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Nicht alle «Putin-Versteher» sind Trolle – in diesen 5 Punkten liegen sie nicht komplett falsch

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Das wahre Gesicht des Krieges in der Ukraine
Ein Pro-russischer Soldat zwischen den Trümmern des Flughafens Donezk wo die erbittertsten Kämpfe stattgefunden haben.
quelle: epa/epa / luca piergiovanni
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Nicht alle «Putin-Versteher» sind Trolle – in diesen 5 Punkten liegen sie nicht komplett falsch

Sie schliessen die Augen vor der russischen Aggression in der Ukraine und schieben alle Schuld dem Westen zu: die «Putin-Versteher». Doch sie liegen nicht überall falsch.
09.06.2015, 20:5410.06.2015, 17:13
Daniel Huber
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Im Osten der Ukraine toben die schwersten Gefechte seit Beginn der Waffenruhe, und sie finden in den Kommentarspalten der Onlinemedien ein wütendes Echo. Die russische Sicht auf den Konflikt wird dabei lautstark von einer Fraktion vertreten, die zumindest zum Teil aus bezahlten Trollen besteht. Doch es wäre unredlich, alle Kritik an der Ukraine-Politik der EU und der USA oder an den Handlungen der ukrainischen Regierung als russische Propaganda abzutun. Die sogenannten «Putin-Versteher» liegen nicht überall falsch. 

1. Russland besser verstehen

Russland, dieser militärisch hochgerüstete Gigant im Osten, wirkt auf uns bedrohlich. Zu recht, wenn wir an die Streitmacht denken, die der Kreml an der ukrainischen Grenze zusammengezogen hat. Doch sollte man nicht vergessen, dass Russland in den letzten gut 200 Jahren mehrmals von Westen her angegriffen wurde. Napoleons Grande Armée, die Streitkräfte der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg und danach polnische Truppen drangen weit auf russisches Gebiet vor. 

Deutsche Truppen 1941 in der Sowjetunion. 
Deutsche Truppen 1941 in der Sowjetunion. Bild: AP

Nichts aber war so verheerend wie der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Dieser Vernichtungskrieg, dem Millionen von russischen Soldaten und Zivilisten zum Opfer fielen und der das Land furchtbar verwüstete, hätte fast das Ende Russlands bedeutet. 

Wenn Kritiker des Westens wie etwa der deutsche Kabarettist Volker Pispers sich indes zur Behauptung hinreissen lassen, Russland habe seinerseits den Westen nie angegriffen, ist das ausgemachter Unsinn. Polen, das Baltikum oder Finnland können ein bitteres Lied davon singen. 

Pispers im März 2015: «Man darf vielleicht auch mal daran erinnern, dass Russland den Westen nie überfallen hat. In der ganzen Geschichte noch nicht.» (Ab 3:50)YouTube/Parkhane Shabo

2. Gebrochenes Versprechen: NATO-Osterweiterung

Moskaus Angst vor dem Westen dürfte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kaum abgenommen haben, zumal die NATO-Osterweiterung in der Folge russische Bedrohungsszenarien bestätigte. Obwohl das westliche Militärbündnis vermutlich keine offensiven Schritte gegen Russland plant, gilt es in der aktuellen russischen Militärdoktrin explizit als grösste Bedrohung der nationalen Sicherheit. Freilich gilt es dabei zu bedenken, dass Putin die Furcht vor USA und NATO auch aus innenpolitischen Gründen schürt. 

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Die NATO-Osterweiterung, in deren Verlauf frühere sowjetische Vasallenstaaten und sogar ehemalige Sowjetrepubliken sich – ihrerseits natürlich aus Angst vor russischem Hegemonialstreben – dem militärischen Bündnis des Westens anschlossen, stellt aus russischer Sicht zudem einen Vertrauensbruch dar. 1989 hatten der deutsche Bundeskanzler Kohl und sein Aussenminister Genscher Moskau nämlich ausdrücklich garantiert, dass es keine Osterweiterung der NATO geben werde. Nur so war das Plazet der Sowjetunion für die deutsche Wiedervereinigung zu haben. 

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Die Expansion der NATO (1949 – 2014).GIF: watson

Der damalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, beklagte sich denn auch kürzlich mit Blick auf die Ukraine über die westliche Politik: «Indem der Westen die Ukraine in die euroatlantische Gemeinschaft hineinzerrte, ignorierte er demonstrativ die Interessen Russlands», schrieb der 84-Jährige in der russischen Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta». Problematisch an dieser geostrategischen Sicht auf den Konflikt ist allerdings, dass in ihr das Recht der Ukraine auf Selbstbestimmung gar nicht erst vorkommt. 

Sowjetisches Plazet für die deutsche Wiedervereingung: Genscher, Gorbatschow und Kohl (v.l.) 1990. 
Sowjetisches Plazet für die deutsche Wiedervereingung: Genscher, Gorbatschow und Kohl (v.l.) 1990. Bild: EPA/DPA FILES

Geostrategisch ist eine Ukraine, die im westlichen Lager steht, für Russland tatsächlich kaum zu akzeptieren. Ohne dieses Land, das die Waffenschmiede der Sowjetunion und deren bevölkerungsmässig zweitgrösste Republik war, ist der Status einer Supermacht für Russland nahezu unerreichbar. Befindet die Ukraine sich gar in einem Bündnis mit einer rivalisierenden Macht, wird die Lage für Moskau unerträglich. 

3. Kiews verfehlte Sprachpolitik

Was die Politik der ukrainischen Regierung anbelangt, so kritisieren «Putin-Versteher» nicht ohne Grund, dass sie wenig Rücksicht auf Empfindlichkeiten im teilweise russischsprachigen Süden und Osten des Landes nimmt. So wollte die neue Führung kurz nach dem Sturz Janukowitschs ein von ihm eingeführtes Sprachengesetz kippen, das in den Regionen Russisch als zweite Amtssprache ermöglichte. 

Ethnische und sprachliche Situation in der Ukraine.
Ethnische und sprachliche Situation in der Ukraine.Karte: Theglobalstate.com

Ukrainische Nationalisten befürchteten, dass sich russischsprachige Ukrainer kaum noch die Mühe machen würden, Ukrainisch zu lernen, falls das Russische diesen Status beibehalten könnte. Schliesslich nahm Kiew davon Abstand, das Gesetz zu streichen – allerdings erst nach massiven Protesten. 

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4. Rechtsextremer Einfluss

Der von der russischen Propaganda verbreitete Vorwurf, die neue ukrainische Regierung sei faschistisch unterwandert, ist unhaltbar. Nicht leugnen lässt sich aber, dass auf dem Maidan auch rechtsextreme Kräfte an den Protesten gegen Janukowitsch teilnahmen. Der Rechte Sektor, der als Partei und als paramilitärische Organisation auftritt, hat jedoch bei den Parlamentswahlen 2014 nur gerade 1,8 Prozent der Stimmen und ein Direktmandat geholt. 

Der Einfluss der Rechtsextremisten ist auch deswegen stark geschwunden, weil viele Ukrainer sich bewusst wurden, dass diese Kreise eine europafeindliche Politik betreiben – was einem Hauptanliegen des Euromaidan zuwiderläuft. 

Dagegen war die rechtsnationale und antisemitische Partei Swoboda, die freundschaftliche Kontakte mit der deutschen Neonazi-Partei NPD unterhält, in der Übergangsregierung mit zunächst vier und dann drei Ministern vertreten. Im neuen Kabinett, das sich im Dezember 2014 formierte, ist die Partei aber nicht mehr vertreten

Fackelzug von Swoboda-Aktivisten zu Ehren von Stepan Bandera. 
Fackelzug von Swoboda-Aktivisten zu Ehren von Stepan Bandera. Bild: VALENTYN OGIRENKO/REUTERS

5. Falsche Helden

Dennoch ist es problematisch, welche Akzeptanz ultranationalistischen Kreisen in der Westukraine entgegengebracht wird – ganz im Gegensatz zum Osten. Dies hat wohl zu tun mit dem unterschiedlichen Blick auf die Geschichte. Besonders die für beide Seiten enorm leidvollen Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg werden im Westen ganz anders erinnert als im Osten. 

So ehren viele westukrainische Nationalisten «Befreiungskämpfer», die im Krieg mit den Nazis kollaborierten. Die aus westukrainischen Nationalisten rekrutierte Waffen-SS-Division «Galizien» zum Beispiel hat, so sieht es Swoboda, «nur an der Front gegen die Bolschewiken gekämpft». 

Denkmal auf einem Friedhof der westukrainischen Stadt Lemberg, mit dem zwei ukrainische SS-Divisionen geehrt werden. 
Denkmal auf einem Friedhof der westukrainischen Stadt Lemberg, mit dem zwei ukrainische SS-Divisionen geehrt werden. Bild: Jerzy J. Maćków

Bekanntestes Beispiel ist Stepan Bandera, der Anführer der Organisation der Ukrainischen Nationalisten (UON). Deren militärischer Arm unterstützte die Nazis bei der Vernichtung der Juden im Osten und verübte in Wolhynien ein Massaker an zehntausenden Polen. Dennoch wurde Bandera 2010 vom damaligen prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko zum «Helden der Ukraine» erklärt. Auf dem Euromaidan war sein Porträt prominent zu sehen. 

Porträt von Bandera am Rathaus von Kiew während des Euromaidan. 
Porträt von Bandera am Rathaus von Kiew während des Euromaidan. Bild: PD

Das Wohlwollen, mit dem zahlreiche «Putin-Versteher» die russische Annexion der Krim und die Intervention in der Ostukraine betrachten, ist oft einem EU-feindlichen und mehr noch einem antiamerikanischen Reflex geschuldet. Auch die Bereitwilligkeit, mit der manche sich absurde Verschwörungstheorien zu eigen machen, spricht nicht gerade für sie. 

Mehr Verständnis für russische geopolitische Empfindlichkeiten ist problematisch, wenn dabei das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine – oder anderer Staaten – als Quantité négligeable behandelt wird. Dennoch wäre es von Vorteil, sich ab und zu in die russische Position hineinzudenken. 

Der Ukraine-Konflikt

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Der Ukraine-Konflikt
27. bis 28. Februar 2014:
Prorussische Milizionäre besetzen den Regierungssitz und das Parlament in Simferopol, der Hauptstadt der Halbinsel Krim. Russisch sprechende Bewaffnete ohne Abzeichen übernehmen die Kontrolle über die Krim. Das prorussische Parlament der Krim setzt die Regierung ab.
quelle: x00514 / reuters tv
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65 Kommentare
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smoe
09.06.2015 21:20registriert Januar 2014
Aus meiner Sicht ist der finnische Aussenminister so ziemlich der einzige hochrangige Politiker, der sich bisher vernünftig und ohne vor Pathos triefend zur Krise geäussert hat: Er kritisiert die EU, Russland, die Ukraine, die USA, die NATO. http://derstandard.at/2000001599224/Finnlands-Aussenminister-kritisiert-Ukraine-Strategie-der-EU

Aber als Halbfinne bin ich diesbezüglich wohl auch etwas voreingenommen – uns ist eigentlich sowieso irgendwie alles und jeder suspekt:)
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keplan
09.06.2015 22:07registriert August 2014
Naja mein pro russischer reflex basiert eher das in westlichen Medien nur das "schlechte" aus dem Osten berichtet während sich die westlichen als gut sehen. Es braucht immer 2 zum streiten auch bei Staatsgebilden. Schade wird nur selten so berichtet ( dieser Artikel mal ausgenommen)
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Statler
09.06.2015 22:34registriert März 2014
Na, geht doch... Was m.E. ein wenig untergeht, ist der geostrategische Aspekt des Ganzen. Die Ukraine ist wichtiger Dreh- und Angelpunkt wegen des Zugangs zum Schwarzen Meer (im Hinblick auf die Ressourcen am Kaspischen Meer) und für den Westen genauso wichtig, wie für Russland. BEIDE haben grösstes Interesse die Ukraine auf ihre Seite zu ziehen. Das «Recht auf Selbstbestimmung» mag in der Theorie nett klingen, ist im Falle der Ukraine aber weder für den Westen noch für Russland ein wichtiger Faktor (und wenn dann nur vorgeschoben). Es geht um Ressourcen und die Vormachtstellung in der Region.
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