US-Präsident
Donald Trump will wieder auf Kohle und Öl setzen und das Abkommen von Paris
kündigen. Macht es da noch Sinn, wenn wir Schweizer uns Mühe geben, unsere
Wirtschaft ökologisch umzugestalten?
Man kann die Macht eines US-Präsidenten auch
überschätzen. Sein Auftritt, den «Krieg gegen die Kohle» zu beenden, war zwar
wirkungsvoll inszeniert. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich jedoch: Seit 2010
sind rund 250 amerikanische Kohlenkraftwerke – das entspricht rund der Hälfte –
geschlossen worden, die letzten in den vergangenen drei Monaten. Die
wirtschaftliche Situation hat sich so verändert, dass nicht einmal die
Kohlenindustrie an einen neuen Boom glaubt.
Mit
anderen Worten: Die grüne Wirtschaft ist dabei, sich durchzusetzen – und selbst
politische Dummheit kann diesen Trend nicht mehr aufhalten?
Man soll politische Dummheit nicht
unterschätzen. Aber die Kraft der Märkte zeigt, dass Kohle nicht mehr attraktiv
ist, und auch Erdölfirmen beginnen umzudenken. Sogar Exxon hat Trump in einem
Brief gebeten, die Pariser Verträge nicht zu kündigen. Auch die Kohlenindustrie
ist nicht an einer Kündigung interessiert.
Aber
sein Umweltminister Scott Pruitt.
Mag sein. Wenn jedoch der Exxon-Präsident
Trump bittet, ja nicht aus dem Pariser Abkommen auszusteigen, dann ist das ein
klares Zeichen dafür, wie rasch die ökologische Umgestaltung der Wirtschaft fortschreitet.
Diese Entwicklung wird weitergehen. Einerseits aus wirtschaftlichen Gründen,
andererseits auch aus politischen. China beispielsweise ist heute schon der mit
Abstand grösste Investor in erneuerbare Energien und plant bis 2020 weitere 400
Mrd. Franken in den Sektor zu investieren. Auch einzelne US-Bundesstaaten und
Städte machen sehr viel Druck, die grüne Wirtschaft weiter voranzutreiben.
Kann
man das bereits in Zahlen und Fakten erfassen?
Man kann. Wir haben weltweit seit drei Jahren
stagnierende CO2-Emissionen, und zwar bei einem positiven
Wirtschaftswachstum. Das hat es bisher noch nie gegeben. Natürlich braucht es den politischen Druck
weiterhin. Wäre Trump jedoch vor vier oder acht Jahren gewählt worden, dann
hätte er sehr viel mehr Schaden anrichten können.
Cleantech
ist keine moralische Frage mehr, sondern eine wirtschaftliche Chance. Tesla ist
mehr wert als GM und Ford.
Die grossen Investoren beginnen das zu
begreifen und vermeiden zunehmend Aktien und Obligationen von fossilen Energieerzeugern
in ihrem Portfolio. Umgekehrt konnte die Solarindustrie in den letzten sieben
Jahren ihre Kosten um 80 Prozent senken. Bei der Atomindustrie geschieht genau
das Gegenteil: Jedes neue Kraftwerk wird teurer. Diese Entwicklungen kann man
nicht mehr leugnen.
Wie
kann man angesichts dieser Entwicklung in der Schweiz eine Werbekampagne
fahren, bei der mit kaltem Duschen gedroht wird?
Das ist reine Verzweiflung. Diese Kampagne
spielt sich in einer alternativen Realität ab, die nichts mit dem zu tun hat,
was weltweit abgeht. In der Schweiz erhält man den Eindruck, die Energiewende finde
nur hierzulande statt oder vielleicht noch in Deutschland, der Rest der Welt
sei davon nicht betroffen. Dabei findet weltweit ein rasanter Umbau des
Energiesystems statt: Weg von fossilen Energien und der Atomkraft und hin zu
erneuerbaren Energien. Die Atomenergie beispielsweise
hat weltweit ihren Höhepunkt bereits in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre überschritten.
Seither schwindet ihr Marktanteil. Und in China, das rund die Hälfte des
weltweiten Kohlenkonsums ausmacht, sinkt der Kohlenverbrauch seit drei Jahren.
Was ist
von der immer wieder beschworenen «nuklearen Renaissance» zu halten?
Sie ist ein Rohrkrepierer. Einzig an Orten, an
denen die Atomenergie massiv subventioniert wird – in England und Finnland
beispielsweise – werden noch neue Meiler gebaut. Der japanische Konzern Toshiba
muss rund sechs Milliarden Dollar abschreiben, weil seine Tochter Westinghouse aufgrund
ihrer desaströsen US-Atomprojekte bankrott ist. So weitermachen wie bisher –
das ist unmöglich geworden. Diese Option existiert schlicht nicht mehr.
Selbst
wenn die risikolosen «Kuschel»-Atomkraftwerke kommen, die uns schon lange
versprochen werden?
Seit ich mich mit Atomkraftwerken
auseinandersetze, bekomme ich zu hören: Die nächste Generation wird wirtschaftlich
und sicher. Dieses Versprechen ist nie eingelöst worden. Deshalb ist Westinghouse
bankrott, und das französische Vorzeigeunternehmen Areva musste mit hohen
Verlusten in die staatliche Electricité de France eingegliedert werden. Wenn
wir das Versprechen der Pariser Verträge – die Temperaturen dürfen höchsten um
zwei Grad steigen – einhalten wollen, dann muss die Weltwirtschaft 2050 weitestgehend
ohne fossile Brennstoffe auskommen. Das bedeutet, dass nur Technologien, die
heute schon erfolgreich am Markt sind, einen nennenswerten Beitrag zur
Dekarbonisierung leisten werden. Sieht man sich die langen Planungs- und
Bauzeiten und die massiven Verzögerungen von AKW-Projekten wie Olkiluoto oder
Flamanville an, wird klar: Für die Atomkraft ist der Zug schlicht abgefahren.
Kann
diese Lücke gefüllt werden?
Die Internationale Agentur für Atomenergie (IAEA) beziffert den Anteil der Atomenergie an der weltweiten Energieversorgung auf
knapp fünf Prozent. Die IAEA ist mit Sicherheit kein Gegner der Atomenergie,
doch in ihren Szenarien für 2050 kommt sie auf einen Marktanteil der Atomkraft
von lediglich 2,3 bis 4,8 Prozent – im allerbesten Fall also Stillstand. Damit
wird das Klimaproblem nicht gelöst, ja damit wird nicht einmal ein relevanter
Beitrag geleistet. Wer verspricht, mit Atomenergie das Klimaproblem zu lösen,
der erzählt ein Märchen. Im Gegensatz dazu weist die Energieeffizienz ein
enormes Potential auf, den Energiebedarf zu reduzieren, und mehr als die Hälfte
der weltweit neu installierten Energieproduktionskapazität entfällt heute schon
auf die erneuerbaren Energien – bei zweistelligen Wachstumsraten.
Die
Gegner des Energieartikels drohen nicht nur mit kalten Duschen, sondern auch
mit happigen Preisaufschlägen. 3200 Franken soll ein Ja die Bürgerin und den Bürger
kosten – und zwar jährlich und pro Kopf. Was ist davon zu halten?
Es ist eine Phantasiezahl. Es ist wie mit dem
Kalt-Duschen-Argument. Wenn Sie nicht mehr weiterwissen, dann machen Sie den
Menschen Angst.
Im
Winter importiert die Schweiz jedoch tatsächlich Strom.
Dank unserer Wasserkraft haben wir eine sehr
gute Ausgangslage, um im Winter über die Runden zu kommen. Der ETH-Professor
Anton Gunzinger hat vorgerechnet, wie man über unsere Speicherkraftwerke enorm
viel erneuerbare Energie speichern und dann in unsere Netze bringen kann, wenn
die Nachfrage dies verlangt. Und vergessen wir nicht: Auch die Batterie-Technik
weist mittlerweile eine Lernrate von rund 20 Prozent auf.
Gunzinger
sagt gar, die Schweiz könnte ihren Energiebedarf dereinst autonom decken.
Teilen Sie diese Einschätzung?
Natürlich sollten wir möglichst viel Energie
selbst herstellen und möglichst wenig verschwenden. Ich denke jedoch, eine gute
Vernetzung in Europa ist ebenfalls erstrebenswert.
Mehr
einheimische Energie, das bedeutet mehr Windräder, welche die Landschaft
verschandeln oder mehr gestaute Flüsse. Dagegen wehren sich auch
Landschaftsschützer und Fischer.
Das Energiegesetz gibt Richtlinien für den
gesamten Zubau von erneuerbarer Energie vor. Es schreibt jedoch keine bestimmte
Technologie vor. Das grösste Zubaupotential haben wir ganz klar im Bereich der
Solarenergie. Wir vom WWF gehen davon aus, dass das Potenzial von Solarenergie in
der Schweiz rund zehn Mal grösser ist als bei Windenergie. Auch Biomasse hat in
der Schweiz noch ein grosses Potential. Konkret heisst das, dass in der Schweiz
dereinst bis zu 400 Windräder stehen könnten. Zum Vergleich: Österreich hat
heute schon über 600. Die Bilder einer mit Spargeln übersäten Rigi gibt es nur
dank Photoshop. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Wir setzen uns dort für
Windenergie ein, wo das Potential gross ist und der Schaden für die Umwelt
klein.
Solarenergie
wird sich somit zum wichtigsten Energieträger entwickeln?
Die Sonne scheint gratis, deshalb liegen die
Grenzkosten bei der Solarenergie nahe bei Null. Aber der Energiemix ist die
Lösung: Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse – alle haben Potential und
müssen nur optimal eingesetzt werden.
Die
Gegner der Solarenergie beklagen, dass sie giftigen Sondermüll hinterlassen und
viel graue Energie verschlingen würde.
Um das zu behaupten, muss man auf Zahlen aus
den Achtzigerjahren zurückgreifen. Eine moderne Solarzelle liefert fünfzehn Mal
so viel Energie wie sie zur Herstellung benötigt. Auch bei den problematischen
Substanzen hat man grosse Fortschritte erzielt. Und die Technologie entwickelt
sich immer noch sehr schnell weiter.
Was ist
mit dem dreckigen Kohlestrom, den wir importieren, wenn wir auf Engpässe bei
der nachhaltigen Energie stossen?
Wir importieren
bereits heute Kohlestrom im Winter, das ist ein Problem. Deshalb investieren
wir ja mit der Energiestrategie in die einheimische, erneuerbare
Energieproduktion. Zusätzlich zur Produktion haben wir aber auch ein grosses
Potential zur Steuerung des Stromverbrauches, wenn wir unser Stromnetz
weiterentwickeln – Stichwort SmartGrids. So werden wir unabhängig vom Kohlestrom.
Sie
sprechen das «Internet der Dinge» an, die Waschmaschine, die dann wäscht, wenn
der Strom billig ist, oder das Elektroauto, das auch eine Batterie ist.
Dort schlummern noch enorme Möglichkeiten, um
den Verbrauch effizienter zu machen. Der Ruf nach «Bandstrom» – grosse
Energiemengen, die regelmässig anfallen – stammt aus der alten Energiewelt. In
der künftigen Energiewelt werden wir Speicherkapazitäten auf den
verschiedensten Stufen benötigen, vom Pumpspeicherwerk bis zur Batterie. Damit
das auch funktioniert, brauchen wir intelligente Netze.
Hardcore-Liberale
beklagen, dass die neue Energiewelt viel zu viele Subventionen verschlinge.
Macht die reine Marktlehre im Energiebereich überhaupt Sinn?
Das Ausspielen von Markt und Staat ist eine
Pseudo-Diskussion geworden. Gerade im Energiemarkt braucht es klar definierte
Rahmenbedingungen. Was die Subventionen betrifft: Entscheidend ist, dass man in
dieser Frage ehrlich ist. Am meisten Subventionen beziehen nach wie vor die
Erdöl- und die Atomindustrie. Weltweit werden heute jährlich 5300 Milliarden
Dollar in die Subventionierung fossiler Energieträger gesteckt. Das ist mehr
als alle Staaten der Welt zusammen für ihre Gesundheitssysteme ausgeben. Die erneuerbaren
Energien erhalten einen kleinen Bruchteil dieser Summe. Bei ihnen über
Subventionen zu klagen, die üppige staatliche Unterstützung fossiler und
atomarer Energie aber auszuklammern, ist schlicht unehrlich.
Deutschland
wird bei dieser Gelegenheit als schlimmes Beispiel von
Steuergeld-Verschleuderung dargestellt. Zur Recht?
Deutschland hat 18 Jahre vor der Schweiz
begonnen, auf erneuerbare Energie zu setzen, und dabei die Kosten massiv senken
können. Auch im Fall von Deutschland werden Halbwahrheiten und falsche Zahlen
in Umlauf gebracht.
Es
heisst, der Mensch lerne nach 25 nicht mehr viel Neues. Liegt das Problem in
der Schweiz darin, dass wir noch zu viele Menschen in leitender Stellung haben,
die noch die Energiediskussion der Achtzigerjahre in den Köpfen haben und die
Entwicklung der letzten 30 Jahre verpasst haben?
Vieles in der aktuellen Energiedebatte kann
man tatsächlich nicht rational erklären. Es hat vielmehr mit Identitäts-Politik
zu tun. Auf der politischen Bühne werden die immer gleichen alten Konflikte neu
inszeniert: Man ist für oder gegen einzelne Energieträger, wie man das in den
70er und 80er Jahren war, auch wenn sich der globale Energiesektor seither
grundlegend geändert hat. Wir dürfen aber auch nicht vergessen – die Schweiz
hat eine sehr starke Erdöl-Lobby mit einem sehr grossen Interesse, den Status quo möglichst lange zu erhalten: Beispielsweise indem alte Erdölheizungen
wieder durch Erdölheizungen ersetzt werden oder wir weniger effiziente Autos
kaufen als im Rest von Europa.
Aber
eine SVP müsste doch Freude haben an einer Schweiz, die nicht auf
Energieimporte aus dem Ausland angewiesen ist. Immerhin schaufeln wir jährlich
rund zehn Milliarden Franken in den Rachen von Ölscheichen und von Putin.
Sie setzen voraus, dass es eine logische
Kongruenz von einzelnen Bereichen der Politik gibt. Das trifft nicht zu. Die
SVP kann beispielsweise in der Agrarpolitik eine hohe Selbstversorgung
postulieren und gleichzeitig in der Energiepolitik argumentieren, eine hohe
Auslandabhängigkeit sei egal. Sie verteidigt ein Bild der Vergangenheit, und
wenn in dieser Vergangenheit Erdöl eine wichtige Rolle gespielt hat, dann
verteidigt sie auch Erdöl. Es hat ja funktioniert. Wir konnten warm duschen.
Dass wir damit das Klima anheizen und unsere Zukunft aufs Spiel setzen, wird
ausgeblendet.