Politikverdrossenheit macht sich in den Demokratien breit. Das nutzte der Franzose Emmanuel Macron, 39. Er verkaufte sich als Politiker, der nicht zum Establishment gehört, als einer, der Aufbruch verspricht. Also gründete er vor 14 Monaten das Mouvement La République en Marche.
Dass er als Minister unter dem früheren Präsidenten François Hollande amtete, tat seiner Popularität keinen Abbruch. Nein. Nach seiner Wahl zum Präsidenten vor einem Monat stattet ihn nun das Volk mit einem Parlament aus, das seine Reformpolitik stützt: Es wählt fleissig die Kandidaten des Mouvements.
Auch in der Schweiz schaffen neue Parteien immer wieder den Sprung ins Parlament. Dass jedoch ein Aufstieg à la Macron gelingen kann, hält Politgeograf Michael Hermann prinzipiell für unmöglich.
Vor allem die Unterschiede im Wahlsystem verhindern einen Durchmarsch: Wie in den USA wählt in Frankreich das Volk seinen Präsidenten. Wie in Deutschland oder Grossbritannien kann dieser aber nur regieren, wenn es vom Parlament gestützt wird. Das französische System ist also eine Mischform, eine «semi-präsidentielle» Demokratie.
Gemäss Hermann ist in Frankreich die Figur, der Staatschef, wichtiger als das Parlament. «Die Franzosen hievten Emmanuel Macron ins Amt – und vollziehen mit der Parlamentswahl nun den zweiten Schritt: Sie müssen ihm die Handlungsfähigkeit ermöglichen.»
In der Schweiz wird die Regierung vom Parlament gewählt. So funktionierten Eveline Widmer-Schlumpf oder Christoph Blocher als Zugpferde für Parlamentswahlen. Ihre Macht blieb eingeschränkt, gehören Bundesräte einerseits einem Siebner-Gremium an. Andererseits vereint die grösste Partei, die SVP, knapp 30 Prozent der Stimmen auf sich, dem Mouvement wird zugetraut, mehr als 400 der 577 Sitze zu besetzen.
Das hängt mit dem Wahlsystem zusammen. Im Unterschied zum französischen Majorzsystem (pro Wahlkreis kommt eine Person ins Parlament) wählt die Schweiz den Nationalrat im Proporzwahlrecht: Je nach Kantonsgrösse und Stimmenverhältnis werden die Sitze auf verschiedene Parteien verteilt. In Frankreich gilt für jeden der 577 Wahlkreise: The winner takes it all.
Das Wahlsystem ist ein Grund. Für Hermann ist Macron generell «eine Ausnahmefigur». Europaweit sei es «sehr unüblich», dass eine neue, starke Partei entsteht, ohne dass eine alte vorgängig zusammengebrochen ist. Bemerkenswert sei ausserdem, dass auch in anderen Ländern links-liberale Bewegungen entstanden seien, in der Regel aber sehr klein blieben. Hermann: «Macron hat seine Vorteile geschickt ausgespielt und sich als Gegner der rechtsnationalen Politikerin Marine Le Pen positioniert.» Auch sie machte sich die Politikverdrossenheit zunutze. Gegen die frische Kraft, die Optimismus versprüht, hatte sie aber keine Chance. (aargauerzeitung.ch)
Wie bei Religionen... Die Gebote und Grundgedanken wären gut, aber die Vertreter auf Erden verderben den Brei.