Man müsse aufpassen, dass es nicht zur Mode werde, bei jeder Frage gleich eine Initiative zu ergreifen. Diese Kritik äusserte SVP-Stratege Christoph Blocher nach dem Nein zur Durchsetzungsinitiative auf Teleblocher. Die Kritik richtete sich an die Auns, die eine Initiative für Grenzkontrollen plant. Aber auch an das Egerkinger Komitee, das eine Initiative für ein Verhüllungsverbot startet.
Bei den Angesprochenen kommt Blochers Tadel nicht gut an. «Ich verstehe nicht, was seine Kritik ist», sagt der St.Galler SVP-Nationalrat und Auns-Präsident Lukas Reimann. «Weil wir der gleichen Meinung sind.» Deutlicher wird SVP-Nationalrat Walter Wobmann, Co-Präsident des Egerkinger Komitees. «Blocher muss uns gar nicht führen und beherrschen», sagt er und fügt hinzu: «Ich fahre immer einen sehr unabhängigen und eigenständigen Kurs. Ich habe die SVP wegen dieser Initiative nie gefragt.»
Das sind Töne, wie sie Blocher seit der Abspaltung der BDP aus den eigenen Reihen nur selten zu hören bekam. Offener Widerspruch und Abgrenzung ist vor allem aus dem Lager der Asyl- und Sicherheitspolitiker und der Schengen-Kritiker zu hören. Und zudem von Teilen der Jungen SVP, der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), dem Verein Sicherheit für alle (Sifa) und dem Egerkinger Komitee. Es waren Auns-Präsident Reimann, Sifa-Präsident Andreas Glarner und der damalige JSVP-Präsident Anian Liebrand, die im September gemeinsam eine Grenzkontroll-Initiative ankündigten.
Zwar brenne es in diesen Fragen in Europa. Aber in der SVP tue sich wenig bis nichts, kritisieren Politiker. Das Unbehagen und die Unsicherheit seien ausserhalb der SVP gross, sagt Asylspezialist Heinz Brand sibyllinisch. «Es ist in der jetzigen Situation enorm wichtig, klar Position zu beziehen, dass die Schweiz nicht Ersatz für Österreich und die Balkan-Staaten als Warteraum oder Durchreiseland infrage kommt.»
Brands Worte können auch als implizite Kritik an der SVP-Parteileitung gelesen werden. SVP-Nationalrat Luzi Stamm räumt ein, die SVP habe in Sachen Asyl- und Grenzkontrollen bis jetzt kein Konzept bekannt gegeben. «Die Strategieverantwortlichen müssen das dringend ansprechen.»
In Sachen Asyl und Grenze warten viele auf ein Zeichen, derweil hat Christoph Blocher seine Truppen für einen anderen Kampf längst bereitgestellt. Ihm geht es um Europa. Dafür hat er das Komitee gegen den schleichenden EU-Beitritt (EU No) formiert. «Wir haben jetzt rund 110 Organisationen, die ihrerseits gut 250'000 Mitglieder zählen», sagt er.
Es war an der Albisgüetli-Tagung 2013, als Blocher erstmals vor einem Rahmenabkommen mit der EU warnte, das bald anstehe und bekämpft werden müsse. Seither warnt er Jahr für Jahr. In Auns-Kreisen wird Blocher deshalb der «Prophet» genannt, «der sich nicht an Termine hält». Blocher hatte auch vor kurzem gewarnt, der Bundesrat werde am Freitag das Rahmenabkommen präsentieren. Nun sagt er: «Ich glaube, dass das Rahmenabkommen Mitte Jahr bereit ist». Viele fragen sich, wie Blocher zu diesem Schluss kommt – und welche Quellen er dafür hat. Immerhin ist er im neuen Parteileitungs-Ausschuss Strategiechef.
Gegenüber der «Schweiz am Sonntag» sagt Blocher: «Schengen/Dublin» funktioniert nicht. Die Auns hat recht, wenn sie prüft, was zu tun ist. Aber die institutionelle Bindung zur EU wäre viel folgenschwerer. Wie die SVP dürfe sich die Auns nicht verzetteln, «um sich auf die schwerwiegendsten EU-Abstimmungen zu konzentrieren». Vorläufig hat sie die Initiative sistiert. Aber nur vorläufig.
Bemerkenswert ist: Blocher spricht von Abstimmungen – in der Mehrzahl. Neben dem Rahmenabkommen denkt er an die Personenfreizügigkeit. «Sie ist erledigt, mit der Annahme des Verfassungsartikels», sagt er. Mit ihr und den flankierenden Massnahmen erfahre die Schweiz eine doppelte Belastung. Das werde verhängnisvoll für den Standort Schweiz. «Wenn wir solche Belastungen auf uns nehmen müssen nur wegen der Personenfreizügigkeit», sagt Blocher, «ist der Zeitpunkt gekommen, den Personenfreizügigkeitsvertrag zu kündigen.»