Der Diktator in Pjöngjang zündelt wieder einmal: Kurz bevor der chinesische Staatschef Xi Jinping erstmals den starken Mann im Weissen Haus trifft, hat Nordkorea erneut ballistische Raketen getestet.
US-Präsident Donald Trump hatte China schon davor aufgefordert, das Regime in Nordkorea in die Schranken zu weisen. Andernfalls werde Washington dies im Alleingang tun: «Wenn China das Nordkorea-Problem nicht löst, werden wir das tun», sagte Trump in einem Interview mit der «Financial Times».
Was in Nordkorea – dieser mausarmen, aber mit Atomwaffen ausgerüsteten Diktatur – genau vor sich geht, weiss kaum jemand. Nur wenig dringt aus dem abgeschotteten Land, das zwischen seinem wohlhabenden südlichen Zwillingsbruder und dem Giganten China liegt.
Hier sind sieben teils bizarre, teils beunruhigende Fakten über die letzte Bastion des Stalinismus:
Der erst 33-jährige Kim Jong-un ist bereits der dritte nordkoreanische Machthaber nach seinem Vater Kim Jong-il und dessen Vater, dem Staatsgründer Kim Il-sung. Der Dynastiegründer – Sohn eines christlichen Paares und geboren am selben Tag, als die «Titanic» unterging – wurde 1947 von den Sowjets an die Spitze des nordkoreanischen Staates gehievt. Im Jahr darauf gründete er die Demokratische Volksrepublik Korea.
Nach Kim Il-sungs Tod 1994 kam Kim Jong-il an die Macht, der bis zu seinem Ableben 2011 regierte. Dieser Diktator machte sich einen Namen mit seiner Flugangst und als Liebhaber französischen Cognacs. Vor allem aber rüstete er Nordkorea zur fünftgrössten Militärmacht der Welt hoch und machte das Land zur Atommacht. Der aktuelle Kim hat seine Machtstellung unter anderem dadurch gefestigt, dass er einige hochrangige Funktionäre und Offiziere hinrichten liess.
Ein gediegener Personenkult gehört in totalitären Staaten zur Grundausstattung. In Nordkorea unter den Kims hat das Phänomen indes schier unglaubliche Dimensionen angenommen. So ist Staatsgründer Kim Il-sung als «Ewiger Präsident» heute noch de iure Staatsoberhaupt, während sein Sohn Kim Jong-il «Ewiger Generalsekretär» ist. Das Land ist gepflastert mit Porträts und Statuen der Kims in Heldenpose.
Zu Lebzeiten dichtete die Propaganda Kim Jong-il unglaubliche Fähigkeiten an. So soll er bei der ersten Golfrunde seines Lebens auf einem 18-Loch-Platz gleich elf Hole-in-Ones erzielt haben – ein Ding der Unmöglichkeit für gewöhnliche Sterbliche. Dass er die weltweit grösste Pornosammlung besessen haben soll, war den Propagandisten indes keine Meldung wert. Nach seinem Tod kam es – wie schon bei seinem Vater und Vorgänger – zu extremen öffentlichen Trauerbekundungen. Für westliche Beobachter erschienen die in Tränen aufgelösten Massen einigermassen bizarr.
Offiziell ist Nordkorea eine «parlamentarische Volksdemokratie». In Wahrheit ist es eine brutale Diktatur, die auf Zwang und Propaganda basiert. Weltanschauliche Klammer ist die sogenannte «Juche»-Ideologie, die schon vom Staatsgründer Kim Il-sung entwickelt wurde. Sie propagiert einen nationalen Sozialismus, in dem die politische, wirtschaftliche und militärische Selbständigkeit stark betont sind.
Unter Kim Jong-il trat die «Songun»-Politik («Militär zuerst») zunehmend an die Seite der «Juche»-Ideologie – seit einer Verfassungsänderung 2009 ist sie die an erster Stelle genannte Leitlinie der nordkoreanischen Politik. Sie besagt, dass die Belange der Armee absoluten Vorrang geniessen. Die extreme Betonung der Verteidigungsbereitschaft rechtfertigt das Regime mit der angeblichen Bedrohung durch die «imperialistischen» Mächte USA und Japan sowie deren «Marionettenstaat» Südkorea.
Die Liste der grössten Armeen der Welt nach Personalbestand zeigt ein erstaunliches Bild: Auf Rang 5, nach den Giganten China, USA, Indien und Russland, liegt das kleine Nordkorea. Über 1,1 Millionen Mann hält das Land unter Waffen, und das mit einer Bevölkerung von rund 24 Millionen Einwohnern. Dazu kommen nach Schätzungen sieben bis acht Millionen Reservisten. Wenn es um den Anteil des Militärbudgets am Bruttoinlandsprodukt geht, wird der Wahnsinn erst recht deutlich: In China sind es offiziell 2 Prozent, in den USA 4,1 Prozent – und im mausarmen Nordkorea 25 Prozent.
Trotz dieser enormen Anstrengung sind die numerisch starken Streitkräfte schlecht ausgerüstet: Panzer und Flugzeuge stammen meist aus den Siebzigerjahren oder sind noch älter. Dennoch kann Nordkorea eine stattliche Drohkulisse aufbieten: Seine riesige Artillerie ist stark an der Grenze zum Süden konzentriert und hält die grenznahe südkoreanische Metropole Seoul in Geiselhaft. Dazu kommen die in letzter Zeit stark ausgebauten ballistischen Raketen, die auch Japan erreichen können. Langstreckenraketen, die auch die USA bedrohen könnten, sind derzeit noch nicht einsatzfähig.
Eine Riesenarmee wie die nordkoreanische ist teuer. Das Missverhältnis zwischen Quantität und Qualität der konventionellen Streitkräfte dürfte sich noch verschlimmert haben, seit das Regime viel Geld in sein Atomprogramm – und in ballistische Trägersysteme für nukleare Sprengköpfe – steckt. Für das Regime ist die Atombombe trotz der hohen Kosten eine Art Lebensversicherung: Ein Angriff auf einen nuklear gerüsteten Staat erscheint undenkbar; die Gefahr eines von aussen initiierten Regime change ist damit minim.
Der erste nordkoreanische Atomtest fand 2006 statt; aufgrund der geringen Sprengkraft ist jedoch nicht sicher, ob es sich wirklich um einen nuklearen Sprengsatz handelte oder ob der Test teilweise misslang. 2009 folgte der nächste Test, und 2012 erklärte sich Nordkorea in seiner Verfassung zur Atommacht. Nach den offiziellen Atommächten – USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien – und den inoffiziellen – Indien, Pakistan und Israel – verfügt Nordkorea mit geschätzten knapp zehn Sprengköpfen über das mit Abstand kleinste nukleare Arsenal. Auch ist nicht sicher, ob diese Sprengköpfe für den Einsatz mit ballistischen Trägersystemen geeignet sind.
Regimegegner leben gefährlich in Nordkorea. Das Land hat ein Gulag-System von mindestens sechs Internierungslagern eingerichtet, in denen verschwindet, wer negativ auffällt. Dazu gehören nicht nur politische Gegner, sondern auch Christen oder Personen, die aus dem Land zu fliehen versuchten. Selbst der Besitz eines illegalen westlichen Films kann in eines der berüchtigten Arbeitslager führen.
Und es trifft nicht nur die «Missetäter» selbst: Deren Familie wird ebenfalls in Haft genommen. Sippenhaftung ist ein wirksames Mittel zur Einschüchterung von Regimekritikern. Es gibt Menschen, die im Lager geboren werden und ihr ganzes Leben dort verbringen. Gewöhnliche Kriminelle landen in einem der rund 20 Umerziehungslager, die im Gegensatz zu den Internierungslagern vom Innenministerium betrieben werden. Amnesty International geht davon aus, dass etwa 120'000 Menschen in solchen Straflagern darben, darunter auch ausländische Staatsangehörige. In allen Lagern sind Hunger, Folter und Hinrichtungen Teil des Alltags. Ein grosser Teil der Insassen überlebt die Haftstrafe nicht.
Nordkorea ist gebirgig; nur etwa ein Fünftel seiner Fläche ist landwirtschaftlich nutzbar. Die Wirtschaft des Landes, die kurz nach dem Koreakrieg in den Fünfzigerjahren noch boomte, ist wenig leistungsfähig. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Wegfall der Hilfe aus dem Ostblock ging die Wirtschaftsleistung um etwa die Hälfte zurück. Von 1992 bis 1998 verhungerten nach Schätzungen bis zu zweieinhalb Millionen Menschen – ein Zehntel der Bevölkerung.
Auch später war die Landwirtschaft nicht in der Lage, die Bevölkerung zu ernähren. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Hungerkrisen. 2012 litten gemäss UNO-Angaben zwei Drittel der Bevölkerung an Hunger. Jedes dritte Kind unter fünf Jahren war damals wegen Mangelernährung unterentwickelt. Es soll zu Fällen von Kannibalismus gekommen sein; es gab mehrere – freilich unbestätigte – Berichte, wonach Kinder umgebracht wurden, um sie zu essen.
Seit Kim Jong-un an der Macht ist, haben die Bauern etwas mehr Spielraum erhalten. Sie dürfen nun 30 Prozent der Ernte für sich behalten – was prompt zu einer Produktionssteigerung führte. Nach wie vor benutzt das Regime aber die Mangelwirtschaft, um über die Zuteilung von Lebensmitteln Loyalität zu belohnen – Militär- und Parteikader werden besser versorgt als regierungsferne Schichten der Bevölkerung.