In Ferguson hat es wieder gebrannt. Aufgebrachte Demonstranten zündeten in der Nacht auf Dienstag Häuser an, demolierten Geschäfte und Autos, lieferten sich Krawalle mit der Polizei. Auslöser war die Entscheidung einer Grand Jury, keine Anklage gegen Darren Wilson zu erheben. Der weisse Polizist hatte am 9. August in der Kleinstadt im US-Bundesstaat Missouri den 18-jährigen Schwarzen Michael Brown erschossen, angeblich in Notwehr.
Amerika hält den Atem an, wieder einmal. Gleichzeitig muss die Nation miterleben, wie der zeitweise beliebteste Schwarze des Landes als mutmasslicher Serienvergewaltiger entlarvt und demontiert wird: Bill Cosby, Komiker, Schauspieler, Hauptdarsteller der sagenhaft erfolgreichen «Bill Cosby Show». Darin spielte er den Arzt Cliff Huxtable, das Oberhaupt einer intakten schwarzen Familie, und wurde dadurch zu einer Art «Vater der Nation».
In den letzten Wochen meldeten sich immer mehr Frauen zu Wort, die den 77-jährigen Cosby beschuldigen, er habe sie betäubt und vergewaltigt. Damit brach eine Mauer des Schweigens: Kollegen, Freunde und selbst Journalisten mussten zugeben, dass sie seit Jahren von den Vorwürfen wussten und trotzdem geschwiegen hatten. Denn Bill Cosby war eine lebende Legende.
Und eine Art Beruhigungsmittel für das schlechte Gewissen der weissen Amerikaner gegenüber der einzigen Bevölkerungsgruppe, die nicht freiwillig, sondern durch Versklavung ins «gelobte Land» gekommen war.
Den Schwarzen dagegen war Cosby stets ein wenig suspekt, gerade wegen seines Erfolgs beim weissen Publikum. Er sei ein «Onkel Tom», der sich bei den Weissen anbiedere. Der Komiker seinerseits sparte nicht mit Kritik an Afroamerikanern, vor allem jungen Männern, die ihre Schulbildung abbrechen, kein richtiges Englisch sprechen und Sklaverei-Ausdrücke wie «Nigger» verwenden: «Hört auf, eure Frauen zu schlagen, nur weil ihr keinen Job findet», hielt er ihnen vor.
Diese Worte klingen wie Hohn angesichts der gegen Cosby erhobenen Vergewaltigungs-Vorwürfe. Dennoch erhält der Komiker Schützenhilfe von prominenten Vertretern der schwarzen Gemeinschaft. Dies entspreche einer langen Tradition, «das Leiden der einen zu ignorieren, während man laut gegen jenes der anderen protestiert», hielt die schwarze Journalismus-Professorin Khadijah Costley White in Anspielung auf den Entscheid der Grand Jury im Fall Michael Brown auf Quartz fest.
Die Ursache dafür findet sich in den finsteren Ecken der amerikanischen Geschichte: Schwarze Frauen wurden ungestraft von weissen Männern vergewaltigt. Umgekehrt konnten Schwarze gelyncht werden, wenn sie einer weissen Frau auch nur einen «unpassenden» Blick zuwarfen. Dies habe zu einer «Kultur des Schweigens» in der schwarzen Gemeinschaft gegenüber sexueller Gewalt geführt, klagt Costley White.
Heute wird kaum noch jemand gelyncht, dafür werden schwarze Männer überdurchschnittlich oft das Opfer von Gewalttaten. Die meisten ereignen sich innerhalb der eigenen Gemeinschaft, etwa durch Abrechnungen zwischen Gangs. Aber immer wieder kommt es zu Fällen, in denen junge schwarze Männer von weissen Polizisten getötet werden. Wie Michael Brown in Ferguson. Oder Eric Garner, der im Sommer in New York so lange gewürgt wurde, bis er tot war. Ähnlich lief es vor zwei Jahren in Florida im Fall Trayvon Martin, nur dass der Täter ein Nachbarschaftswächter war.
Alle drei Opfer waren unbewaffnet. Und in allen drei Fällen war das Motiv identisch: Angst vor der angeblichen Aggressivität des schwarzen Mannes.
Letztes Jahr sorgte eine Studie für Aufsehen, wonach jeder dritte männliche Schwarze damit rechnen muss, einmal in seinem Leben ins Gefängnis zu wandern. Daran sind sie nicht nur selber schuld. Die Studie verweist auf rassistische Vorurteile bei der Polizei. So wurden zwischen 1980 und 2010 mehr als doppelt so viele schwarze Jugendliche wegen Drogendelikten verhaftet als weisse – obwohl eine andere Untersuchung gezeigt hat, dass weisse Schüler häufiger illegale Drogen konsumieren als gleichaltrige Schwarze.
Für die Afroamerikaner hat sich in den letzten Jahrzehnten manches zum Besseren gewandelt. Dafür steht nicht zuletzt der erste schwarze Präsident. Doch auch sechs Jahre nach Barack Obamas Wahl sind die USA weit davon entfernt, ein «farbenblindes» Land zu sein.
Dies zeigt auch der Fall eines jungen Schwarzen, der 1997 erschossen wurde, als er auf einer dunklen Strasse in Los Angeles eine Reifenpanne hatte und ein Rad wechseln wollte. Ein 18-jähriger Einwanderer aus der Ukraine glaubte, er habe es mit einem Drogendealer zu tun, und wollte ihn ausrauben. Doch das Opfer war ein Student und angehender Lehrer. Sein Name: Ennis Cosby. Er war der einzige Sohn von Bill Cosby.