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Point-à-Pitre, Guadeloupe, Frankreich. Flughafen Pôle Caraïbes. Aussentemperatur: 32°C, Innentemperatur: runtergekühlt auf 19°C, durch Sonneinstrahlung wieder aufgeheizt auf 32°C.
Wer meint, Mitte Januar reise doch niemand, weil ja erst gerade Ferien waren, der irrt: Der Flughafen gleicht einem Ameisenhaufen.
Das Boarding für den Flug nach Paris soll um 17.10 Uhr beginnen. Bereits um 16.45 Uhr bildet sich vor dem Gate eine Schlange. Nicht, weil man Fragen hätte, das Personal (fünf an der Zahl) steht tatenlos hinter dem Desk. Nicht, weil man noch keinen festen Sitzplatz hätte und der Erste sich den besten Platz schnappen könnte. Nein, man steht Schlange, damit Schlange gestanden ist. Jeder brav mit seinem Rucksäckli inklusive darauf geschnalltem Nackenkissen und im bunt bedruckten T-Shirt der eben bereisten karibischen Inseln.
Das Krebs- bis Rostrot der Haut der Schlangestehenden unterscheidet sie denn auch von den Einheimischen – also den Insulanern, es sind ja eigentlich beide Franzosen – die, anstatt Schlange zu stehen, noch ein Nickerchen halten oder mit ihren Kindern Gummitwist spielen.
17.20 Uhr: Boarding.
Es gibt kein Halten mehr.
Man könnte meinen, die Leute dächten, wer zuerst im Flieger sei, sei auch zuerst
in Paris. 500 Menschen drängen in den schlauchartigen Raum – dabei haben sie
Kinder, kleine Hunde, Riesentoblerone aus dem Duty Free und das eine oder
andere Bongo aus Kokosnussschale. Für den Enkel. Der eigentlich eine X-Box
will. Im Gang stehen adrette, wohlriechende Damen und Herren in Uniform, an den
Handgelenken die Chanel-Uhren, die Haare gegelt oder zum perfekten Bürzi
gedreht. Ein Hauch Weltenluft geht von ihnen aus, Eleganz. Bis es zum ersten
Mal heisst: «Excusez, Madame...» und die nette Dame sich bereits von einem
Herren anbrüllen lassen muss, weil sein Bloody Mary nicht gratis ist.
18.10 Uhr: Kurz vor dem Start.
Neben mir sitzt
ein junger Mann mit einem riesigen Lockenschopf und einem Ché Guevara-Shirt.
Hat wohl die falsche Insel erwischt. Vor
mir nimmt eine Insulanerin mit ihrer circa zweijährigen Tochter Platz. Das Kind
trägt ein rotes Röckli und ist in etwa so süss, als hätte man es für drei Tage
in Zucker gewälzt. Mit Marie, so heisst das Mädchen, spiele ich denn auch
Gugus-Dada und entlocke ihr damit immer wieder ein glockenhelles Quietschen.
Ennet des Gangs sitzen mehrere Ehepaare, die zu einer Gruppe gehören, und
bereits nach zwei Minuten wird die Mutter daran erinnert, dass man also schwer
hoffe, das Kind würde nicht die ganze Nacht durchbrüllen. Marie ist das egal
und sie quietscht vergnügt weiter.
Kurz nach dem Start:
Der Mann, der sich über
die exorbitanten Preise für Tomatensaft mit Schuss beklagt hatte, erhebt sich
von seinem Platz, obwohl das Anschnallzeichen noch leuchtet. Er wird ermahnt,
sich bitte wieder zu setzen. Natürlich macht ihn das erneut wütend und er
poltert, das sei doch Schikane (Sic!), das Zeichen so lange brennen zu lassen.
Natürlich erheben sich nun auch andere Gäste, weil sie denken, was der dürfe,
das dürften sie auch, und irgendwann muss kollektiv per Lautsprecher verkündet
werden, alle Kinder sollen jetzt brav wieder absitzen und warten, bis das
Lämpli aufhört zu leuchten. Wie im Chindsgi.
Ein paar Minuten später: Ping, das
Anschnallzeichen ist aus.
Es geht ein Klappern durch die Reihen, als hätten sich die Reisenden gerade von den Ketten jahrelanger Sklaverei befreien können. Süsse Freiheit! Aber man muss halt
aufs Klo – hätte man zwar auch am Flughafen gekonnt, aber da musste man ja eben
Schlange stehen.
Nach einer Stunde Flug: Essenszeit.
Air France
serviert... nun ja. Etwas. Noch eine Minute länger im Mixer und es wäre
Babybrei gewesen. Da ist Reis. Und vielleicht Huhn. Aber definitiv Rosinen. Es
wäre eigentlich auch egal gewesen, denn es schmeckt nach Curry mit Curry und
Curry. Dazu gibt’s Couscous-Salat, der den Speichelvorrat für die nächsten 12
Jahre aufbraucht, ein Stück abgepackten Camembert (wie passend) und eine kleine
Tartelette, die fast noch süsser ist als die kleine Marie. Mein Tablett wandert
fast unberührt zurück. Marie wirft mit Rosinen.
Nach zwei Stunden Flug: Die Lichter werden
gedämmt.
Die Frau des Cholerikers von Reihe 54 beklagt sich zum geschätzt 15.
Mal darüber, dass ihr kalt sei, und sie erhält, wie auch die 14 Male davor, die
Antwort, man tue, was man könne und man bringe ihr gerne eine zweite Decke. Die will sie aber nicht. Der Mann ennet des Ganges, der sich anfangs
des Fluges nach Maries Brüll-Gewohnheiten erkundigt hatte, beginnt, laut zu
schnarchen. Maries Mutter dreht sich lachend zu mir um und sagt: «Hoffen wir
mal, dass er das nicht den ganzen Flug lang macht.»
Nach drei Stunden Flug:
Ich spiele noch einmal
mit Marie Gugus-Dada und bin einmal mehr fasziniert davon, wie lange dieses
Spiel ein so kleines Menschlein zum Lachen bringen kann. Dann bereite ich mich
aufs Schlafen vor. Ich frage den jungen Mann nebenan, ob er nochmal raus
möchte, was er verneint, seinen Blick fest auf einen Film geheftet, in dem
Charlize Theron mit Millimeterhaarschnitt in einem Lastwagen durch die Wüste
donnert. Ich ziehe meine Schlafmaske an, stecke Ohropax in die Ohren und werfe
mir ein Schlafmittel ein... Nur, um nach 25 Minuten von meinem Nachbarn aus dem
beginnenden Tiefschlaf gerüttelt zu werden. Er müsse jetzt doch aufs Klo.
Hehehe. Das sei halt der Nachteil am Gangplatz. Hehehe. NO SHIT, DUDE!
Nach fünf Stunden Flug: Konnte nicht mehr einschlafen, habe aber eine Riesenscheibe vom Schlafmittel. Mein Nachbar schläft tief und fest und lächelt im Traum, wofür ich ihn ein bisschen würgen möchte. Ich beginne, «Arielle, die Meerjungfrau» auf Französisch zu schauen. La Petite Sirène...
Nach fünfeinhalb Stunden Flug:
...ich erwache
ab meinem eigenen Schnarchen. Mein Nacken ist steif, mein Mund ausgetrocknet
und im Mundwinkel hängt etwas Spucke. Das muss ein himmlischer Anblick für alle
gewesen sein, die an mit vorbei zum Klo mussten. Auf meinem Screen spielen
gerade Tintenfische auf ihren eigenen Tentakeln Bass. «Sous l’Océaaaaaan...»
Beim Aufstehen falle ich beinahe der Länge
nach hin, weil mein Fuss eingeschlafen ist. Das Klo ist nach einer ganzen Nacht
übel in Mitleidenschaft gezogen – genauso wie die Crew. Aus dem Bürzi schauen
mittlerweile Haarsträhnen heraus, die Augen zeigen deutliche Ringe und ich
beobachte vermehrt, wie die Damen in der Bordküche die Schuhe ausziehen, weil
ihnen die Füsse weh tun. Trotzdem begegnet man mir noch immer mit einem Lächeln
und fragt, ob ich gut geschlafen hätte. Ich lüge ein lächelndes «Ja» und hoffe, dass wenigstens mein bescheuerter Anblick beim Schlafen die Crew ein bisschen zum Lachen gebracht hat.
Nach sechseinhalb Stunde Flug: Frühstück.
Abgepackter Camembert. Vertrocknetes Brötli. Abgepackter Orangensaft. Marie
wirft ihren Löffel einmal quer durch die Kabine. Jetzt hat auch sie langsam ihr
Schnäuzchen voll. Die Länge der Zündschnüre der Passagiere nimmt mit derjenigen
der Restflugzeit ab. Frau Cholerik friert noch immer (Überraschung!), ihr Mann
hat eine neue Beschäftigung gefunden und beklagt sich nun darüber, dass man in
der Economy keine warmen Socken bekomme. Das sei doch früher an der Regel
gewesen. Blabla, schnauf, polter.
Nach der Landung:
Natürlich steht er denn auch in Paris bereits
auf, während der Flieger noch zum Dock fährt, das Personal nimmt sich die Mühe
nicht mehr, ihn abzumahnen und ich bin wohl nicht die Einzige, die sich
in diesem Moment eine Vollbremsung wünscht.
Marie drückt mir zum Abschied einen nassen Kuss auf die Wange, während die Menschen zur noch geschlossenen Flugzeugtür drängen, schnellen Schrittes davonhetzen, sobald sie geöffnet wird, nur um dann wieder eine Viertelstunde am reglosen Gepäckband zu stehen, das Wägeli an ihren Fersen.
Ich fahre mit dem Bus einmal quer durch Paris zum Charles de Gaulle-Flughafen, wo sich am Gate, 20 Minuten vor der Boardingzeit, bereits eine neue Schlange bildet...
So. Und weil's Euch eh schon nachläuft, bitte sehr:
Da chasch nüt säge...