Die jüngsten Raketentests des Regimes von Kim Jong Un haben die letzten Illusionen zerstört. «Nordkorea könnte schon 2018 einsatzfähige Langstreckenraketen haben, mindestens zwei Jahre früher als bisher angenommen», meldet der «Economist».
In der «New York Times» stellt derweil Jeffrey Lewis nüchtern fest: «Machen wir uns nichts vor: Nordkorea kann mit Atomwaffen die USA treffen». Lewis ist ein anerkannter Militärexperte, der am James Martin Centre for Non-Proliferation Studies in Kalifornien tätig ist.
Die Tatsache, dass ausgerechnet das groteske Regime von Kim bald Mitglied des Atomclubs sein wird, ist skurril. Wirtschaftlich gesehen ist das Land ein Zwerg. Das nordkoreanische Bruttoinlandprodukt ist kleiner als die Ausgaben der Amerikaner für Hunde- und Katzenfutter.
Lange hat man deshalb den verrückten Kim nicht wirklich ernst genommen. «Die Amerikaner haben sich gegenseitig eine beruhigende Geschichte nach der anderen erzählt», stellt Lewis fest. «China wird das Problem für uns lösen. Wir können mit Cyberattacken die nordkoreanischen Raketen ausschalten. Wir können die Testraketen abschiessen. Die Raketen sind ohnehin bloss vorgetäuscht und zu klein, um nukleare Sprengkörper zu transportieren. Die nordkoreanischen Wissenschaftler werden auf unlösbare Probleme stossen.»
All diese Ausreden kann man nun in den Abfallkübel der Geschichte schmeissen. «Die Realität ist, dass die Vereinigten Staaten von nordkoreanischen Atombomben angegriffen werden können», so Lewis. «Und wir haben keine andere Möglichkeit, als mit dieser Realität zu leben.»
Im Fall von Nordkorea wiederholt sich die Geschichte. Als Mao Zedong zu Beginn der 60er Jahre China zu einer Atommacht emporstemmte, war die Ausgangslage ähnlich. China lebte damals in einem Steinzeit-Kommunismus und war bitterarm. Auch damals ging man davon aus, dass die Entwicklung von Atomwaffen und Langstreckenraketen die Möglichkeiten der Chinesen weit übersteigen würde.
Es war Wunschdenken. «1966 bestückten die Chinesen eine Langstreckenbombe mit eine atomaren Sprengkopf und schickten sie über das ganze Land in ein Testgelände in der westlichen Wüste, wo sie explodierte», so Lewis. «Danach hörten die Vereinigten Staaten auf, die chinesischen Nuklearwaffen klein zu reden.»
Zuvor hatten die Amerikaner die Chinesen im Korea-Krieg unterschätzt. Als die US-Truppen die Nordkoreaner nach deren Invasion in Südkorea wieder an die Grenze des 38. Längengrads zurückgedrängt hatten, wollte General Mac Arthur bis zur chinesischen Grenze durchmarschieren. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, dass die vom Zweiten Weltkrieg stark geschwächte chinesische Armee in den Krieg eingreifen würde. Sie tat es und brachte die US-Truppen an den Rand einer Niederlage.
Militärisch wird Kim kaum mehr zu bremsen sein. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Szenarien, die aufzeigen, was geschehen würde, sollten die USA versuchen, das nordkoreanische Regime mit einem Überraschungsangriff auszuschalten. Alle diese Szenarien münden in einer Katastrophe mit Millionen von Toten. «Überschätzen wir Nordkorea?», fragt sich Jonathan Pollack sarkastisch. «Ich möchte es nicht herausfinden.» Pollack war ein CIA-Analyst und hat frühzeitig vor einem Angriff Saddam Husseins auf Kuwait gewarnt. Heute arbeitet er an der renommierten Denkfabrik Brookings Institution.
Umgekehrt ist die Hoffnung gerechtfertigt, dass auch Nordkorea keinen Atomkrieg will. Kim weiss, dass dies sein Untergang wäre, und Selbstmordgedanken werden ihm keine nachgesagt. Für Kim und sein mörderisches Regime sind die Atomwaffen vielmehr eine Lebensversicherung. Sie sollen verhindern, dass er mit einem von den USA gesponserten Coup gestürzt wird.
Selbst Donald Trump scheint eingesehen zu haben, dass ein militärischer Angriff keine Option ist. Nachdem er noch vor Wochen per Twitter damit geprahlt hatte, dass er niemals zulassen werde, dass Nordkorea über Langstreckenraketen verfüge, hat er zurückgerudert. Via seinen Aussenminister Rex Tillerson liess er ausrichten, dass die USA keinen Regierungswechsel in Nordkorea anstreben würden. «Wir hoffen, dass die Nordkoreaner das einsehen und wir eines Tages einen vernünftigen Dialog mit ihnen führen können», so Tillerson.
Sein Wort in Gottes Ohr.