Schrecklich sei es, sagt Frau Federer. «Wir bekommen Bettelbriefe und nachts Anrufe von betrunkenen Fans.» Ihr Mann heisst Roger. Es ist nicht der Tennisspieler, den haben die Federers nie getroffen. «Sicher ein netter Mensch, aber mein Mann ist Dachdecker.» Reden will er nicht, obwohl er im Telefonbuch steht.
Manchmal ist es eine Bürde, ein Namensvetter des Stars zu sein. Muss es aber nicht. Ein anderer ist Künstler, 48-jährig. Wird sein Pass kontrolliert, reiben sich die Grenzwächter verwundert die Augen. Und als er etwas im Internet verkaufen wollte, fragte der Käufer, ob er den Artikel unterschreiben könne. Gibt es auch Vorteile, Roger Federer zu heissen?
«Das können Sie vergessen», sagt der Künstler. Im Gegenteil: «Man macht sich mehr Druck.» Fan ist er gleichwohl, früher stand er nachts auf, um die Matches zu verfolgen. Heute nicht mehr. Auch er wird älter. Zu einem kurzen Treffen kam es 2017. Er widmete dem Star eine Plastik, die er zugunsten von dessen Stiftung versteigerte.
«Er ist ein ganz normaler Mensch. Als hätte ich mit meinem Nachbarn gesprochen», zeigte er sich tief beeindruckt. Doch er sagt auch: «Es geht im Leben um das, was man selber leistet.» Übrigens: gemeinsam haben Roger Federer und Roger Federer nicht nur den Namen, sondern auch den Heimatort.
Seine Technik ist unverkennbar, oft punktet er mit der Vorhand. «Ich bin einer, der auf dem Platz ziemlich schiesst.» Das Spiel gewinnt der Mann mit 6:3, 6:1. Es ist sein vierter Erfolg in Serie, Niederlagen sind selten. Eine Zeit lang spielte er in Australien Profi-Turniere, sagt aber: «Wenn ich zwei Wochen am Stück trainieren musste, hing es mir zum Hals raus.»
Reto Schmidli (40) war immerhin einmal die Nummer 40 der Schweiz. Im Tennis hat er etwas erreicht, was vor und nach ihm niemandem mehr gelang: Er besiegte Roger Federer mit 6:0, 6:0. Es war ein sonniger Mittwochnachmittag im Sommer 1991 auf der Anlage des TC Grüssenhölzli in Pratteln, Baselland.
«Es hatte nichts zu bedeuten: Ich war fast dreizehn, Roger erst zehn», sagt Schmidli. Federer erinnerte sich Jahre später daran: «Ich hatte das Gefühl, dass ich gar nicht so schlecht gespielt hatte. Dennoch verlor ich 0:6, 0:6.» Mutter Lynette musste seine Tränen trocknen. Federer gewann das Turnier im Jahr darauf, Schmidli machte als Polizist Karriere.
Tennis spielt Schmidli noch immer. Auf den Sieg von damals wird er auch 27 Jahre später angesprochen. Übrigens: Die einst stolze Anlage des TC Grüssenhölzli mit elf Plätzen gibt es nicht mehr. Im Jahr 2000 eröffnete ein Möbelriese ein Kaufhaus. Das «Velo», das Schmidli Federer damals verpasste, bleibt hingegen unvergänglich.
Er berichtet vom Lauberhorn, aus Kitzbühel, von Olympischen Spielen und von den grössten Tennis-Turnieren. Sein Enthusiasmus ist ansteckend, die Stimme unverkennbar. Sein Name: Berni Schär (63), Reporter beim Radio SRF. Kaum einer hat die Karriere von Roger Federer so eng begleitet wie er.
Kennen gelernt hat er ihn 1998 in Genf während des Fed-Cup-Finals der Schweiz gegen Spanien. «Ich habe ihn gefragt, ob er in die Reporter-Kabine kommt. Da haben wir das erste Interview gemacht», erinnert sich Schär, dessen Sohn Jonas Tennis spielt und im Januar Schweizer Meister wurde.
Über Federer sagt Schär: «Er ist in jeder Beziehung eine absolute Ausnahmeerscheinung.» Er schätze Federers Eloquenz, «vor allem aber seinen Anstand, den Respekt vor dem Mitmenschen und seine Einfühlsamkeit.» Respekt, Anstand, Demut, Bescheidenheit, aber auch Dezidiertheit – das seien Werte, für die auch er einstehe.
Hat Roger Federer sein Leben verändert? «Das kann man schon sagen. Dank seinen Erfolgen konnte ich auf der ganzen Welt arbeiten: in Schanghai, Houston, New York.» Wie es der Zufall will, dürften seine Pensionierung und ein möglicher Rücktritt Federers in den gleichen Zeitraum fallen. «Ich bin mit ihm gross geworden und höre mit ihm auf. Das ist einmalig.»
Fünf Wochen Ferien hat Doris Löffel jährlich. Fünf Wochen, um ihrem Idol Roger Federer hinterherzureisen. «Ich habe keinen Mann, der mir sagt: ‹Bleib zu Hause›. Und Skiferien oder eine Malediven-Reise kann ich auch noch machen, wenn ich pensioniert bin», sagt die 50-Jährige.
Roger Federer hat es ihr angetan: «Er spielt so schön, ist immer freundlich und am Boden geblieben.» «Ein kleines Vermögen» hat die Sekretärin ausgegeben, um den Baselbieter live spielen zu sehen. Löffel war mindestens einmal an allen vier Grand-Slam-Turnieren. In Basel, Halle und Paris ist sie Stammgast.
«Andere kaufen sich von dem Geld einen Mittelklassewagen, ich schaue Federer.» Als er vor 20 Jahren als Junior Wimbledon gewinnt, hört Löffel zum ersten Mal von Federer. 2001 steht sie in Roland Garros erstmals neben ihm. Damals war er noch nicht abgeschirmt und die Jagd nach Autogrammen war bedeutend einfacher als heute.
Löffel hat Federer mittlerweile so oft getroffen, das dieser ihren Namen kennt. Das hat auch damit zu tun, dass sie seit 2005 im Federer-Fanclub ist und sich im Vorstand um Fanausflüge und Ticketbeschaffung kümmert. Die fleissige Emmentalerin hat bis heute schon über 50 Unterschriften von ihrem Idol gesammelt – und in den nächsten Tagen könnten in Basel weitere hinzukommen.
Nicht viele können behaupten, den erfolgreichsten Spieler der Tennisgeschichte mehr als einmal bezwungen zu haben, er schon: Danny Schnyder, der Bruder von Patty Schnyder, einst selber ein talentierter Junior aus dem Baselbiet. Logisch, kam es immer wieder zum Duell. Und die ersten acht gewann Schnyder.
«Er spielte die Rückhand einhändig und war dort schwächer», sagte er. Also habe er immer auf die Rückhand gespielt – so, wie das später auch Nadal oder Djokovic machten. Der Rivalität auf dem Platz zum Trotz werden aus den Konkurrenten Freunde.
1995 werden Federer und Schnyder Schweizer Meister im Doppel, das Einzel gewinnt Federer – nach einem Finalerfolg gegen Schnyder. Danach trennen sich ihre Wege: Federer geht nach Ecublens, verfolgt eine Profi-Karriere, Schnyder macht im Beruf Karriere, studiert Politologie, lebt in Peking, macht in Mexiko einen Master in «Internationalen Beziehungen» und lebt heute mit seiner Familie in San Diego.
Über Roger Federer sagte er einmal: «Ich kenne niemanden, der so viel Liebe zum Tennis mitbringt.» Viel wichtiger aber, und das sagen alle Jugendfreunde Federers: Er sei eine treue Seele und normal geblieben. Geblieben ist auch die Freundschaft zu Schnyder, obwohl sich ihre Leben in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt haben.
Wenn die Swiss Indoors näher kommen, rückt sie in den Fokus: CNN war da, die BBC, die New York Times. Allen hat sie Auskunft gegeben, die Frau mit dem gepflegten Kurzhaarschnitt. Sie, das ist Madeleine Bärlocher, die erste Trainerin von Federer im TC Old Boys Basel, wo sie in den 1980er-Jahren Juniorenverantwortliche war.
Es kam vor, dass ein japanischer Reisecar am St.Galler-Ring 225 haltmachte, um Roger Federers Wiege zu sehen. «Sie sind ausgeschwärmt, haben alles fotografiert, und am Ende haben sie das Buffet im Klubrestaurant leergegessen», erinnert sich Bärlocher. Auch ihr Leben hat Federer verändert.
«Lynette Federer kam auf mich zu und sagte: ‹Du, ich habe einen Sohn. Er ist sieben Jahre alt und würde gerne Tennis spielen. Kann er bei euch mittrainieren?›», erzählt Bärlocher, die 1959 als 18-Jährige selber in Wimbledon spielte. Er konnte. «Er hatte ein Händchen für unglaubliche Punkte, probierte immer neue Dinge aus, wollte Grenzen ausloten.»
Dass er so erfolgreich würde, hätte aber niemand gedacht. «Sonst hätte ich mehr Erinnerungsstücke aufbewahrt.» Federer sei fleissig gewesen. Und immer anständig. «Bei mir durfte er kein Racket werfen», sagt Bärlocher. Nur einfach war es trotzdem nicht. «Als ich ihn einmal nur im Doppel spielen liess, war er richtig wütend.»
Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic sind Ikonen einer goldenen Generation im Männertennis. Oft sind ihre Duelle episch, die Rivalitäten gehören zu den besten, die der Weltsport hervorgebracht hat. Das hat auch Auswirkungen auf das Geschäft: Das Tennis floriert, die Stadien sind voll, der Rubel rollt.
Über fünf Millionen Zuschauer verfolgen die Turniere auf sechs Kontinenten in den Stadien, eine Milliarde schaut im TV zu. Davon profitieren nicht nur Spieler, Sponsoren und Turnierveranstalter, sondern auch Trittbrettfahrer.
Zum Beispiel jene Menschen, die sich während der Swiss Indoors vor der St.Jakobs-Halle herumtreiben und Tickets an den Mann und die Frau bringen wollen: die Schwarzhändler. In Basel sind sie meist aus dem Elsass, auf dem Arbeitsmarkt sind ihre Chancen gering. «Für mich ist das nicht kriminell, was ich mache», sagt einer von ihnen. Sein System ist einfach: «Ich kaufe Tickets und versuche, sie teurer zu verkaufen.»
Die Polizei lässt ihn gewähren. Doch auch dieser Job kennt Abhängigkeiten. Und diese haben mit Federer zu tun. «An Tagen, an denen er nicht spielt, läuft nichts. Ganz schlimm war es im Vorjahr, als Roger Federer verletzt war», sagt der Franzose. Die günstigsten Tickets kauft er für 40 Franken. «Läuft es gut, verkaufe ich es dann für 500.»
Jedes Kind verändert das Leben seiner Eltern. Doch selten so radikal wie im Fall von Roger Federer. Weil er überall auf der Welt im Mittelpunkt steht, kennt man auch ihre Gesichter: jenes von Vater Robert und Mutter Lynette. Während er für einen Schwatz empfänglich ist, hält sich die aus Südafrika stammende Mutter zurück. Öffentlich reden sie beide kaum einmal.
Wie ihr Sohn halten sie Werte wie Bescheidenheit, Zurückhaltung und Demut hoch. Im Familienunternehmen sind beide wichtig. Sie kümmern sich um die Fanpost und die Administration. Sind sie ein paar Tage weg, warten ganze Kisten auf die Federers. Die Absender kommen aus China, Taiwan, aus der Karibik.
Oft reisen die Eltern an Turniere mit, sind sie in der Schweiz, geniessen sie die Diskretion. Mutter Lynette sagt: «Ich werde schon erkannt, aber die Leute lassen sich meistens nichts anmerken.» Wichtig sind ihr die sechs Enkelkinder, auch Rogers Schwester ist Mutter von Zwillingen.
«Ich reise Roger immer noch regelmässig hinterher. Heute aber aus anderen Gründen. Als stolze Grossmutter möchte ich eine intensive Beziehung zu meinen Enkeln pflegen. Das geht jedoch nur, wenn ich sie auf der Tour besuche. Da halten wir uns aber weniger auf Tennisplätzen auf, sondern besuchen Spielplätze, Zoos und Freibäder.»