Sprache ist im Wandel. Ständig. Sie ist kein fixes Mass, wie wir es etwa von Stunden und Sekunden, Metern und Hektaren kennen. Die Masseinheit der Sprache ist das Verstehen. Und das Missverstehen. Oder um es in der 82-jährigen Formulierung des Sprachphilosophen Ludwig Wittgensteins auszudrücken:
Tönt kompliziert. Gucken wir uns zur Veranschaulichung doch noch kurz etwas Zeitgemässes an. Etwa diese 14 Monate alten Phrasen von einem (eventuellen) Berliner Hipster:
Ja, die Society – zu AltDeutsch: Gesellschaft – entscheidet, wie wir uns verständigen, was wir benennen und davon ausgehend ist sie auch diejenige, die vorgibt, worüber wir sprechen. Sprache ist eigentlich ein Symptom des Gemütszustands, den wir Leben nennen und der Dixionär die Krankenakte dazu.
Erst wenn ein neues Thema mit neuen Wörtern und allem drum und dran gebraucht wird, bekommt es Bedeutung. Und erst wenn seine Bedeutung ansatzweise allgemein verstanden wird, wird es im Wörterbuch aufgenommen. Von da an ist es etwas. Etwas Offizielles und nicht nur so ein Nischending.
Im deutschen Sprachraum übernimmt der Duden dieses «Offiziell-Machen». In der angelsächsischen Welt ist der «Oxford English Dictionary» (OED) federführend. Und dieser hat nun gerade über 1000 Anpassungen vorgenommen. 413 davon sind neue Wörter.
Bleibt nun also die Frage, welche Wörter und ihre dazugehörigen Themenfelder wir in Zukunft nie mehr falsch schreiben werden. Denn diese 14 sind nun mitunter offiziell. Fangen wir an …
… von alten Herren, die ihre Atempausen schlecht koordinieren können. Entstanden in einer Kommentarspalte, soll es Mansplaining als Wort schon seit 10 Jahren geben. Unnötige Erklärungen gibt es hingegen schon, seit es Wörter gibt. Das Mansplaining hebt sich aber vom ordinären Überflussplädoyer insofern ab, dass es während dem Reden – unabhängig vom Thema – immer wieder dasselbe Thema offenlegt: Geschlechtliche Ungerechtigkeit. Und wenn wir im vergangen Jahr eins gelernt haben, dann ist es, dass wir ein Thema dieses Kalibers besprechen müssen. Explizit. Ach, diese Sprache. Wie mächtig sie doch sein kann. Weiter geht's!
Ehm ja. Auch dieser Neologismus wertet das Männliche nicht unbedingt positiv. Aber sind wir mal ehrlich, wer einen Penis hat, weiss, dass das Auftreten eines Spontanständers alles andere als ...
PS: Das Wort «Spontanständer» gibt es noch nicht im Duden. Aber bleiben wir beim Thema.
Geschlecht ist ja immer mehr ganz breit gedacht. Und fluid. Dieser Ansatz schlägt sich auch in dieser neuen Vokabel nieder. Das Tomgirl ist die Ergänzung zum Tomboy. Die beiden Wörter sind auf keinen Fall als Synonym für Transmenschen zu sehen. Und sie haben auch überhaupt nicht zwingend mit Lesben oder Schwulen zu tun. Im Gegenteil. Ein Tomgirl ist ein Mann, der sich auch als solcher identifiziert, sich aber nicht schämt, sich mit einem Gläschen Rosé zwei Staffeln «Sex and City» reinzuziehen. Das ist – auch wenn das bei dieser Serie etwas komisch tönt – ein durchaus asexuelles Unterfangen.
Apropos asexuell. Wusstest du, dass auch Kinderkriegen asexuell sein kann? – Auf jedenfalls gibt's im neuen OED ein Wort dafür.
Wenn sich die Redaktorinnen und Redaktoren des «Oxford English Dictionary» auf die Suche nach dem neusten Shit des Sprachgebrauchs machen, klopfen sie in den meisten Fällen an die Tür von Experten. Biologinnen, Informatiker und dergleichen. Die liefern dann Wörter wie «autoheterodyne». Dazu gibt es nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag.
Für die diesjährige Neuauflage hat sich der OED aber an eine durchaus volksnähere Experten gewandt. Das Online-Forum Mumsnet gibt Auskunft über die neusten Wortschöpfungen im Bereich der Brutpflege. Das untraditionelle Konzept von «co-parenting» war einer der 200 Vorschläge. Welcher Begriff sich wohl hinter folgender Erklärung verbirgt?
Insgesamt fanden 47 der 200 Eltern-Wörter ihren Weg ins englische Duden-Äquivalent. «Poonami», «shitastrophy» und «apoocalypse» gehörten zu den 153 Verlierern. Laut der OED-Redaktorin Fi Mooring sendeten die online-affinen Eltern 13 verschiedene Begrifflichkeiten ein, die das explosionsartige Austreten von Säuglingskot zu umschreiben versuchen. Und trotz dieser augenscheinlichen Prägnanz, die dieses Phänomen für frisch gewordene Eltern darzustellen scheint, schaffte es keines der Kotwörter ins Lexikon.
Was die Kollaboration mit «Mumsnet» aber doch noch hervorgebracht hat, ist eine Neudefinition von Disney. Und zwar als Adjektiv …
Fahren wir fort. Mit der Deglobalisation. Dem wohl einzigen Begriff, bei dem sich linke Demonstranten am WEF und Donald Trump einig waren. Auf jeden Fall forderten beide den Stopp der Globalisierung. Wenn auch mit einer etwas anderen Auslegung. Trump will wieder mehr auf andere Länder pfeifen, sprich die Arbeit aus Asien wieder zurück in sein Land holen, und die Linke will die Industrieländer vom Postkolonialismus befreien. Nun denn – ungeachtet dessen befindet sich das Wort jetzt im Lexikon und wird dort so definiert:
Es scheint ein Sinnbild unserer Zeit zu sein, sich nicht mehr all zu sehr um die anderen zu kümmern und um das Verständnis von gemeinsamen Begrifflichkeiten. Zumindest passiert das bei folgender Tätigkeit, die nun auch ihr «eigenes» Wort hat.
Die nächste Vokabel kennt niemand.
Tipp: Es geht um den Fidget Spinner und darum, dass wir jetzt alle eine Macke haben, die wir ernst nehmen müssen und mit der wir in Kontakt treten sollen, um einen gesunden Umgang mit uns selbst zu finden.
Wenn wir schon über Selbstoptimierung sprechen, die uns das «Stimmen» mit dem Fidget Spinner oder das Kneten eines sogenannten «Anti-Stress-Balls» versprechen, kommt auch dieser Neologismus genau zu richtigen Zeit.
Ach, die Apple-Watch macht unser Leben ja auch noch besser. Und auch ihre Auswirkung hat ein paar Milliliter Druckerschwärze in den neuen Lexika verdient. Here it goes:
Diese neue Wörterliste ist ja wirklich witzig. 413 Wörter beinhaltet sie. Und nicht weniger als 277 davon beginnen mit der Vorsilbe self. «Self-anandonning» – sich komplett seinen eigenen Impulsen ergeben. Oder «self-funded» – selbst-finanziert, ohne die Hilfe eines Crowdfundings. What an achievement!
Kein Wunder, dass bei all dem Self-Optimierungswahn die Leute aufhören zu essen und plötzlich unausstehlich hangry werden.
Wir würden jetzt gerne sagen, dies seien alles First-World-Problems. Aber der neue «Oxford Dictionary» lehrt uns auch, dass so ein Vorwurf viele Menschen verletzen könnte. Denn schliesslich sind wir hier im Internet und da gibt es nun auch Schneeflocken.
Schneeflocke bedeutet ja eigentlich schon ziemlich lange nichts weiter als ganz kalter Regentropfen. Logisch. 1983 hat der OED den Eintrag aber um eine weitere Bedeutung ergänzt, die bis letzte Woche noch genau so im englischen Wörterbuch zu lesen war:
Schneeflocke – eine einzigartige Persönlichkeit mit einzigartigem Potential.
Nun, 25 Jahre später, ist sie, die Schneeflocke, offiziell eine Protagonistin der Kommentarspalte mit nervig hohem Sensibilitätsanspruch. Der Eintrag von 1983 wurde mit der Revision vom Januar 2018 gelöscht. Sprache ist im Wandel und was bleibt, ist die Frage, welche Sekundärbedeutung wohl 2043 unter dem vereisten Regentropfen angefügt sein wird?
Wir wissen es nicht. Aber die Neudefinierung startet tomoz. Bis dann!