Am Dienstag hat das EU-Parlament der umstrittenen Urheberrechtsreform ohne Änderungen zugestimmt. Im Nachhinein stellt sich heraus: Das Ergebnis hätte auch anders ausfallen können. Denn eine Mehrheit der Abgeordneten wollte kurzfristige Änderungsanträge, die im Plenum abgeschmettert worden waren, nach eigenen Angaben eigentlich zulassen.
Das zumindest legt die Dokumentation des Europaparlaments zur Abstimmung nahe. Demnach liessen zehn Parlamentarier ihre Stimme nachträglich korrigieren und von einer Ablehnung in eine Zustimmung ändern. Hätten sie auch im Plenum entsprechend abgestimmt, wären kurzfristige Änderungen an der Vorlage zumindest in Betracht gezogen worden. Die entsprechenden Anträge wurden nämlich nur mit einer knappen Mehrheit von fünf Stimmen abgeblockt.
Mehrere Abgeordnete der populistischen Schweden-Partei begründeten ihren Sinneswandel damit, dass sie versehentlich den falschen Knopf gedrückt hätten. «Wir hatten heute zur Urheberrechtsrichtlinie drei Stimmen per Knopfdruck abzugeben. Bei einer Abstimmung haben wir den falschen Knopf gedrückt und zwar als es um die Reihenfolge ging, in der wir abstimmen würden», liess sich die Partei im Nachgang zitieren. Ohne dieses Missgeschick hätte man über eine Streichung von Artikel 13 abstimmen können, so wie es beabsichtigt gewesen sei.
Jetzt bitte alle Nerven behalten! Die korrigierten Abstimmungen sind da. Hätten alle KollegInnen und Kollegen heute RICHTIG abgestimmt, hätte es eine Mehrheit dafür gegeben, über Änderungen an #Artikel13 & #Artikel11 vorzunehmen. 😖😖😖 #Copyright #gehtwaehlen pic.twitter.com/1iIPRxg4mr— Tiemo Wölken🇪🇺 (@woelken) March 26, 2019
In der Dokumentation zur Abstimmung ist nun ein anderes Ergebnis festgehalten, als im Plenum festgestellt wurde – und zwar, dass sich 322 Abgeordnete für Änderungen stark gemacht und 317 dagegen gestimmt hätten. Trotzdem bleibt es bei dem Abstimmungsergebnis vom Dienstag. Die Reform gilt als komplett angenommen.
Das ist besonders bitter für Abgeordnete wie Tiemo Wölken (SPD), der eine Streichung des umstrittenen Artikel 13 beantragt hatte. Dieser betrifft die Uploadfilter-Regeln für Plattformbetreiber. Auch bezüglich des Leistungsschutzrechts (Artikel 11) gab es Änderungsanträge, die nie zur Abstimmung kamen.
Hätte das Parlament Änderungen an der Vorlage vorgenommen, hätte das weitreichende Konsequenzen gehabt und die Reform deutlich verzögert. Wahrscheinlich hätte die Direktive nach der Europawahl neu verhandelt werden müssen. Die Befürworter der Reform wollten das unbedingt verhindern.
Zu den Abgeordneten, die ihre Stimme nachträglich ändern liessen, zählen auch die deutschen EU-Politiker Thomas Mann (CDU) und Josef Leinen (SPD). Mann veröffentlichte auf Facebook einen entsprechenden Nachweis.
Unklar blieb zunächst, wie es zu dem Missverständnis oder plötzlichen Sinneswandel unter so vielen Abgeordneten kommen konnte. Die deutsche EU-Politikerin Julia Reda (Piratenpartei) äusserte auf Twitter Zweifel, dass sich die betroffenen Abgeordneten «vertan» hätten. Sie «vermute eher, dass einige nicht die Verantwortung für das Ergebnis ihres Handelns tragen wollen.» Die Politiker könnten in Zukunft mit Verweis auf das Abstimmungsprotokoll behaupten, dass sie ja versucht hätten, Teile der Reform abzuwenden.
Ja, zehn MdEP änderten ihr Nein zu Änderungen im Protokoll auf ein Ja, wobei manche das wohl nur machten, um bei der Bevölkerung besser dazustehen. @hansvanbaalen hat z.B. gegen Änderungen und für die gesamte Richtlinie gestimmt und beide Stimmen im Protokoll ändern lassen— Isarjunge (@Isarjunge1) March 26, 2019
Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass einige Abgeordnete tatsächlich nicht wussten, worüber sie gerade abstimmten. So soll der EU-Präsident Antonio Tajani gemerkt haben, dass einige Parlamentarier verwirrt waren und durch Äusserungen wie «Ich hoffe, es ist klar, worüber wir gerade abstimmen» darauf eingegangen sein. (t-online.de)
Nicht mal abstimmen bzw. wissen, welcher Knopf wann zu drücken ist, ist bekannt?!?!