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Seit Wochen arbeitet Chris McSorley intensiv am «Projekt Farmteam». Er ist ja bei Servette «nur» noch Sportdirektor und nicht mehr Besitzer, Pressechef und Coach. Also hat er Zeit. Als Sportchef ist ihm daran gelegen, dass Servette durch ein Farmteam eine breitere sportliche Basis bekommt. Um für den anstehenden welschen «Titanenkampf» gegen Lausanne besser gerüstet zu sein.
Das Problem ist der Standort. In Genf, Yverdon, Lausanne, Sion oder Morges gibt es in der Westschweiz keinen Markt für ein Farmteam in der NLB. Und Martigny zu übernehmen ist erst recht keine Lösung. Die Schulden müssten übernommen werden und in Martigny gibt es weder einen Markt noch ein brauchbares Stadion für die zweithöchste Liga. Aber es gibt in der Westschweiz eine Stadt mit einer langen Hockey-Tradition und einer grossen Hockey-Begeisterung, die nicht mehr auf der nationalen Hockey-Bühne steht: Sierre.
Sierre hat eine NLA-Vergangenheit (Abstieg 1991 unter Juhani Tamminen), schrieb Ende der 1970er Jahre in der NLB mit dem Engagement des Stanley Cup-Siegers Jacques Lemaire als Spielertrainer Hockey-Weltgeschichte und spielt heute in der 1. Liga. Bereits sind gut 900 Saisonkarten für nächste Saison verkauft. Selbst in der 1. Liga ist ein Schnitt von über 1000 Fans möglich.
Deshalb verhandelt Chris McSorley mit Sierre. Ein Macher wie er ist dazu in der Lage, aus dem Erstligisten Sierre bis zum Saisonbeginn eine NLB-Mannschaft zu formen, die sich für die Playoffs qualifizieren kann. Spieler gibt es nach wie vor genug auf dem Markt, die gut genug sind für die NLB. Und ein Zuschauerschnitt bis zu 2000 Fans und damit die Finanzierung eines NLB-Budgets von 1,5 Millionen wird in der «Hockeystadt» Sierre kein Problem sein.
Nun verfällt Martigny dem Konkurs und die NLB hat für nächste Saison nur noch elf Teams. Damit tritt das «Projekt Sierre» unverhofft bereits jetzt in die entscheidende Phase. Jetzt oder nie. Sierre als Ersatz für Martigny.
Noch diese Woche braucht Chris McSorley die Zustimmung von Sierre zur Zusammenarbeit und, wenn er die bekommt, am nächsten Dienstag bei der Nationaliga-Versammlung die Zustimmung der anderen Nationalliga-Klubs mit einer Dreiviertelmehrheit.
Es gibt zwei Probleme. Erstens – und das ist das grössere Problem: Sierre ist eine Stadt mit rund 15'000 Einwohnern im Kanton Wallis. Katholisch, stolz, eigenwillig. Darauf bedacht, die eigene Identität zu wahren. Erst recht gegenüber grossen welschen Städten wie Genf und Lausanne. Aus der Losung «Wir sind gegen die übrigen Welschen und die Ausserschweiz, also sind wir» schöpfen die Walliser ja seit jeher Energie. Eigentlich ein «Kampf der Kulturen».
Der «Hockey-Heilsbringer» Chris McSorley kommt aber ausgerechnet aus Genf. Diese Stadt ist calvinistisch (also «ungläubig»), weltoffen, vorlaut, arrogant. Die Kulturen des urbanen Genf und des ländlich-alpinen Sierre zusammenzuführen ist eigentlich unmöglich. Obwohl es hockeytechnisch die beste, die aufregendste, ja die perfekte Lösung wäre. Selbst innerhalb des Wallis ist es bis heute nicht gelungen, die Hockeykräfte zu bündeln und alle Fusionsversuche zwischen Visp, Sierre und Martigny sind gescheitert. Diese politische Konstellation, dieser Unterschied der Kulturen, wird von Chris McSorley unterschätzt.
Das zweite Problem ist die Liga – und es ist das kleinere Problem: Sind die NLB-Klubs mit einem weiteren Farmteam einverstanden? Die NLB-Unternehmen mit Ambitionen und Charisma (wie Olten, Langenthal, Visp, Rapperswil-Jona, Ajoie oder La Chaux-de-Fonds) entfernen sich immer mehr von den Klubs ohne Ambitionen und Ausstrahlung (wie Winterthur, Thurgau, EVZ Academy, GCK Lions und Ticino Rockets).
Am letzten Montag hatten sich die Vertreter der NLB-Klubs zur Vorberatung der Liga-Versammlung getroffen – und sie wurden über das «Projekt Sierre» nicht informiert. Martigny war da ja noch nicht Konkurs gegangen. Es hiess lediglich vage, es könnte eventuell ein Antrag auf ein neues Farmteam gestellt werden. Nun sind die einflussreichen NLB-Klubgeneräle durch die Entwicklung, durch die Martigny-Pleite überrascht worden. Sie sind irritiert bis verärgert und emotional gegen das «Projekt Sierre.»
Allerdings ist es für Chris McSorley machbar, diesen politischen Widerstand zu überwinden, wenn er die NLA-Generäle überzeugen kann. Für die ist es bei der Ligaversammlung am nächsten Dienstag möglich, die erforderliche Stimmenmehrheit zu organisieren und die NLB-Meinungsmacher aus Langenthal, Visp, Rapperswil-Jona, Olten und La Chaux-de-Fonds zu neutralisieren. Weil sie ja die Stimmabgabe ihrer NLB-Farmteams oder der abhängigen NLB-Klubs kontrollieren.
Chris McSorley ist dazu in der Lage, aus Sierre in zwei Monaten eine konkurrenzfähige NLB-Mannschaft zu machen. Dazu kommt, dass Sierre eine Hockeykultur mit Ausstrahlung bis in die «Ausserschweiz» ist. Sierre wäre also La Chaux-de-Fons, Visp, Olten, Rapperswil-Jona oder Langenthal viel näher als den «seelenlosen» Farmteams und eine Bereicherung der NLB. Und mit einem Macher wie Chris McSorley in drei Jahren ein NLB-Spitzenteam.
Es ist eine einmalige Chance, die Hockeykultur von Sierre zu neuem Leben zu erwecken. Aber was wird stärker sein? Der Stolz der Walliser, der Härtegrad der Walliser Köpfe oder der Mut, über den eigenen Schatten zu springen und diese einmalige Chance zur Rückkehr auf die nationale Bühne zu ergreifen?
Wenn das «Projekt Sierre» scheitert, muss Spielplangeneral Willi Vögtlin nach dem Konkurs von Martigny einen neuen Modus für eine NLB mit elf Teams und einen neuen Spielplan ausarbeiten. Das Problem: damit die Budgets aufgehen, braucht es beim neuen Modus in einer NLB mit elf Teams gleich viele Heimspiele für alle wie bei der 12er-NLB.