Simonetta Sommaruga fand deutliche Worte für das jüngste Gericht aus der SVP-Küche: «Beschämend» und «menschenverachtend» sei die geplante Asyl-Initiative, meinte die Justizministerin an ihrem Sommeranlass. Fraktionschef Adrian Amstutz hatte sie vor zwei Wochen via Sonntagspresse ins Spiel gebracht. Demnach soll nur noch ein Asylverfahren erhalten, wer auf direktem Weg und nicht via Drittstaaten in die Schweiz gelangt.
Eine weitere Volksinitiative fordert eine massive Einschränkung der Entwicklungshilfe. Sie wurde nicht direkt von der Volkspartei lanciert. Eigentliche Urheber sind die evangelikalen Fundis der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU). Im Initiativkomitee aber stellen Politiker aus der SVP die Mehrheit. Und am Dienstag folgt der nächste Streich: Die SVP präsentiert den Text zur bereits angekündigten Volksinitiative «Schweizer Recht geht fremden Recht vor».
Die Kollision der Volksbegehren hat am Wochenende für mediales Rumoren gesorgt. So steht offenbar noch nicht fest, ob die Asyl-Initiative tatsächlich lanciert wird. Alles andere wäre aber eine Überraschung. Asyl ist das Kernthema der SVP, einen Rückzieher kann sich die Partei gar nicht leisten. Auch aus einem handfesten Grund: Es geht um die Wahrung ihres Besitzstandes. In den 1990er Jahren hatte die SVP fast das gesamte nationalkonservative Spektrum «aufgesogen» und war nach rechts gerückt. Der einst starke liberale Flügel spaltete sich mit der BDP ab oder versank in Resignation. Wann wurde Adolf Ogi letztmals an einem SVP-Anlass gesichtet?
Zumindest in der Deutschschweiz hatte sie mit dieser Strategie enormen Erfolg. Rechts von ihr existieren nur noch marginale Gruppen. Doch damit handelte sie sich auch ein Problem ein. Der Politikwissenschaftler Adrian Vatter mutmasste bereits nach den Eidgenössischen Wahlen 1999 gegenüber der «Berner Zeitung», dass die SVP «eine noch strammere rechtsbürgerliche Politik verfolgen muss, um das Terrain der Rechtsaussen-Parteien besetzt halten zu können».
Die Geschichte hat ihm recht gegeben. Die SVP hat keine andere Wahl, als immer radikalere Initiativen zu lancieren, selbst wenn sie damit ihren Wirtschaftsflügel verärgert. Der rechte Rand des politischen Spektrums zeichnet sich nicht durch grosse Bündnistreue aus. Republikaner, Nationale Aktion (die heutigen Schweizer Demokraten), Auto-/Freiheitspartei, Vigilants – sie alle können davon ein Liedlein singen. Sie waren mal erfolgreich und verschwanden oder versanken in der Bedeutungslosigkeit.
Ein weiterer Punkt: Während Pragmatiker mit einem faulen Kompromiss leben können, gehört es zum Wesenszug der politischen Extreme, dass sie nie zufrieden sind und immer härteren Stoff verlangen. Für die SVP ist es deshalb eine zweischneidige Sache, dass sie seit einiger Zeit nicht nur Wahlen, sondern auch Abstimmungen gewinnt.
Das verschärfte Asylgesetz genügt nicht, sie muss eine Initiative nachliefern. Das Ja zur Ausschaffungsinitiative genügt nicht, sie hat mit einer Durchsetzungsinitiative nachgedoppelt, die einen eigentlichen Angriff auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen darstellt. Ähnliches lässt sich über die Landesrecht-vor-Völkerrecht-Initiative sagen.
Besonders anschaulich zeigt sich die Entwicklung beim Reizthema EU: Bei den Bilateralen I hat SVP-Guru Christoph Blocher aus Rücksicht auf die Wirtschaft still gehalten. Die Bilateralen II empfahl er als zuständiger Bundesrat zur Annahme. Inzwischen hat Blocher den gesamten Bilateralismus zum Abschuss freigegeben.
Gegen die Kohäsionsmilliarde für Osteuropa wollte die SVP-Spitze kein Referendum ergreifen – sie wurde von ihrer Basis dazu gezwungen. Auch die Masseneinwanderungsinitiative hat sie weniger aus Überzeugung lanciert als aus Angst, die «Lufthoheit» über das Dossier Zuwanderung an Gruppen wie Ecopop zu verlieren.
In gewisser Weise ist die scheinbar so kraftstrotzende SVP zur Getriebenen ihrer «neuen Rechten» geworden. Sie muss stets weiter an der Eskalationsschraube drehen, die Grenzen des Zumutbaren ausdehnen. Gleichzeitig wachsen am rechten Rand ganz eigene giftige Blüten, etwa die angekündigte Entwicklungshilfe-Initiative oder das Minarettverbot.
Das Ende der Fahnenstange ist damit keineswegs erreicht. Irgendwann könnten die letzten Tabus fallen, vor denen die Partei bislang zurückgeschreckt ist: Die vollständige Abschaffung des Asylrechts oder die Aufkündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Bei den Wahlen 2015 wird die SVP vermutlich gemässigter auftreten, um auch in der Mitte zu punkten. Inhaltlich aber sind keine Kompromisse zu erwarten. Umso mehr wären die Parteien der bürgerlichen Mitte gefordert, auch aus eigenem Interesse. Sie müssten sich dem zunehmenden Volksabsolutismus entschlossen entgegenstellen, die Rechtsstaatlichkeit verteidigen.
Allein, es gibt wenig Grund zur Zuversicht. CVP und FDP wirken zermürbt, oder sie greifen selber tief in die Schublade des Populismus. Tiefpunkt war die Beratung über die Ausschaffungsinitiative im Nationalrat, als die Mitte-Parteien bedingungslos vor der SVP kapitulierten.
Langsam muss man sich Sorgen machen um die Zukunft des Landes.