Dieses Jahr feierte die Personenfreizügigkeit bereits ihren 15. Geburtstag. Keine Selbstverständlichkeit. Denn aktuell steht sie unter Druck wie noch nie: Die SVP und die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) planen eine Volksinitiative, um das Abkommen zur Personenfreizügigkeit zu kündigen. Aufgrund der sogenannten Guillotine-Klausel drohen damit die gesamten Bilateralen I wegzufallen.
«Das Personenfreizügigkeitsabkommen führt zunehmend zu sozialen Problemen, Armut und Überbevölkerung in unserem schönen Land», schrieb Albert Rösti, SVP-Präsident, in einem Newsletter im Dezember. «Das alles haben wir den Sozialdemokraten und dem Freisinn zu verdanken, die um jeden Preis an diesem schädlichen Abkommen festhalten wollen.»
Fakt ist: Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit hat die Zahl der Zuwanderer in die Schweiz stark zugenommen. Im Jahr 2008 wanderten netto 61'300 EU-Bürger in die Schweiz ein. Mittlerweile sind die Zahlen stark gesunken. Im vergangenen Jahr waren es noch halb so viele.
Die grosse Zahl Zuwanderer weckt Ängste bei der einheimischen Bevölkerung, die sich auch die Frage stellt: Wer profitiert eigentlich vom Abkommen?
Bei den Unternehmern ist die Antwort offensichtlich. Durch das Abkommen können Firmen sich ihre Fachkräfte nicht nur in der Schweiz, sondern im ganzen EU-Raum suchen. Zum Beispiel das Gesundheitswesen macht davon kräftig Gebrauch.
Doch was haben wir Nicht-Wirtschaftsbosse, wir Normalos davon? Fünf Situationen, in denen wir der Personenfreizügigkeit dankbar sein können.
Denkt man an die Personenfreizügigkeit, denkt man zuerst einmal an die Zuwanderer. Dass auch wir unkompliziert in ein EU-Land ziehen können, wird dabei fast vergessen.
Es sind die Auslandschweizer, die fünfte Schweiz, die uns jeweils daran erinnern. Immer dann, wenn das Abkommen wieder einmal in Frage gestellt wird, erheben sie ihre Stimme. Dafür haben sie gute Gründe. Ihr Leben in Staaten der Europäischen Union wurde durch das Abkommen um einiges einfacher. Das gilt auch für dich, falls du dich entscheidest auszuwandern, oder auch nur für kurze Zeit im EU/EFTA-Raum arbeiten möchtest:
In einer Antwort auf eine Interpellation hielt auch der Bundesrat fest, dass der Zugang für Schweizer zum europäischen Arbeitsmarkt durch einen Wegfall der Personenfreizügigkeit erschwert werden würde. Die Begründung: Die Schweiz müsste mit jedem Staat die Zulassung von Schweizern zum Arbeitsmarkt einzeln regeln. Die Folge: uneinheitliche Regeln und höhere Hürden.
Gleich geht's weiter mit den Infos zur Personenfreizügigkeit, vorher ein kurzer Hinweis:
EU-Bürger, die in der Schweiz arbeiten, kassieren hier nicht nur ihren Lohn. Auch sie müssen Abgaben an unsere Sozialversicherungen zahlen. Mittlerweile wird ein Viertel der Abgaben für AHV und IV von EU-Bürgern übernommen.
Vor allem bei der AHV ist dies ein willkommener Zustupf. Zwar schreibt die AHV seit 2015 rote Zahlen, doch ohne Zuwanderung wäre dies bereits früher der Fall gewesen. Oder wie es Boris Zürcher vom Staatssekretariat für Wirtschaft an einer Pressekonferenz ausdrückte: «Wir haben uns ein paar Jahre Zeit erkauft.»
In Zahlen: 2015 wies die AHV ein Minus von 579 Millionen Franken auf. Ohne Personenfreizügigkeit wäre der Negativbetrag bereits bei drei Milliarden Franken, schätzt das Seco.
Negative Konsequenzen hat die Personenfreizügigkeit aber für die Arbeitslosenversicherung. Schweizer zahlen insgesamt 28 Prozent mehr in die Kasse ein, als sie daraus ziehen, während Eingewanderte mehr profitieren, als sie einzahlen. Das liegt daran, dass die Arbeitslosenquote bei Ausländern höher ist als bei Schweizern.
Als die Personenfreizügigkeit 2002 an der Urne angenommen wurde, war die Angst in der Bevölkerung gross: Man befürchtete, die EU-Bürger würden zukünftig den Schweizern die Jobs wegkrallen und die Löhne drücken.
Auch nach 15 Jahren zeigen die neuesten Zahlen des Seco: Bisher war die Angst unbegründet. Und dies trotz massiv mehr Zuwanderern als einst prophezeit wurde.
In allen drei Sprachregionen ist seit der Einführung der Personenfreizügigkeit die Erwerbstätigkeit gestiegen. Selbst in Zeiten von besonders hoher Zuwanderung standen nicht mehr Schweizer auf der Strasse. Das Seco führt diese Entwicklung teilweise auf das Abkommen zurück. Nur in Teilbereichen des Arbeitsmarktes sei es vermehrt zu Konkurrenzsituationen zwischen Schweizern und EU-Bürgern gekommen.
Hinzu kommt: Durch die Personenfreizügigkeit ist die Zahl potenzieller Arbeitgeber um einiges grösser. Für jeden von uns. Zumindest theoretisch. Denn ich kann nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, Österreich oder Frankreich auf Job-Suche gehen.
Kaum war die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP angenommen, bekam die Schweiz den Zorn der EU zu spüren. Betroffen waren aber nicht Schweizer allgemein, sondern in erster Linie Forscher und Studenten. Denn: Die EU strich die Schweiz kurzerhand aus dem Forschungsprogramm Horizon und aus dem Austauschprogramm Erasmus+, weil die Schweiz wegen dem Abstimmungsergebnis die Personenfreizügigkeit vorerst nicht auf Kroatien ausweiten konnte.
Mittlerweile ist die Schweiz wieder bei Horizon mit von der Partie, beim Erasmus ist man aber noch immer nicht wieder vollwertiges Mitglied.
Die beiden Massnahmen zeigen auf: Ohne Personenfreizügigkeit ist die Teilname an europaweiten Programmen wie Horizon oder Erasmus zumindest erschwert.
Neben der Wissenschaft hätte auch die hiesige Filmindustrie unter der Kündigung zu leiden. Denn auch hier setzte die EU bisher die Personenfreizügigkeit voraus, dass sich die Schweiz beim Filmförderungsprogramm Media beteiligen darf. Seit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative ist die Schweiz davon ausgeschlossen.
In einer Fragestunde des Parlaments äusserte sich der Bundesrat zu diesem Thema. Die finanziellen Verluste könnten kurzfristig mit Ersatzmassnahmen kompensiert werden. «Aber auf die Dauer verliert der Schweizer Film an internationaler Visibilität, und die Angebotsvielfalt auf Schweizer Kinoleinwänden ist bedroht.»
Zudem betonte der Bundesrat den Aspekt, dass mit einem Wegfall der Personenfreizügigkeit und einer Einführung von Kontingenten auch ausländische Kameraleute und Schauspieler darunter fallen würden, was die filmische Tätigkeit in der Schweiz erschweren würde.