Die indische Variante mit der wissenschaftlichen Bezeichnung B.1.617 wurde erstmals im Oktober 2020 entdeckt. Allerdings war sie damals relativ unauffällig und sorgte erst im Januar 2021 für mehr Aufmerksamkeit, als sie in immer mehr Proben auftauchte.
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Die Mutation ist eine Kombination aus der britischen und südafrikanischen Variante von SARS-CoV-2. Besonders schnell auszubreiten scheint sich dabei der Untertyp B.1.617.2.
Die globale Gesundheitsinitiative GISAID zählt 7367 sequenzierte Fälle der indischen Mutation weltweit, die meisten davon in Grossbritannien. Indien hat zwar erst gut 2000 bestätigte Fälle, es ist allerdings davon auszugehen, dass B.1.617 für die verheerende Infektionswelle in den vergangenen Wochen verantwortlich ist und die Dunkelziffer daher um ein Vielfaches höher ist.
Weiter ist davon auszugehen, dass sich die Virenvarianten unentdeckt auch in anderen Regionen ausgebreitet hat, denn nicht alle Länder sequenzieren positive Tests.
Bis heute wurde die indische Variante mindestens 20 Mal bei einer Sequenzierung in der Schweiz nachgewiesen. Allerdings werden längst nicht alle positiven Tests sequenziert, bei Schnelltests ist das beispielsweise gar nicht möglich. Die meisten dieser 20 Fälle wurden in der Region Genf dokumentiert, zum ersten Mal geschah das Ende März.
Einige Infektionen sind sogenannte «Community-Übertragungen», also solche, die bei uns vor Ort stattgefunden haben – es betrifft also nicht nur Reiserückkehrer. Allerdings habe man laut Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskrontrolle beim BAG, bisher keinen deutlichen Anstieg festgestellt.
Ob sich die indische Variante durchsetzen und damit die dominante britische Variante verdrängen wird, ist zurzeit schwierig abzuschätzen. So hat es beispielsweise in Grossbritannien bis vor wenigen Tagen nach einem exponentiellen Anstieg ausgesehen – inzwischen wurde dieser aber etwas abgebremst.
Laut dem britischen Analysten John Burn-Murdoch sind mehrere Theorien möglich: Dass sich das Virus doch nicht durchsetzte oder dass die Variante nur wegen verändertem Testen während den Feiertagen weniger zugelegt hat und bald doch noch zur dominanten Variante aufsteigt.
To be clear, the above is just one theory. It remains entirely possible B.1.617.2 is more transmissible and could fuel a UK resurgence.
— John Burn-Murdoch (@jburnmurdoch) May 17, 2021
But so far, that’s not happening. A brief rise in cases last week now appears as a small bump, possibly caused by bank holiday testing patterns pic.twitter.com/C8astzmQtg
Auch auf dem Dashboard covSPECTRUM der ETH Zürich zu den Virenvarianten wurde Anfang Mai noch davon ausgegangen, dass B.1.617 in der Schweiz bis im Juli einen Übertragungsvorteil von 80 Prozent hat, inzwischen wurde die Prognose auf 35 Prozent korrigiert.
Daten dazu, ob die indische Variante schwerere Krankheitsverläufe fordert, gibt es noch nicht – dafür ist die Variante zu jung. Und die Erkenntnisse aus Indien sind nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragbar, denn die beiden Gesundheitssysteme sind zu unterschiedlich und die Daten aus Indien oft unvollständig, sagt die Genfer Infektiologin Pauline Vetter gegenüber SRF.
An der Point de Presse vom Dienstag erklärte Martin Ackermann, Präsident der Task Force des Bundes, auf die Frage eines Journalisten, dass man noch nicht genügend darüber wisse, ob Kinder von der indischen Variante stärker betroffen seien. Sollten sich entsprechende Anzeichen bestätigen, wäre ein genaueres Monitoring angebracht.
Die Weltgesundheitsorganisation hat die indische Virenvariante kürzlich als «besorgniserregend» eingestuft. Die amerikanische Gesundheitsorganisation allerdings noch nicht. Für sie bleibt B.1.617 vorläufig ein «Variant of Interest».
Auch wenn es keine Anzeichen für schwerere Verläufe gibt: Wenn sich eine Variante deutlich schneller verbreitet, ist sie trotzdem gefährlicher für eine (nicht immune) Bevölkerung – deshalb widmen wir uns bei der nächsten Frage der Ausbreitungsgeschwindigkeit.
Die Basis-Reproduktionszahl (R0) beschreibt die Anzahl Personen, die ein Infizierter ohne sämtliche Schutzmassnahmen wie Maske oder Abstand halten ansteckt. Sie ist eine rein rechnerische Zahl – in der Praxis stecken oftmals viele Infizierte niemanden an, dafür einige sogenannte «Superspreader» sehr viele.
Beim Wildtypen, also der ursprünglichen Variante aus Wuhan, gehen Experten von einer Basis-Reproduktionszahl von 2,2 aus. In drei Infektionsphasen werden so also ca. 19 Personen infiziert.
Man geht davon aus, dass die britische Variante 60 Prozent ansteckender ist, das entspräche im gleichen Zeitraum 61 Infizierte. Bei der indischen Variante geht man nochmals von einer 50 Prozent höheren Ansteckungsgefahr aus, was in diesem Rechenbeispiel nach drei Infektionsphasen 181 Infizierten bedeuten – in einer Welt ohne Schutzkonzepte.
Ob ein Infizierter mit der indischen Variante ohne Schutzmassnahmen tatsächlich fünf weitere Personen anstecken würde, ist allerdings noch schwierig zu sagen zu diesem Zeitpunkt. Es handelt sich erst um Schätzungen.
Bestätigen sich diese Zahlen, breitet sich die indische Variante aber entsprechend 2,4 Mal schneller aus als die ursprüngliche Variante aus Wuhan.
4) So if #B117 variant is ~60% faster than the original strain, and #B16172 is 50% faster than B117, then 1.6*1.5= 2.4.
— Eric Feigl-Ding (@DrEricDing) May 15, 2021
Thus it’s possible that #B16172 is ~2.4x faster transmission than original Wuhan strain!
Let that sink in… what do you get?
…this in India 🇮🇳 pic.twitter.com/GCGBlJZdCo
Und damit zu den vorsichtigen «Good News»: Obwohl es noch sehr früh ist, gibt es bisher keine eindeutigen Anzeichen, dass die indische Variante den Impfschutz umgeht.
Auf die Frage, ob die Ausbreitung in Grossbritannien etwas mit dem Impfstoff von AstraZeneca zu tun hat, antwortete Martin Ackermann am Dienstag: «Der Impfschutz ist gut, es kann aber sein, dass er gegen diese indische Variante etwas weniger schützt.» Das sei aktuell eine der brennendsten Fragen und werde weiter untersucht.
Sowohl Grossbritannien als auch Indien verwenden den in der Schweiz noch nicht zugelassenen Impfstoff von AstraZeneca. Studien zur Wirksamkeit vom Pfizer- und Moderna-Impfstoff gegen die indische Variante gibt es noch nicht.
Die weniger guten Nachrichten sind: Wegen der hohen Reproduktionszahl der indischen Variante sind wohl höhere Impfquoten nötig als bisher angenommen – sonst drohen nach den Öffnungen wieder steigende Fallzahlen.
(3) Modellierungen zeigen in UK daher neue Wellen im Herbst, die nur durch eine sehr hohe Impfquote, >85% verhinderbar sind. Für uns: wenn indische Variante so viel ansteckender setzt sie sich auch bei uns durch. So wird auch bei uns der Herbst von der Impfquote abhängen
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) May 18, 2021