prall gefüllten Couvert aus der Bankfiliale. «Die dachten wohl, ich sei ein Enkeltrick-Betrüger», sagt er.

Die Gier

Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Für eine Seminararbeit an der Uni recherchierte der damals 23-Jährige zum ersten Mal über Kryptowährungen. Das war im Herbst 2013, ein Bitcoin kostete 120 Franken. Ein paar Monate später war er selbst im Business: Mit einem Teil seines Ersparten kaufte er sich die ersten Bitcoins. Ein Kinderspiel. Schnell entdeckte er ein System, wie er das eingesetzte Geld scheinbar mühe- und risikolos vermehren konnte.

Das Zauberwort hiess «Arbitrage». Er kaufte die Bitcoins auf einer günstigen Plattform und verkaufte sie auf der teureren wieder. Das ergab einen Ertrag von rund 8 Prozent – pro Monat. Weil es so gut lief und er dazulernen wollte, schrieb er seine Bachelorarbeit zum Thema.

Yves Welti hat mit Bitcoins etwas Geld gemacht und sich davon einen Lotus (Auto) und ein Nummernschild gekauft. Photo by Roland Schmid
Eine Seminararbeit an der Uni brachte Yves in den Bitcoin-Handel. Bild: AZ

Wenig später traf das Worst-Case-Szenario ein. Eine der beiden Börsen ging Konkurs, ein Grossteil seines Kapitals war auf einen Schlag weg. Yves liess sich nicht entmutigen und lieh sich bei seinen Schwestern und seiner Grossmutter Geld. Viel Geld. Weil ein Blitz bekanntlich nicht zweimal an der gleichen Stelle einschlägt, betrieb er sein Arbitrage-System weiter.

Doch warum «nur» 8 Prozent gewinnen, wenn es doch viel mehr sein könnte? «Ich wurde schlicht und einfach zu gierig», bilanziert Yves heute. Beim sogenannten Margin- und Future-Trading ist der potenzielle Gewinn dank der Hebelwirkung x-fach höher – der Verlust aber auch.

Ein Beispiel mit Faktor 20: Wettet man darauf, dass der Kurs steigt und er tut es um 5 Prozent, verdoppelt man den Einsatz. Fällt er um 5 Prozent, ist alles weg. Beim volatilen Kurs von Kryptowährungen sind solche Geschäfte ein hochriskantes Spiel mit dem Feuer.

«Ich war in dieser Zeit ein echter Zombie. Meine Freundin hat mir gar ein Ultimatum gestellt.»

Das ging mal gut, mal schlecht. Und wenn schlecht, dann richtig. Bald schon war Yves komplett pleite. Die Grossmutter und die Schwestern getraute er sich nun nicht mehr anzupumpen. Also ab zum Kreditinstitut, das an jeder Strassenecke um Kundschaft wirbt. Dieses wusste nichts von seinen privaten Schulden und gewährte das Darlehen ohne viel Federlesens. Wir schreiben den Sommer 2015, das Zocken mit dem fiktiven Geld konnte weitergehen, als wäre nichts gewesen.

Wie bei jeder Sucht, denkt der Betroffene stets: Nur jetzt dieses eine Mal noch, dann höre ich auf. Doch mit jedem Verlust muss das Risiko vergrössert werden, um ihn möglicherweise wieder auffangen zu können. Das konnte nicht gut gehen. Das Fremdkapital war bald aufgebraucht, das Kreditinstitut gewährte eine weitere Tranche. Was er von seinem Lohn nicht für den bescheidenen Lebensunterhalt brauchte, ging für die Zinsen drauf.

Doch noch rollte der digitale Rubel – und zwar 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Alle zehn Minuten checkte Yves den Kurs des Bitcoins, ein Tab der Börsenwebseite war im Browser stets geöffnet. Er ging zwar weiterhin in den Unihockeyclub, schaute bei Trinkpausen aber aufs Handy.

Yves Welti hat mit Bitcoins etwas Geld gemacht und sich davon einen Lotus (Auto) und ein Nummernschild gekauft. Photo by Roland Schmid
Alle 10 Minuten checkte Yves den Bitcoin-Kurs.Bild: AZ

Erzählt hat er niemandem etwas und wenn, dann nur bruchstückhaft. Nachts konnte er nicht einschlafen und wenn es doch gelang, wachte er mehrmals auf – teilweise auch, weil ein eigens eingerichteter Bitcoin-Alarm ihn über drastische Kursanstiege oder –verluste informierte. Drei Jahre lang habe er nicht mehr durchgeschlafen, erzählt Yves.

Stundenlang habe er in Echtzeit zugeschaut, wie sich der Kurs entwickelte und sei mehrmals mit dem Laptop auf den Knien eingeschlafen. «Ich war in dieser Zeit ein echter Zombie, man kann es nicht anders nennen», sagt er. Seine damalige Freundin habe ihm eines Tages ein Ultimatum gestellt – sie oder die Bitcoins. Yves zockte heimlich weiter.

Zu Geld habe er ein schizophrenes Verhältnis entwickelt: Beim Einkaufen habe er weiterhin auf Aktionen geschaut, obwohl er, bis er an der Kasse war, möglicherweise hunderte oder gar tausende Franken reicher war. «Wer mit Kryptowährungen handelt, sollte sich bewusst sein, dass man innerhalb von wenigen Tagen mehrere Jahreslöhne gewinnen, aber eben auch verlieren kann», sagt Yves.

So im Frühling 2016: Dank richtig getippter Kursentwicklung «machte» er innert vier Wochen aus 5000 Franken zuerst 40'000 und dann 135'000 Franken. Die 270 Bitcoins, die er zu diesem Zeitpunkt besass, hätten heute einen Gegenwert von rund vier Millionen Franken. Hätten, wären. Die Realität sah anders aus.

Drei Tage später war alles wieder weg – und Yves sass schluchzend auf besagtem Sofa seiner Oma. Das Spiel war aus. «Ich dachte, die nächsten Jahre damit zu verbringen, Schulden abzubezahlen», sagt er.

Geld verliert an Stellenwert

Es kam anders. Trifft man Yves heute, fährt er mit einem Lotus vor. Ein Bubentraum, gekauft mit Bitcoins. Und das ist nur der Vorgeschmack. Der plötzliche Reichtum ist mit einer Zahl erklärbar: 2017. Der Bitcoin-Kurs explodierte im letzten Jahr derart , dass man mit einer konservativen Strategie eigentlich fast nur gewinnen konnte. Denn das Versprechen, das er seiner Grossmutter abgegeben hatte, wollte Yves nicht brechen. Fremdkapital nahm er also nicht mehr auf. Vom Zocken konnte er die Finger aber nicht lassen.

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Der Bitcoin-Kurs ist in den letzten Monaten explodiert.Bild: EPA/EPA

Er hätte sich nicht verzeihen können, so lange auf eine Kursexplosion zu warten, nur um sie dann zu verpassen, wenn sie da ist. Was er vom eigenen Lohn entbehren konnte, investierte er also weiterhin – nun aber ohne übertriebene Hebelwirkung. Er machte sich einen langfristigeren Investitionsplan und rannte nicht mehr jeder Kursveränderung nach.

Vor allem aber hatte er das Glück, dass 2017 das Jahr war, in dem auch Otto Normalverbraucher begann, Bitcoins zu kaufen. Das katapultierte den Kurs in ungeahnte Höhen. Ohne grosses Zutun hatten Yves Bitcoins plötzlich einen Wert von 400 000 Franken und einige Monate später über eine Million.

Aus Spielgeld wurde Bargeld

Der vordefinierte Meilenstein war längst erreicht, er liess sich 250'000 Franken auszahlen. Bingo! Aus dem Spielgeld wurde über Nacht echtes und lag jetzt auf seinem Bankonto. Unberührt und greifbar, als wäre nie etwas gewesen. Yves musste zweimal hinschauen, als im E-Banking der Kontostand aufblitzte.

Endlich konnte er nun sämtliche Schulden bei seiner Grossmutter begleichen. Der Rest reichte immer noch locker für den Rennwagen und eine besonders seltene Kartenkombination seines früheren Lieblingsspiels «Magic the Gathering». Alleine für die Spielkarten liess er 20'000 Franken liegen, weitere 7000 gingen für das Nummernschild «ZH 900900» drauf.

Zeigen solche Käufe nicht, dass er längst abgehoben ist und keinen Bezug mehr zu ehrlich verdientem Geld hat? «Es hat schon was. Wenn man in jungen Jahren so viel verdient hat, verliert Geld an Stellenwert», sagt er. Er lebe aber immer noch in einer bescheidenen WG und übernehme einen Grossteil der Miete seines Mitbewohners.

Zudem wolle er etwas an die Allgemeinheit «zurückgeben». So tüftelt er derzeit an der Idee, wie man Autoren von Onlinebeiträgen – etwa in Foren oder bei Enzyklopädien – mit einem Mikropayment-System für ihren Aufwand entschädigen könnte.

Passanten zücken die Kamera

Yves nimmt einen Schluck Tee. Das Handy hat er in den letzten zwei Stunden nie angeschaut, obwohl er immer noch Kryptogeld im Wert von über einer Million Franken besitzt. Die genaue Summe ändert jede Stunde – und Yves will sie auch nicht in der Zeitung lesen. Bei einem Börsencrash vor Weihnachten erlitten seine Bitcoins einen Buchverlust von einer Summe, welche die meisten Menschen im Land nie auch nur annähernd besitzen werden.

Doch die Kursschwankungen lassen ihn mittlerweile unberührt, er schläft in der Nacht durch. Sogar wenn der Kryptomarkt völlig zusammenbrechen würde – woran er nicht glaubt –, würde ihn das nicht mehr aus der Bahn werfen. Zu viel Geld hat er damit schon verdient. Und zu viel Glück hat er seit jenem schicksalhaften Nachmittag auf dem Sofa der Grossmutter schon in Anspruch genommen.

Von Autos, Yves gibt es unumwunden zu, habe er eigentlich nicht viel Ahnung. Der Lotus gefalle ihm halt einfach optisch. Dass dieser Blicke anzieht – alleine beim zwanzigminütigen Fototermin im Zürcher Kreis 5 zückt ein halbes Dutzend Passanten die Handykamera –, sei «schon noch geil».

In Beziehungssachen könne es aber auch zum Nachteil gereichen. Er wolle schliesslich keine Partnerin, die nur aufs Materielle aus sei, sagt er. So liess er den Sportwagen beim ersten Date mit der aktuellen Freundin in der Garage. Und fuhr mit dem Roller vor. 

Bitcoin & Co.: Was sind Kryptowährungen?
So bezeichnet man digitale Währungen, bei denen alle Transaktionen mithilfe von Kryptografie verschlüsselt werden. Der Durchbruch der Kryptowährungen kam 2009 mit der Lancierung des Bitcoins und der Einführung der Blockchain. Diese Technologie ist vergleichbar mit einer gigantisch grossen Excel- Tabelle, in die alle neuen Transaktionen eingetragen werden.nGespeichert ist dieses Verzeichnis aber nicht wie sonst üblich auf einem einzelnen Computer, wo es leicht gehackt und manipuliert werden kann, sondern dezentral auf Tausenden von Rechnern. Dadurch wird es unter anderem möglich, Geld über Ländergrenzen hinweg zu verschicken, ohne dass eine Bank oder eine andere zentrale Organisation involviert ist. Die Blockchain ist deshalb heute die Grundlage der meisten Kryptowährungen.

Die reichsten acht Männer besitzen soviel wie die halbe Welt

Video: watson/Lya Saxer
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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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peigi
09.01.2018 06:21registriert Juni 2016
Ich gönne ihm den Erfolg, fürchte aber, dass sein aktueller Reichtum wohl temporär sein könnte. Es klingt im Artikel eher nach jemandem mit Spielsucht statt einem Bitcoinwunderkind....

Wenn man mit 27 eine Million verdient, würde ich mir sicher auch etwas leisten, aber 90% des Kapitals würde ich in meine Zukunft investieren (Selbstständigkeit, Immobilien etc.). Vielleicht sind Magic Karten oder unverkaufbare Nummernschilder aber auch tolle Anlagen ;)
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PVJ
09.01.2018 08:10registriert Februar 2014
... und nächste Woche bringt ihr dann die Geschichte von Peter, der dasselbe tat, aber dummerweise keine Grossmutter mit Geld hatte. Und der deshalb nicht Lotus fährt, sondern Velo, und immer noch seine Schulden abstottert. Ok?
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Nonickname123
09.01.2018 07:37registriert Juli 2015
Hätte er seine Bitcoin gehodlet, hätte er wahrscheinlich keine Schulden machen müssen und noch mehr Rendite als zuvor... hört sich hier eher nach Spielsucht an.

(und ja verstehe ihn, selber in einem Monat einen Jahreslohn verdient, was eigentlich völlig krank ist...)
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