Der Schwarze Tod verheerte Europa wie kein anderer Seuchenzug vor oder nach ihm. Von 1346 bis 1353 wütete die Pest und brachte Millionen Menschen den Tod. Dem «grossen Sterben» fielen schätzungsweise ein Drittel, möglicherweise sogar die Hälfte der Bewohner Europas zum Opfer. Einige Landstriche, etwa in Polen oder in der Lombardei, blieben dabei nahezu unversehrt, während andere hart getroffen wurden.
Die Seuche traf einen Kontinent, der in der Blütezeit des Hochmittelalters eine bemerkenswerte Entwicklung erlebt hatte. Von 900 bis 1300 hatte sich die Bevölkerung vervierfacht, neue Städte waren gegründet, neues Land urbar gemacht worden. In den Städten wuchsen die Türme von gotischen Kathedralen in den Himmel. Die Einführung der Dreifelderwirtschaft ab dem 12. Jahrhundert steigerte die landwirtschaftlichen Erträge deutlich.
Auch die Lage der Bauern hatte sich seit dem 12. Jahrhundert merklich gebessert. Die Frondienste, die sie ihren Grundherren zu leisten hatten, wurden allmählich durch Geldabgaben abgelöst; durch die Münzverschlechterung wirkte sich dies zugunsten der Bauern aus. Gleichwohl war die soziale Mobilität gering und die Hörigen – unfreie Bauern, die von einem Grundherrn abhängig waren – blieben an die Scholle gebunden.
Bereits gegen Ende des 13. Jahrhundert kam es jedoch zu wiederholten und langandauernden Hungersnöten in verschiedenen Teilen Europas. Die Grundherrschaft befand sich bereits in der Krise, als die Pest die geschwächte Bevölkerung mit voller Wucht traf. Ihre Verheerungen erschütterten diese Gesellschaft in ihren Grundfesten.
Die Leute kannten keine wirksamen medizinischen Massnahmen gegen die Seuche und standen ihrer Ausbreitung weitgehend hilflos gegenüber. Ärzte glaubten, die Ursache der Krankheit liege in «Miasmen», einem Pesthauch in der Luft. Der stark religiösen Prägung dieser Zeit entsprechend sahen viele in der Pest eine Strafe Gottes. Flagellanten zogen sich selbst geisselnd durch die Städte. Auf der Suche nach Sündenböcken wurde man in den Judenvierteln fündig; in einer Reihe von Pogromen wurden ganze jüdische Gemeinden massakriert.
Die disruptive Gewalt der Pest, wie man das heute mit einem Modewort vielleicht beschreiben würde, liess die mittelalterliche Gesellschaft nicht unverändert. Der massive Bevölkerungsrückgang, der in einigen Gegenden einer regelrechten Entvölkerung gleichkam, machte es unmöglich, nach dem Abklingen der Pandemie einfach so weiterzumachen wie zuvor. Es dauerte Jahrhunderte, bis Europa wieder die alte Bevölkerungsdichte erreichte. Der mittelalterliche Landesausbau hörte auf; der Wald eroberte manche zuvor gerodeten Flächen zurück. Dörfer wurden aufgegeben. Die deutsche Ostsiedlung kam quasi zum Stillstand.
Der demographische Aderlass wirkte sich aber auch soziologisch aus: Nun brach, wie es der amerikanische Historiker David Herlihy formulierte, «die Stunde der neuen Männer» an. In den Städten und vor allem auf den Bauernhöfen fehlten die Arbeitskräfte. Ernten konnten nicht mehr eingebracht, Kühe nicht mehr gemolken werden. Dies verschärfte zum einen die Notlage, verbesserte aber zum andern die Position der überlebenden Arbeitnehmer. Bisher Mittellose und nachgeborene Söhne, die zuvor leer ausgegangen wären, konnten nun Bauernhöfe übernehmen.
In den Städten stiegen die Löhne und die Zünfte nahmen nun Mitglieder auf, die sie vor der Pest abgelehnt hätten. Zahlreiche Landbewohner wanderten in die entvölkerten Städte ab – die Losung «Stadtluft macht frei» galt nun mehr als je zuvor. Eigenleuten (Leibeigene), die nicht von ihrem Grundherrn über Jahr und Tag zurückgefordert wurden, gewährte das städtische Bürgerrecht Freiheit.
Die Grundherren erhielten so immer weniger Abgaben und Leistungen wie Frondienste. Die Geldzinse verloren ständig an Wert, fixierte Naturalabgaben bedeuteten im besten Fall stagnierende Einkünfte. Der Markt für landwirtschaftliche Pachten brach völlig ein. In manchen Gebieten führte dies zu einer Verschärfung der Leibeigenschaft, da Grundherren starken Druck auf ihre Bauern ausübten, um die massiven Einkommensverluste auszugleichen. Dies verstärkte wiederum die Neigung zur Abwanderung und Landflucht.
Um die akute Notlage durch Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft und die dadurch ausgelöste Inflation zu bekämpfen, erliess der englische König 1349 das erste Arbeitsgesetz überhaupt, die «Ordinance of Labourers». Das Gesetz verpflichtete alle bis zum 60. Altersjahr zur Arbeit, bestimmte aber, dass alle denselben Lohn erhalten sollten wie vor der Pest. Auch Handwerker durften keine Wucherpreise verlangen. Die Wirkung der Regelung blieb bescheiden; die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte wurden einfach zusätzlich mit Naturalien bezahlt.
Auf die Dauer war der Arbeitskräftemangel aber nicht mehr mit Naturalwirtschaft aufzufangen, sondern nur mit Geld. Für die englischen Adeligen wurde die Landwirtschaft zusehends unrentabel. 1381 kam es aufgrund der Lohnkonflikte zu einem grossen Bauernaufstand, worauf England als erstes Land Europas die Leibeigenschaft abschaffte. Ein Pachtsystem löste die Leibeigenschaft ab, die weniger arbeitsintensive Schafzucht den Ackerbau.
Auch in der Schweiz trug die Pest zur Erosion der Leibeigenschaft bei. Der Arbeitskräftemangel führte dazu, dass die Lasten der Leibeigenschaft vermindert wurden: Hatte der Grundherrn zuvor ein Erbrecht an der beweglichen Habe («Fahrnis») eines verstorbenen Leibeigenen, reduzierte sich dies auf eine feste Abgabe, den «Fall» («Todfall»). Diese bestand aus dem «Besthaupt» (das beste Stück Vieh aus dem Stall) und dem «Bestgewand» (Hochzeitskleid). Das Verbot der Eheschliessung ausserhalb der Genossame oder die Bindung an die Scholle waren nun gegen Geld ablösbar.
Insgesamt beschleunigten die massiven demographischen Folgen der Pest so die Modernisierung der europäischen Agrargesellschaft – zumindest in Westeuropa – und setzten die Lohnwirtschaft endgültig durch. Indirekt trugen sie zum technischen Fortschritt bei, da die steigenden Löhne Arbeitgeber dazu motivierten, Arbeitsabläufe zu mechanisieren. Der um 1450 aufkommende Buchdruck oder neue Webstühle waren Ausdruck dieses Klimas der Innovationen, das im 15. Jahrhundert um sich griff. Nicht zuletzt untergrub das Trauma der Pest auch die Stellung der katholischen Kirche, deren Gebete und Prozessionen fruchtlos geblieben waren. Kirchenreformer wie John Wyclif erhielten Zulauf – die Reformation warf ihre Schatten voraus.
Gerade während einer Pandemie geht oft vergessen, dass auch wieder bessere Zeiten kommen werden und vielleicht sehen wir ja schon heute in Ansätzen, wie diese Krise unsere zukünftigen Arbeitsplätze verändert und uns auch zeigt, dass wir auf lieb gewordene Annehmlichkeiten verzichten können, wenn es die Umstände erfordern.
Genau so wie die Menschen im Mittelalter brauchen wir jetzt einfach Ideen, wie wir die Schäden minimieren und aus den Entbehrungen Chancen für neues kreieren. Hoffentlich gelingt es uns.
Sogar die immer wieder zitierte Falschaussage dass die Ärzte nichts konnten wurde ausgelassen. Denn die waren gut ausgebildet und hoch studiert... aber sie kannten leider Bakterien und Viren noch nicht (das Mikroskop war noch nicht erfunden). Sie waren schlichtweg chancenlos gegen diese Krankheit.