«Wenn man ihm einen Sack über den Kopf ziehen würde, dann sähe er bestimmt ganz passabel aus.» Etwa so kann man Danielas Gestik deuten, als ich sie frage, ob sie denn den Mann auf dem Foto vor ihr hübsch finde. Vor ihr liegt nicht irgendein Nobody, sondern einer der besten Schweizer Stürmer der letzten Jahre: Marco Streller. Von Rorschach bis nach Genf längst eine Kultfigur.
Daniela und ihre Kolleginnen, welche in einem Strassencafé von Porto das Nichtstun zelebrieren, sehen auf dem Foto jedoch lediglich einen Mann im Trainingsanzug – der ohne Kopf eine bessere Figur machen würde. Mich nimmt es dennoch Wunder, ob die Bewohner und Bewohnerinnen Portos wissen, wer denn der Captain und die grosse Integrationsfigur des FC Basel ist. Es wird ja wohl jemand Marco Strellers Gesicht erkennen. Oder etwa nicht?
Während sich in der rotblauen Gedankenwelt vor dem Achtelfinal-Knüller der Champions League alles um den angekündigten Rücktritt des FCB-Leitwolfs dreht, beschäftigt die Bewohner Portos etwas ganz anderes: Die Sonne ist wieder da! Frühling! Raus an die frische Luft, in die malerische Altstadt oder runter zum fast schon kitschig anmutenden Fluss Douro! Eis schlecken oder ein kühles Super Bock zischen.
Und zwar nur Super Bock. Denn Cerveja Sagres geht gar nicht. «Das trinkt man nur in Lissabon», erklärt mir Pedro. Jener Pedro, welcher eigentlich gar nichts von Fussball hält und dem es auch egal ist, ob Basel jetzt in Deutschland oder in der Schweiz liegt. Ich verzeihe ihm: Ich wusste ja schliesslich auch nicht, welches Bier ich hier hätte bestellen müssen.
Doch nicht nur der Bierzwist spaltet Portugal in zwei Lager. Die Rivalität zwischen der Hauptstadt Lissabon und der Metropolregion Porto – zu der auch die zweitgrösste Stadt des Landes Vila Nova de Gaia gehört – zieht sich auch durch andere Lebensbereiche. «Die Menschen in Porto verdienen jenes Geld, welches die Lissabonner mit beiden Händen aus dem Fenster werfen», lautet eine gängige Phrase in Porto.
In Sachen europäischer Klubfussball hat Porto heuer die Nase vorne. Benfica und Sporting Lissabon sucht man in der Runde der letzten 16 der Königsklasse vergebens. Doch zurück zu Marco Streller: Den hat bis jetzt weder Pedro noch sonst wer erkannt.
Doch dann keimt Hoffnung auf. Ich treffe auf John. Geboren in Chur. Chur? Ja, Chur. «Dann kennst du ja bestimmt diesen Mann auf dem Foto?», frage ich zuversichtlich. «Ja, natürlich», antwortet John, «den habe ich schon mal gesehen. Das ist doch ein Torhüter, nicht?» Äähm ... nein, nicht wirklich.
Klappe auf, die – gefühlte – fünfzehnte: Nein, Stopp! Klappe gleich wieder zu. Miguel, den ich etwa eine Stunde nach dem Porto-Bündner am Bahnhof antreffe, will nämlich, dass ich das Mikrofon und die Kamera sofort wieder wegstecke. «Wir können später miteinander reden. Über Liebe zum Beispiel», schlägt er vor und blickt dabei auf seine Begleiterin. «Aber jetzt noch nicht. Ich muss erst noch Anna rumkriegen, ihr Zug fährt in zehn Minuten.»
Ob er es geschafft hat? Alleine ist Miguel auf alle Fälle nicht. Auf den zahlreichen Parkbänken und in den vielen einladenden Cafés herrscht in Porto momentan Flirt-Alarm. Letzte Woche habe es noch stark geregnet, sagt man mir. Aber jetzt sei der Winter überstanden. Das Thermometer zeigt teilweise über 20 Grad an. Kein Wunder, möchte Miguel über Liebe reden.
Liebe? Schönes Thema. Doch ich bin wegen Marco Streller hier. Noch gebe ich nicht auf.
Corsin zu einem ein Rohr schleppenden Bauarbeiter: «Kennen Sie diesen Mann?»
Ein Rohr schleppender Bauarbeiter zu Corsin: «Nein.»
Corsin zu zwei holländischen Erasmus-Studenten, die in der Sonne Schach spielen und Super Bock trinken: «Kennt ihr diesen Mann?»
Schach spielende und in der Sonne Super Bock trinkende holländische Erasmus-Studenten zu Corsin: «Nein.»
Corsin zu Taxifahrer: «Kennen Sie diesen Mann?»
Taxifahrer zu Corsin: «Nein.»
Doch aufgeben? Am liebsten würde ich mich zur rund zehnköpfigen Studentengruppe gesellen, welche gerade am Fluss sitzt und sich ein kühles Getränk gönnt. Und dabei ungefähr so viel Spass zu haben scheint wie Marco Streller, als er im letzten Herbst im Joggeli gegen Liverpool den Siegestreffer erzielte.
Und wie spreche ich diese Gruppe nun am besten an? Na logisch, mit einem «Hey, kennt ihr diesen Mann auf dem Foto?»
Kühles Getränk trinkender Junge auf einmal zu Corsin: «Marco Streller».
Im Ernst jetzt? Er hat ihn tatsächlich erkannt! Darauf muss ich sofort mit der ganzen Gruppe anstossen. Und zwar mit einem ... Cider. Von Somersby. Es ist halt doch nicht alles Super Bock in Porto. Doch das ist mir egal. Genauso egal, wie dass der Junge mit dem kühlen Getränk Marco Streller zuerst für Diego Simeone gehalten hat.
Denn es ist schön hier in Porto. Auch ohne Super Bock und Fussball. Und bis zum Anpfiff am Dienstagabend denk' auch ich mir: «Who the fuck ist eigentlich Marco Streller?»