Seit Anfang Woche erscheint bei Matteo Salvinis Twitter-Feed zuoberst immer das gleiche Video. Zu sehen ist, wie der italienische Innenminister durch die Gassen der Stadt Viterbo zieht und dabei wie ein Heilsbringer gefeiert wird.
Grazie #Viterbo, questi sono i sondaggi che preferisco!#SantaRosa pic.twitter.com/FxBq16Eelm
— Matteo Salvini (@matteosalvinimi) 3. September 2018
Gleich reihenweise säumen die Zuschauer die Strassen, schiessen Selfies mit dem Gast aus Rom, klatschen frenetisch und rufen «Bravo Matteo!».
Ein solch euphorischer Empfang kennt in Italien vielleicht sonst noch der Papst oder Cristiano Ronaldo, aber sicher kein Politiker. Diese stehen bei weiten Teilen der Bevölkerung in der Missgunst. Deswegen gewann die Anti-Establishment-Partei Cinque Stelle bei den vergangen Wahlen über 30 Prozent der Stimmen.
Doch die Partei der Stunde ist nicht das Movimiento Cinque Stelle, sondern die Lega von Matteo Salvini. Gemäss den jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts SGW hat die rechtskonservative Partei seit den Wahlen ihre Anhängerschaft fast verdoppelt. Und das in nur einem Sommer.
Bei den Wahlen im Mai kam die Lega noch auf 17 Prozent, heute würden ihr 32 Prozent der Italiener die Stimme geben. Koalitionspartner Cinque Stelle käme derweil auf noch knapp 30 Prozent.
Die Zeichen sind klar: Salvini hat mit seinem radikalen Kurs einen Nerv getroffen. Tagelang liess er Schiffe mit Hunderten Migranten auf dem Mittelmeer herumfahren, immer mit dem Risiko, dass dabei zahlreiche Menschen ums Leben kommen. Salvini nahm die Flüchtlinge als Geiseln, um damit Druck auf die EU und deren Migrationsregime auszuüben.
Quasi täglich schoss er auf Emmanuel Macron, den er als «Hauptgegner» auserkoren hat. Immer mal wieder auch unter der Gürtellinie. So bezeichnete er den französischen Präsidenten etwa als «Heuchler», der den anderen Staaten vorschreibe, wie sie mit Flüchtlingen umzugehen hätten, selber aber keine aufnehmen wolle.
So streitbar die Politik und der Stil des italienischen Innenministers auch ist, seine Beliebtheit in der Bevölkerung ist nicht von der Hand zu weisen. Dies hat nicht nur, aber sicher auch damit zu tun, dass Italien in der Flüchtlingsfrage von Europa zu lange alleine gelassen wurde.
Der Weg Salvinis zeigt momentan fast unaufhaltsam nach oben. Bereits kursieren Gerüchte, dass der 45-jährige für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude-Juncker kandidieren wird.
Nein.
Denn gestern erreichte die Lega eine Hiobsbotschaft. Ein Berufungsgericht in Genua bestätigte ein Urteil, wonach die rechtspopulistische Partei dem Staat 49 Millionen Euro zurückzahlen soll. Und das ist hoch problematisch, denn die Lega hat in der Parteikasse momentan nach Schätzungen nur rund fünf Millionen Euro liegen.
Die Strafermittler liessen gestern eigentlich keine Fragen offen, sie wollen das Geld sofort beschlagnahmen, zusätzlich auch die künftigen Einnahmen der Partei – bis die Schulden beglichen sind.
Der Grund für die finanziellen Forderungen liegt bereits einige Jahre zurück. Der frühere Parteichef Umberto Bossi soll zwischen 2008 und 2010 Gelder in der Höhe von 49 Millionen Euro veruntreut und sich persönlich bereichert haben. Mit den Steuergeldern soll Bossi unter anderem einen Universitätsabschluss für seinen Sohn gekauft und die Tierarztrechnungen für seinen Hund bezahlt haben.
Nun soll die Lega diese Gelder zurückzahlen und ist deswegen de facto pleite.
Der Skandal um die verprassten Steuergelder müsste der Lega naturgemäss zusetzen. Schliesslich erteilten die italienischen Stimmbürger im Mai dem Partei-Establishment wegen genau solcher Geschichten eine deftige Abfuhr.
Doch Salvini hat bereits zum Gegenangriff angesetzt. Er attackiert die Justiz aufs Schärfste. «Das, was der Lega widerfährt, ist ein beispielloser politischer Prozess», sagte er der Zeitung «La Stampa». Dass versucht werde, seiner Partei Steine in die Wege zu legen, mache ihn «stinksauer». Vergleichbares habe es bislang nur in der Türkei gegeben, sagte Salvini.
Sollte das Berufungsgericht in Genua seine Meinung trotz der Attacken nicht ändern – und davon ist auszugehen – hat Salvini immer noch zwei Möglichkeiten, den finanziellen Super-Gau zu umgehen. Eine davon ist, sich Zeit zu verschaffen und die Angelegenheit vor ein höheres Gericht zu ziehen.
Und dann gibt es noch eine Option, die bereits länger im Raum steht. Salvini könnte den Namen der Lega ändern und eine neue Partei gründen. Beobachter schätzen dieses Szenario als durchaus realistisch ein. Gut möglich, dass die Lega bald nicht mehr Lega heisst.
Somit würde Salvini den Steuerzahler bestrafen, der die 49 Millionen Euro mit aller Wahrscheinlichkeit nicht zurückerhalten würde. Ob dies seiner Popularität Abbruch tun würde, bleibt jedoch fraglich.