In einem Video aus den USA bringt eine Frau ihr Kind in der freien Natur und ohne ärztliche Hilfe zur Welt. Was halten Sie davon?
Barbara Stocker: Ich sehe nicht, dass es einen Trend zu Naturgeburten gibt – zumindest nicht in der Schweiz. Aber ich kann mir vorstellen, dass es eine Art Gegenbewegung gibt. Gerade in den USA, wo die Geburtshilfe stärker medizinalisiert ist als in der Schweiz, wollen Frauen offenbar einen anderen Weg gehen.
Ist es gefährlich, ein Kind ganz ohne ärztliche Hilfe zu gebären?
Nein. Eine Betreuung durch eine Hebamme ist eine adäquate Geburtshilfe. Aber wenn eine Frau wirklich ganz alleine – also auch ohne Hebamme – gebären will, dann muss sie ganz genau wissen, warum sie das macht.
Was sagen Sie einer Frau, die den Wunsch äussert, ihr Kind ohne Arzt und ohne Hebamme auf die Welt zu bringen?
Wenn sie das will und sich das zutraut, kann man sie nicht daran hindern.
Aber Sie empfehlen es nicht?
Ich finde es schon sinnvoller, wenn eine Hebamme dabei ist. Diese kann auch nur zuschauen, nichts sagen, nichts berühren, gar nichts machen – ausser regelmässig die Herztöne des Kindes kontrollieren.
Was halten Sie davon, dass die Frau in dem Video zwar ganz alleine gebiert, aber dabei gefilmt wird?
Dass man sich filmen oder fotografieren lässt bei einer Geburt in der Natur, finde ich okay. Dass man diesen Film dann auf YouTube stellt, kann ich nicht nachvollziehen.
Wird der Wunsch, dass die Hebamme möglichst wenig eingreift, häufig geäussert?
Ja, es gibt schon Frauen, die ganz für sich sein und die Geburt allein verarbeiten wollen. Das sind oft Frauen, die zum Beispiel eine Hausgeburt wählen.
Ist die Hausgeburt wieder im Kommen?
Nein, der Anteil blieb stabil in den letzten Jahren und liegt bei etwa einem Prozent: Im Jahr 2012 kamen in der Schweiz 719 Kinder zu Hause zur Welt. Dann gibt es noch diejenigen Frauen, die ins Geburtshaus gehen. Das sind etwa zwei bis drei Prozent der Geburten.
Warum wollen diese Frauen nicht mehr ins Spital?
Viele Frauen wünschen sich bei einer Geburt möglichst viel Ruhe. Und das wird in einem Geburtshaus oder zu Hause gewährleistet. Im Spital wird auch versucht, die Frauen zu schützen, damit nicht ständig jemand den Raum betritt. Aber dort läuft einfach mehr. Vor allem in grossen Kliniken ist es schwierig, für Ruhe zu sorgen. Auch die Schichtwechsel machen Gebärenden manchmal Mühe.
Gleichzeitig kommt in der Schweiz inzwischen jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Ist das nicht ein gegenläufiger Trend zur Naturgeburt?
Der Anteil der Kaiserschnittgeburten ist in ganz Europa hoch, etwa gleich hoch wie in den USA – also über 30 Prozent – und hat in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen. Bis vor 15 Jahren wiesen die meisten Kliniken Kaiserschnittraten von unter 20 Prozent auf. Es könnte schon sein, dass diese steigende Rate eine Gegenbewegung in Richtung Allein- oder Naturgeburt auslöst.
Welche ist die gebräuchlichste Geburtsmethode in der Schweiz?
Das Wichtigste ist den Frauen die Sicherheit: Viele Frauen entscheiden sich deshalb für eine Spitalgeburt, weil sie sich dort sicherer fühlen. Viele würden sich eine Eins-zu-eins-Betreuung durch die Hebamme wünschen. Was zurzeit sehr gesucht ist, sind Beleghebammen-Geburten.
Was versteht man darunter?
Man sucht sich vor der Geburt selbst eine Hebamme, die dann mitkommt ins Spital – wie die Gynäkologen, die eine Arztpraxis haben, aber mit einem Spital zusammenarbeiten. Eine Beleghebamme begleitet die Frau bereits in der Schwangerschaft, führt Kontrollen durch und kann die Frau auch noch im Wochenbett betreuen. Das Angebot an Beleghebammen ist in der Schweiz noch zu klein.
Welche Art von Geburt legen Sie einer Frau ans Herz – vorausgesetzt die Bedingungen sind ganz «normal»?
Wenn sie sich das zutraut, darf das durchaus eine Hausgeburt sein. Ich finde auch, dass das Geburtshaus eine sehr gute Alternative zum Spital ist.
Also eher nicht im Spital?
Wenn ich einer Frau eine Hausgeburt empfehlen kann, mach' ich das. Wenn sich eine Frau das nicht vorstellen kann, dann empfehle ich das Spital. Wichtig ist aber, dass die Gebärenden nicht darauf fixiert sind, dass alles ganz genau so abläuft, wie sie es sich ausmalen.