International
Analyse

Kann Donald Trump je zur Verantwortung gezogen werden?

Former President Donald Trump laughs at a joke at a border security briefing at the Texas DPS Weslaco Regional Office on Wednesday, June 30, 2021, in Weslaco, Texas. (Joel Martinez/The Monitor via AP, ...
Bild: keystone
Analyse

Kann Donald Trump je zur Verantwortung gezogen werden?

Trotz der Anklage gegen seine Firma und seinen Finanzchef bleibt der Ex-Präsident gelassen. Zu Recht?
02.07.2021, 16:08
Mehr «International»

In Samuel Becketts Theaterstück «Warten auf Godot» warten die zwei Protagonisten quälend lange auf eben diesen Godot, der nie erscheint. Ähnlich fühlen wohl viele Nicht-Trump-Fans. Sie sehnen sich ein Ereignis herbei, das dazu führt, dass der Ex-Präsident endlich zur Rechenschaft gezogen wird, ja im besten Fall sogar hinter Gittern landet.

Grund dafür gibt es reichlich: Zwei Impeachment-Verfahren hat Trump unbeschadet überstanden. Ebenso die Russland-Affäre, den Skandal um die Schweigegelder an den Pornostar Stormy Daniels, die Absicht, das G-7-Treffen auf einem seiner Golfresorts durchführen zu lassen und andere Versuche, finanziell vom Präsidentenamt zu profitieren.

epa09316520 Allen Weisselberg, (C) the chief financial officer for the Trump Organization, departs from court after a hearing related to an indictment by the Manhattan district attorney's office  ...
In Handschellen dem Richter vorgeführt: Allen Weisselberg, Finanzchef der Trump Organization.Bild: keystone

Ein einziger dieser Skandale hätte wahrscheinlich jeden anderen zu Fall gebracht. Nicht so Trump. Stets ist es ihm gelungen, sich mit Lügen und Tricks auch aus den heikelsten Situationen zu befreien.

Auch die gestern veröffentlichte Anklage gegen seine Firma, die Trump Org, und deren Finanzchef Allen Weisselberg nimmt Trump auf die leichte Schulter. «Die haben mich jahrelang durchleuchtet, und das ist alles, was sie gefunden haben? Das ist ein totaler Witz», soll er gemäss «Washington Post» im kleinen Kreis gespottet haben.

Ob Trump tatsächlich mit einem Ausgang à la Godot rechnen kann, ist jedoch ungewiss. Die gestern veröffentlichten Anklagepunkte sind erst die Eröffnung in einem komplexen Schachspiel.

Vordergründig geht es dabei bloss um Steuerhinterziehung mit sogenannten «fringe benefits», Nebenleistungen, die Unternehmen ihren Angestellten gewähren. Doch die «New York Times» stellt klar: «Diese Anklagepunkte könnten bloss die Grundlage für die nächsten Schritte einer erweiterten Untersuchung sein, die sich auf Mr. Trump konzentriert.»

Trump ist keineswegs unantastbar. Und das sind die Gründe:

  • Er ist nicht mehr Präsident. Er kann daher nicht mehr das Justizministerium zu seinem Schutz einsetzen, und er hat nicht mehr die Möglichkeit, Vorladungen zu verhindern und die Herausgabe von Dokumenten zu verweigern.
  • Sein Finanzchef steht unter enormem Druck. Der 73-jährige Allen Weisselberg wurde gestern in Handschellen dem Richter vorgeführt. «Eine Erfahrung, die das Bewusstsein schlagartig verändern kann», wie der ehemalige Trump-Anwalt Michael Cohen aus eigener Erfahrung weiss.
  • Weisselberg ist nicht mehr Zeuge, er ist nun Angeklagter. Ihm wird vorgeworfen, gegen eine Million Dollar an Steuern hinterzogen zu haben. Das ist kein banales Delikt. Die legendäre Milliardärin und Hotelkettenbesitzerin Leona Hemsley – berühmt geworden mit dem Spruch: «Nur die kleinen Leute zahlen Steuern» – ist deswegen mehrere Jahre hinter Gitter gewandert. Auch Weisselberg droht eine mehrjährige Gefängnisstrafe – ein gewaltiger Anreiz, mit den Untersuchungsbehörden zu kooperieren.
  • Cyrus R. Vance Jr., der Staatsanwalt von Manhattan, erweist sich als mächtiger Gegner. Es ist ihm nach zähem Kampf gelungen, an die Steuerunterlagen von Trump zu gelangen. Zudem hat Vance sich die Dienste von Mark Pomerantz gesichert, einem legendären Mafia-Jäger. Die Eröffnung der Staatsanwaltschaft entspricht exakt dem Muster von Pomerantz. «Das ist standardmässiges Vorgehen, wenn man es mit der Mafia oder mit einem korrupten Unternehmen zu tun hat», erklärt Robert Litt, ein ehemaliger hoher Untersuchungsbeamter in der «New York Times».
  • Schliesslich könnten sich für Trump noch gefährliche Fronten an anderen Orten eröffnen, so etwa in Georgia. Dort ermittelt eine sehr tüchtige Staatsanwältin, ob Trump nicht versucht hat, die Wahlen zu seinen Gunsten zu manipulieren. («Finden Sie mir die 11’000 Stimmen», hat Trump bekanntlich den zuständigen Staatssekretär aufgefordert.)
FILE - In this Aug. 21, 2018, file photo, Michael Cohen leaves federal court, in New York. More than two weeks after Donald Trump left the White House, federal prosecutors in New York have not revived ...
Er hat den Stein ins Rollen gebracht: Michael Cohen, Trumps ehemaliger Anwalt.Bild: keystone

Die Anklage gegen Trump ist nicht nur ein juristischer, sondern auch ein politischer Hochseilakt. Die Regierung verhält sich dabei geschickt, will heissen, sie hält sich raus. Sowohl Präsident Joe Biden als auch sein Justizminister Merrick Garland umfahren das Thema weiträumig und vermeiden damit, sich dem Vorwurf auszusetzen, Trump aus politischen Motiven zu verfolgen.

epa09301329 US Attorney General Merrick B. Garland announces a lawsuit against the state of Georgia over its voting restrictions at the Department of Justice in Washington, DC USA, 25 June 2021. EPA/J ...
Hält sich raus: Justizminister Merrick Garland.Bild: keystone

Ganz anders Trump selbst. Er nimmt die vermeintliche «Hexenjagd» gegen ihn zum Anlass, Stimmung in eigener Sache zu machen. Wie im Wahlkampf will er in diesem Sommer wieder Rallys durchführen und sich dabei als politisches Opfer darstellen. Dabei stellt er in Aussicht, 2024 erneut anzutreten. «Das ist vielleicht seine beste Verteidigung», mutmasst George Conway in der «Washington Post».

Wird Trump also je zur Rechenschaft gezogen werden? Es ist noch zu früh, diese Frage zu beantworten. Im «New Yorker» hat Susan Glasser jedoch einen Trost für uns alle bereit: «Die simple Wahrheit lautet: Trump hat 2020 die Wahlen verloren, und niemand kann dies je rückgängig machen. Joe Biden sitzt nun im Weissen Haus. Das mag nicht genug Strafe sein für Trumps gesammelte Schandtaten – aber für ihn ist es alleweil eine gewaltige Strafe.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Trump-Anhänger stürmen Kapitol
1 / 19
Trump-Anhänger stürmen Kapitol
Am 6. Januar 2021 wurde das Kapitol in Washington von Trump-Anhängern gestürmt.
quelle: keystone / manuel balce ceneta
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Arnold Schwarzenegger über Trump: «Der schlechteste Präsident aller Zeiten»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
38 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
IchfragefüreinenFreund
02.07.2021 16:35registriert Juli 2020
Ich stelle mir gerade vor, wie es wäre, wenn ein prominenter Demokrat oder ein wohlhabender Unterstützer von Demokraten angeklagt wäre. Wie würde der D.T. wettern und schimpfen und mit Beleidigungen um sich werfen. Und die Republikaner Speichellecker im Kongress würden genüsslich nachtreten.
Wir leben schon in interessanten Zeiten.
586
Melden
Zum Kommentar
avatar
TanookiStormtrooper
02.07.2021 17:18registriert August 2015
Ist Trump wirklich gelassen oder kriegen wir seine Wutausbrüche einfach nicht mehr mit, weil ihn die Sozialen Medien alle gesperrt haben?
Eigentlich interessiert sich ja kein Schwein mehr für Donald Trump und seinen verbalen Dünnpfiff und DAS dürfte ihm in der Tat so richtig wehtun. (In eine Zelle gehört er trotzdem)
473
Melden
Zum Kommentar
avatar
mrmikech
02.07.2021 18:12registriert Juni 2016
Nicht nur Trump, auch seine Kinder sind im Spiel. Bald wird der Druck gewaltig sein. Wirft er seine Kinder unter dem Bus? Wir werden sehen wie sehr er sie - oder sich selbst - liebt.
293
Melden
Zum Kommentar
38
4-Tage-Woche: Erstes grosses Pilotprojekt in der Schweiz
Immer mehr Länder und Unternehmen testen die 4-Tage-Woche. Nun soll bald auch in der Schweiz ein gross angelegtes Pilotprojekt beginnen. Das Wichtigste zu den bisherigen Erkenntnissen, zur 4-Tage-Woche weltweit und in der Schweiz.

Vier Tage in der Woche arbeiten, drei Tage pausieren – und trotzdem 100 Prozent des Lohnes erhalten: Für viele klingt das zu gut, um wahr zu sein. Und trotzdem ist die 4-Tage-Woche seit einiger Zeit auf dem Vormarsch.

Zur Story