Hach Wengen! Du Ort der Sehnsucht, einzigartig in der Kulisse. Kein Skirennen ist landschaftlich schöner. Das sagen selbst die Österreicher. Am Lauberhorn erfüllen sich Kindheitsträume. Wer in Wengen gewinnt, ist ganz oben.
Beat Feuz zum Beispiel. Drei Mal hat er die Abfahrt schon gewonnen. «Es gibt als Skifahrer nichts Schöneres», sagt er. Selbst 2020, als er noch ohne Sieg in Kitzbühel war und gefragt wurde, ob er seinen dritten Wengen-Sieg gerne tauschen würde.
Auch Niels Hintermann ist Wengen-Sieger. Auch er fühlte diese Emotionen, als er vor fünf Jahren die Kombination gewann. Nur gehörte er damals nicht ganz nach oben, wie er selbst sagt. Das Wetter wurde schlechter, als die Favoriten starteten. Das verhalf ihm zum Sieg. «Es war Glück. Mehr nicht», sagt der 26-Jährige heute.
Doch Wengen lässt keinen Athleten kalt. Auch Hintermann steckte sich an und glaubte, was dieser für Skiprofis so magische Ort verspricht. Ruhm zum Beispiel. Oder Erfolg. Ein Wengen-Sieg macht Athleten zu Helden. Aber er weckt auch enorme Erwartungen.
Hintermann wurde ihnen fast fünf Jahre lang nicht gerecht. Erst im Dezember 2021 fuhr er im Weltcup erneut auf das Podest, als er in den Abfahrten von Gröden und Bormio Dritter wurde. Dazwischen dachte er oft:
Damals in Wengen, es war – bezeichnenderweise – ein Freitag, der 13., ahnte Hintermann nicht, dass ihn dieser Sieg so negativ verfolgen würde. Er wusste zwar, dass aus ihm nicht automatisch ein Seriensieger würde, aber wie herausfordernd die folgenden Jahre werden, hätte er nicht erwartet.
Trotz seines Sieges verlor er seinen Kopfsponsor. Dazu kam eine Schulterverletzung, die er sich in der Vorbereitung auf den nächsten Winter zuzog und aufgrund derer er die ganze Saison verpasste.
Und Hintermanns Sorgen wurden immer grösser. Finanziell kam er kaum noch über die Runden, dazu nagten die Zweifel immer stärker an ihm. So sehr, dass Hintermann überlegte, alles hinzuschmeissen.
Immerhin hatte er vorgesorgt. Bereits als Zehnjähriger ging er allein nach Österreich und besuchte erst eine Skihauptschule und später ein Skigymnasium, ehe er in die Schweiz zurückkehrte und an der Sportmittelschule in Engelberg seine KV-Ausbildung abschloss.
Hintermann hätte also aufhören können, tat es aber nicht. Der Sohn einer Slowenin – er und sein Bruder Sven fuhren die ersten Jugendrennen für das Geburtsland der Mutter – fand neue Motivation. Er wollte beweisen, dass er kein One-Hit-Wonder ist.
Als er in Wengen gewann, sagte Hintermann an der Siegerehrung: «Ich repräsentiere den Kanton Zürich.» Nicht frei von Stolz. Er, der Flachländer, aufgewachsen in Bülach, wurde zum Wengen-Sieger. Das durften die Bergler schon wissen, dachte er sich. Schliesslich gewinnt nicht alle Tage ein Zürcher in Wengen. Einzig Peter Müller schaffte es auch, als er 1980 in der Abfahrt siegte.
Hintermann sagte es in der Euphorie. Und doch: Man bringt den Flachländer nicht aus dem Skifahrer. Und auch wenn der Weg alle Talente schon früh in die Alpen führt und Hintermann betont, dass er sich nie schlecht gefördert fühlte – der Stempel bleibt.
Doch Hintermann geniesst diese Rolle. Auf seiner Website begrüsst er die Besucher Mitten in Zürich – im Renndress und mit den Ski in der Hand.
Allerdings fällt ihm das Spiel mit dem Klischee auch leicht. Hintermann ist voll in das Schweizer Team integriert. Wenn es überhaupt Sprüche gibt, sind sie ehrlich gemeinter Spass. Bei Peter Müller war das anders. Er blieb Zeit seiner Karriere ein Aussenseiter. Dem «Tages-Anzeiger» sagte er im vergangenen Jahr:
Was aber auch an ihm selbst und seiner Art gelegen hat. Bei Hintermann ist das ganz anders. Er eckt nicht an. Und trotzdem würde er die Bergler am Freitag oder Samstag nach der Abfahrt gerne noch einmal erinnern, «dass ich aus Zürich bin». Er sagt es und lacht.
Hintermann ist an einem ganz anderen Punkt in seiner Karriere als vor fünf Jahren. Er ist daran, zu erfüllen, was der Wengen-Sieg versprach. Und trotzdem sagt er, einen Podestplatz zu erwarten, wäre vermessen.
Hintermann will seinen Weg in seinem Tempo gehen. Wie es ist, mit fremden Erwartungen konfrontiert zu werden, hat er vor fünf Jahren erfahren. Die Chancen sind inzwischen gut, dass er dereinst da ist, wo er damals sein sollte: ganz oben.