«Die Geburt meines Sohnes hat mein Leben verändert» eröffnet Pirmin Meyer seinen Talk am TEDxWomen 2019 in Lausanne. «Als ich meinen Vorgesetzten darum bat, Teilzeit arbeiten zu können, schaute er mich an, als sei ich nicht ganz bei Trost. Vor 8 Jahren war ich der erste Mann in meiner Abteilung, der Teilzeit arbeiten wollte. Nicht etwa für eine Weiterbildung, sondern um meine Kinder zu betreuen.»
Inspiration für die 2019 gegründete Initiative fand Pirmin im Ausland, in Skandinavien bei Tackane, und bei Men4equality/Male Feminists Europe. Und fragte sich: Warum haben wir so etwas nicht auch in der Schweiz? So entstand WE/MEN.
Das liegt ganz im Trend, Männer, die sich offen für Feminismus und mehr Gleichberechtigung engagieren, gibt es bereits im Ausland: neben Skandinavien und Europa z.B. bei He-for-She, Dad’s4Daughters oder bei Menengage.
Mich interessiert: Wie funktioniert das in der Schweiz? Und was denken Menschen, die eine solche Bewegung auslösen, über Geld? So traf ich Nadine und Pirmin via Zoom für ein Gespräch.
watson: Wie seid ihr darauf gekommen, WE/MEN zu gründen?
Pirmin: Mir war nach der Geburt meines Sohnes klar: Männer, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, das möchte ich auch in der Schweiz. So habe ich über Social Media Aufrufe gestartet. Das gab immer das gleiche Bild: viele Reaktionen von Frauen, keine von Männern. Dann traf ich Mattia Bütikofer und Philipp Meier und innert kurzer Zeit waren wir eine kleine Gruppe von 5 Männern, als Nadine dazu kam. So stellten wir vor einem Jahr die Grundsätze von WE/MEN auf und starteten eine Testimonial-Kampagne: Wir setzen uns für eine vielseitigere Öffentlichkeit ein. Als Männer* – so, wie wir es können. Heute sind wir 10 Männer und Frauen im Kernteam.
Nadine, warum hast du mitgemacht?
Nadine: Ich habe in meiner Kolumne bereits 2017 dafür plädiert, dass die Schweiz so eine Bewegung braucht und Allmalepanels einfach passé sind. Mit Pirmin hatte ich regelmässig Kontakt, da er sich als einer der wenigen Männer zu dem Thema öffentlich äusserte. Er lud mich zu einem der ersten Treffen ein, ich hatte Ideen und auch ein Netzwerk, um die Sache voranzutreiben. Irgendwann stellte sich ein Wandel ein: Von einer Männerbewegung zu einer Bewegung, bei der wir als Männer und Frauen gemeinsam für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit einstehen. Heute hat WE/MEN Männer und Frauen, welche die Bewegung unterstützen. Solange Gleichberechtigung ein Frauenthema ist, anstatt dass alle dafür einstehen, wird sich nichts verändern. Die Anliegen des Feminismus betrifft nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Für viele Männer kann es ja auch eine Befreiung sein, diese alten Muster hinter sich zu lassen.
Was ist das Ziel eurer Bewegung und wie messt ihr die Wirkung?
Nadine: Uns ist es wichtig, dass Männer und Frauen dafür einstehen, dass alle die gleichen Rechte und die Möglichkeit haben, sich in der Öffentlichkeit zu äussern. Welche Menschen Podien und Medien abbilden, beeinflusst uns alle ja auch stark im Denken. Unsere Gesellschaft besteht ja zur Hälfte aus Frauen. Sichtbar sind aber meistens nur die Männer.
Pirmin: Wir setzen uns deshalb für mehr Frauen und für Gleichberechtigung ein: in Diskussionen, auf Podien, in der politischen Arena, in den Medien – in allen Bereichen, die die öffentliche Wahrnehmung prägen. Wir wollen die Wahrnehmung für die heutigen Herausforderungen schärfen und dazu einen positiven Dialog entwickeln. Konkret heisst das: 1. Keine öffentlichen Auftritte ohne Frauen, 2. Gesellschaftliche Rollenbilder und Stereotypen hinterfragen, ohne «Blaming & Shaming», 3. Eine Plattform bieten, für gleichgesinnte Individuen und Gruppen, ohne uns von einer Partei oder einem politischen Programm vereinnahmen zu lassen. Konkret messen wir unseren Erfolg an der Breitenwirkung: Menschen, die ihr Gesicht zeigen und mit Zitaten mitmachen, Reichweite in sozialen Medien.
Pirmin weiter: Wir sind «grassroot», heute noch ohne Rechtsform und ohne Budget. Dafür haben wir mit über 100 Zitaten und über 1'000 Follower auf Instagram bereits viel erreicht. In den Medien zu sein, war nicht das erste Ziel, das kam irgendwie von selbst. Unser Highlight dieses Jahr war die Nominierung für den Swiss Diversity Award in der Kategorie «Equality».
Nadine: Manchmal muss man die richtigen Leute erreichen, dann verändert sich auch etwas, z.B.: «Hey nein, ich glaube das Panel mit nur Männern sollten wir nochmal überdenken». Das ist, was wir wollen. Eine Veränderung der Wahrnehmung, damit ein Umdenken stattfindet und Gleichberechtigung normal wird.
Wie waren die Reaktionen bisher und ist es schwierig, Männer zu finden, die sich mit diesem Thema identifizieren?
Beide schütteln den Kopf.
Nadine: Wir erhalten eigentlich keine negativen Reaktionen. Aber sich zu Feminismus öffentlich zu bekennen, die eigenen Rollenbilder zu überdenken, das fällt heute noch vielen Männern schwer. Ich hoffe, das wird sich ändern, indem wir mit WE/MEN auch bewusst neutral auftreten. Wir haben keine Schwierigkeiten, Menschen zu finden, die mitmachen und zu den drei Grundsätzen von WE/MEN stehen. Frauen sind aktiver, aber wenn ich Männer anspreche, machen viele sehr gerne mit.
Pirmin: Mir hat es persönlich sehr geholfen, mich mit diesen Themen auseinander zu setzen und mich zu engagieren. Es ist manchmal anstrengend, klar. Aber man emanzipiert sich von diesen alten Rollenbildern. Wir hatten eigentlich das ganze Jahr über ausgeglichen Anfragen von Männern und von Frauen.
Wo seht ihr die grössten Herausforderungen in Sachen Gleichberechtigung für die Schweiz? Was könnten wir oder müssen wir anders machen?
Nadine: Zum einen hat die Schweiz im Bereich der Vielfalt im Vergleich zu anderen Ländern noch einen weiten Weg vor sich, das sieht man nur schon bei der Ehe für alle. Zum anderen gibt es auf rechtlicher Ebene einiges zu tun: Individualbesteuerung, Elternzeit, Tagesschulen, Lohngleichheit, Vorsorgefragen, Ungleichheiten bei der Witwenrente, ein soziales Jahr für alle statt Militärdienst nur für Männer, um nur einige Beispiele zu nennen. Um politisch unabhängig zu sein, setzen wir uns bei WE/MEN nicht aktiv für politische Themen oder bei Abstimmungskampagnen ein. Uns geht es um den öffentlichen Diskurs und um unsere drei Grundsätze, die wir möglichst breit streuen wollen.
Als Bewegung ohne Rechtsform und Budget, welche Rolle spielt Geld für Euch und wie finanziert ihr euch?
Pirmin: Geld ist wichtig für uns alle, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. WE/MEN ist ein tolles Beispiel dafür, dass man mit den heutigen digitalen Tools viel bewegen kann, ohne Geld zu haben.
Nadine: Wir investieren vor allem unsere Zeit, unsere Gesichter, unsere Namen. Für mich ist es total ok, als privilegierte Frau in der Schweiz mit meiner Zeit für etwas einzustehen, das andere inspiriert. Mir ist das Engagement für die Gemeinschaft wichtig.
Und wenn ihr jetzt einen Investor oder Gönner finden würdet, was würdet ihr damit machen?
Nadine: Eine Geschäftsstelle einrichten.
Pirmin ergänzt: Das würde uns am meisten helfen. Jemand, der uns bei der Organisation hilft. Zum Beispiel unsere Webseite auf Englisch und Französisch übersetzen oder Anfragen zu WE/MEN zu beantworten. Selbst wenn wir Geld hätten, würden wir nicht die riesige Kampagne starten. Das würde auf die Schnelle nicht viel nutzen.
Wie können watson-Leser die Bewegung unterstützen?
Nadine: Schickt uns ein Foto und ein Zitat zusammen mit der gewünschten Jobbezeichnung an we.men.ch@gmail.com, organisiert keine Panels nur mit Männern, engagiert euch.
Pirmin: Folgt uns auf Social Media und generiert Aufmerksamkeit. Habt ihr etwas gesehen, z.B. ein Bild von einem Event nur mit Männern? Postet es und tagged WE/MEN, wir werden es teilen und mit unseren Followern darüber diskutieren.
Wie der steigende Erfolg von WE/MEN zeigt, setzen sich immer mehr Männer und Frauen für eine gleichberechtigte, offene Schweiz ein. Ganz ohne Geld, mit viel Engagement.
Seid ihr einer tollen Initiative für Gleichberechtigung begegnet, die Unterstützung braucht, oder engagiert ihr euch selbst? Schreibt einen Kommentar für eine (hoffentlich lange) List of Fame 🚀.