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Homosexualität

Wie aus vielen «Likes» auf Facebook und teuren Geschenken der Horror wird: Auch Schwule haben Stalker

Es fing an mit einem One-Night-Stand. Daraufhin liess der Stalker bei Mark nicht mehr locker.
Es fing an mit einem One-Night-Stand. Daraufhin liess der Stalker bei Mark nicht mehr locker.bild: shutterstock

Wie aus vielen «Likes» auf Facebook und teuren Geschenken der Horror wird: Auch Schwule haben Stalker

Von einem aufdringlichen Stalker wurde Mark (Name geändert) mehrere Wochen lang belästigt. Gemäss Psychotherapeut Felix Hof sind enttäuschte Verehrer, die zum Stalker werden, auch unter schwulen Männern keine Seltenheit.
10.05.2015, 10:07
greg zwygart / mannschaft
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Marks Stimme zittert, wenn er von seinem Stalker erzählt. Als wäre es erst gestern gewesen, als ihn sein Stalker – nennen wir ihn Lionel – vor dem Restaurant in der Stadt Zürich aufgelauert hat, in dem Mark als Servicefachangestellter arbeitet. Mit neuen Kopfhörern als Geschenk hatte Lionel hinter einer Ecke gewartet, bis Mark seine Schicht um halb eins beendet hatte. Diejenigen, die er doch schon lange habe kaufen wollen, aber so teuer seien. 

Die ganze Geschichte ist bereits über ein Jahr her, aber die Begegnung mit Lionel hat das Onlineverhalten des 26-jährigen Mark radikal verändert. Sein Instagram-Account, auf dem er regelmässig Fotos von selbstgekochten Gerichten und andere Schnappschüsse aus dem Alltag teilt, hat die strengstmöglichen Privatsphäre-Einstellungen. Ebenso sein Facebook-Account. 

Facepics gibt's in den schwulen Datingportalen wie Grindr und GayRomeo nur noch auf Anfrage. Und das nur in den allerseltensten Fällen, wenn die Chatpartner einen «vertrauenswürdigen Eindruck» machen. «Aber was heisst schon vertrauenswürdig?», fragt Mark ironisch. 

Spontaner One-Night-Stand

Auch Lionel habe einen vertrauenswürdigen Eindruck gemacht, als er Mark angeschrieben hatte. Schnell hatte man sich für ein Treffen verabredet, ein spontaner One-Night-Stand bei Mark zuhause. Mark hatte den Abend frei und seine Mitbewohnerin war bei ihren Eltern zu Besuch. Komischerweise habe an diesem Abend einfach alles gepasst. 

«Es erstaunt mich, wie viele Leute so viel im Internet von sich preisgeben. Man taggt sich an Orte in der Stadt und verschickt Porträt- und Nacktfotos auf Grindr.» 
Mark

Und Lionel sah gut aus. Dunkle Haare, sportlicher Körper und seine Fotos waren sympathisch. Auch als Lionel bei Mark zuhause ankam, schien alles normal zu sein. Man machte Smalltalk, sprach über die Arbeit und dann über die Musik, die Mark auflegte. Mark erwähnte die Kopfhörer, die er sich mit dem nächsten Monatslohn zulegen wollte. 

Ein attraktiver Stalker

Über sein Erlebnis will Mark nur am Telefon reden, eine persönliche Begegnung würde ihn zu stark treffen. Am liebsten würde er gar nicht mehr über Lionel sprechen, schon gar nicht mit einem Schwulenmagazin, das in der Szene so verbreitet ist. Es sei ihm jedoch wichtig, dass man sein Onlineverhalten überdenke. 

«Es erstaunt mich, wie viele Leute so viel im Internet von sich preisgeben», sagt Mark. «Man taggt sich an Orte in der Stadt und verschickt Porträt- und Nacktfotos auf Grindr.» 

Freundschaftsanfrage, SMS, Besuch am Arbeitsplatz

Mit dem One-Night-Stand hatte Mark die Begegnung mit Lionel abgehakt. Doch bereits am nächsten Tag hatte er eine Freundschaftsanfrage auf Facebook von Lionel erhalten und eine SMS, ob man sich nicht zum Abendessen treffen wolle. 

Die Tatsache, dass Mark am Folgeabend arbeiten musste, kam ihm als Ausrede gelegen: «Er hatte eine sehr offene und dominante Art, die ich anfänglich noch attraktiv fand. Der Sex war okay, aber ich mochte seine Art, wie er mich anschaute, nicht. Und ich spürte, dass er mehr wollte als nur einen One-Night-Stand.» 

«Ich schrieb ihm eine SMS und sagte, dass ich keine Beziehung suche. Aber ich denke, das war bereits dann zu wenig gesagt und zu spät gehandelt.» 
Mark

Marks Absage an Lionel war kurz und knapp, ohne Andeutung auf weiteres Interesse. «Meistens schnallen das die Typen. Und ich dachte, Lionel hätte es auch geschnallt.» Er täuschte sich. Am selben Abend tauchte Lionel «spontan» im Restaurant auf, in dem Mark arbeitet. 

Mannschaft ist das Magazin für schwule Männer in der Schweiz

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Mark begrüsste ihn freundlich und servierte ihm einen Drink. Er war froh, dass gerade viel los war und er seinen Verehrer ignorieren konnte. Nach einer Stunde war Lionel plötzlich verschwunden. 

Ein Blumenstrauss vor der Haustüre

Doch Lionel meldete sich in den nächsten Tagen weiterhin mit unzähligen SMS. Er wünsche ihm einen guten Start in den Tag. Was er denn gerade mache. Ob man sich sehen könne. Wenn Mark auf Grindr online war, hagelte es gleich Nachrichten von Lionel. Auf Facebook klickte Lionel fast auf jedes Foto von Mark «gefällt mir» und setzte bizarre Kommentare darunter. 

In der Hoffnung, Lionel würde das Interesse verlieren, wich Mark immer mehr aus, bis er schliesslich gar nicht mehr antwortete. Als er schliesslich einen grossen Blumenstrauss vor seiner Wohnungstüre fand, wurde es Mark zu viel. «Ich schrieb ihm eine SMS und sagte, dass ich keine Beziehung suche», so Mark. «Aber ich denke das war bereits dann zu wenig gesagt und zu spät gehandelt.» 

«Erst als meine Mitbewohnerin, die die ganze Geschichte mitbekommen hatte, beim Frühstück halb scherzend fragte, wie es denn meinem Stalker gehe, fiel es mir wie Schuppen vor den Augen.»
Mark

Lionel wusste gekonnt, wie er das Gespräch in Nachrichten aufrechterhalten und sein Verhalten rechtfertigen konnte. Er wolle doch auch keine Beziehung, sei doch nur ein offener Mensch, der handle, wie er fühle, statt beim lächerlichen Katz-und-Maus-Spiel des Kennenlernens mitzumachen. 

Mit Kopfhörern vor dem Restaurant aufgetaucht

«Ich will dich nicht mehr sehen und wäre froh, wenn du mich nicht mehr kontaktierst», sagte Mark schliesslich, als Lionel mit den Kopfhörern bei Arbeitsschluss vor seinem Restaurant auftauchte. Lionel wollte einhaken, als Marks Mitarbeiterin ebenfalls das Restaurant verliess und Mark die Gelegenheit ergriff, sich hastig von ihm zu verabschieden und mit der Mitarbeiterin zu «flüchten». 

«Erst als meine Mitbewohnerin, die die ganze Geschichte natürlich mitbekommen hatte, beim Frühstück halb scherzend fragte, wie es denn meinem Stalker gehe, fiel es mir wie Schuppen vor den Augen», sagt Mark. «Unterbewusst hatte ich Lionel als enttäuschten Verehrer abgetan. Der Kommentar meiner Mitbewohnerin machte mir klar, dass ich alles einfach zugelassen hatte.» 

«Wichtig ist, dass man dem Stalker sofort Einhalt gebietet. Das heisst: Klar und deutlich und auf eine respektvolle Art kommunizieren, dass man nicht mehr kontaktiert werden will. Man darf nicht vergessen, dass Provokationen den Stalker zu aggressiverem Verhalten bewegen können.» 
Felix Hof, Psychotherapeut

In einer SMS machte Mark Lionel unter Androhung einer Anzeige klar, ihn nicht mehr zu kontaktieren. Seine Chefin bat Mark, Lionel Hausverbot zu erteilen. Obwohl sie entgegnete, er sei doch harmlos und bloss ein grosser Fan von ihm, willigte sie ein. 

Anzeige nicht immer sinnvoll

Der Begriff Stalking kommt aus dem englischen Jagdjargon und bedeutet soviel wie «anschleichen, anpirschen». Gemäss Felix Hof, Psychotherapeut, hat Mark zwar richtig, aber zu spät reagiert. «Wichtig ist, dass man dem Stalker sofort Einhalt gebietet», sagt Felix Hof. «Das heisst: Klar und deutlich und auf eine respektvolle Art kommunizieren, dass man nicht mehr kontaktiert werden will. Man darf nicht vergessen, dass Provokationen den Stalker zu aggressiverem Verhalten bewegen können.» 

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Wenn der Stalker nicht locker lässt, empfiehlt Hof über Drittpersonen mit ihm zu kommunizieren. Eine Anzeige sollte als letzte Option gewählt werden, wenn Ignorieren des Stalkers und ein Miteinbezug von Drittpersonen nichts nützt. «Man muss sich bewusst sein, dass eine Anzeige eine weitere Eskalation der Situation herbeiführen kann. Eine Anzeige oder der Gang vor Gericht kann die Sache nicht sofort bereinigen und ist auch nicht in jedem Fall sinnvoll.» 

Alle Beweise des Stalkers aufbewahren

Eine strafrechtliche Untersuchung ist vor allem deshalb komplex, weil in der Schweiz zwar kein Straftatbestand für Stalking existiert, dafür aber die einzelnen Handlungen strafrechtlich geahndet werden können. Dazu gehören Nötigung, Hausfriedensbruch oder der Missbrauch einer Fernmeldeanlage, zum Beispiel eine wiederholte telefonische Kontaktaufnahme. 

«Man muss sich bewusst sein, dass eine Anzeige eine weitere Eskalation der Situation herbeiführen kann. Eine Anzeige oder der Gang vor Gericht kann die Sache nicht sofort bereinigen und ist auch nicht in jedem Fall sinnvoll.» 
Felix Hof, Psychotherapeut

Daher gilt: Alle Beweise einer Kontaktaufnahme des Stalkers aufbewahren, darunter Geschenke, Briefe, SMS und Korrespondenz in den sozialen Medien. Darin sollte auch ersichtlich sein, dass man als Opfer frühzeitig und klar kommuniziert hat, dass eine weitere Kontaktaufnahme unerwünscht ist. 

In einer zehnseitigen Broschüre listet das Eidgenössische Büro für Gleichstellung von Frau und Mann die verschiedenen Formen des Stalkings auf. Dazu gehören unter anderem schon das Bestellen von Waren und Dienstleistungen im Namen des Opfers oder das Ausfragen von Drittpersonen sowie eine indirekte Kontaktaufnahme mit dem Opfer.  

Der durchschnittliche Stalker ist männlich

Das Phänomen Stalking ist in der Schweiz wenig erforscht. Gerade das Internet und soziale Netzwerke geben Stalkern fast unbegrenzte Möglichkeiten, ihren Opfern nachzustellen. Das Eidgenössische Büro für Gleichstellung von Frau und Mann verweist auf Studien aus Deutschland und Grossbritannien, in denen knapp 60 Prozent der weiblichen Opfer und 30 Prozent der männlichen Opfer von ehemaligen Beziehungspartnerinnen und -partnern gestalkt wurden. 

Dabei sind die Täter in über 80 Prozent der Fälle männlich. Grund dafür ist gemäss Hof ein anderes Beziehungsverhalten. «Bei einem Fall der enttäuschten Liebe kommt das grenzüberschreitende Verhalten in Form von Stalking tatsächlich relativ häufig vor», sagt Felix Hof. «Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, denn vor allem in der ersten Phase sind Opfer beschämt und möchten das Problem lösen, indem sie proaktiv auf den Stalker zugehen. Das führt oft leider zu mehr Problemen. Daher empfehle ich gerade in der ersten Phase ein mutiges und defensives Verhalten. So können im Langzeitverlauf 80 bis 90 Prozent der Stalker gestoppt werden.» 

«Bei einem Fall der enttäuschten Liebe kommt das grenzüberschreitende Verhalten in Form von Stalking tatsächlich relativ häufig vor.»
Felix Hof, Psychotherapeut

Stalking: Kränkung oder krankhaftes Verhalten

Stalking kann einerseits ein Ausdruck von Kränkung sein, andererseits aber auch ein krankhaftes Verhalten, vor allem wenn der Stalker Dutzende, wenn nicht Hunderte SMS am Tag verschickt und seinem Opfer ständig nachstellt. In seiner Praxis hat Felix Hof bereits einige Patienten betreut, die gestalkt wurden oder selber Stalker waren. 

Doch nicht jeder hat das Potenzial, zum Stalker zu werden. Das hänge damit zusammen, wie eine Person mit der Gestaltung und der Auflösung einer Beziehung umgehe, so Hof: «Es gibt Menschen, die können sich gesund und respektvoll aus einer Beziehung lösen, andere können das gar nicht. Mit Stalking und grenzüberschreitendem Verhalten versuchen sie, den geliebten Menschen an sich zu binden.» 

Keine falsche Höflichkeit mehr

Mark hat von seinem Stalker nichts mehr gehört, seit er ihm mit der Polizei gedroht hat. So schnell vergessen konnte er Lionel aber nicht: «Täglich habe ich in alle Richtungen geschaut, bevor ich den Wohnblock verliess. Ich hatte Angst, ich würde zu einem dieser Paranoiden werden, die man immer in Filmen sieht.» 

Mark mied im vergangenen Jahr Grossanlässe, an denen viele schwule Männer anzutreffen waren, wie beispielsweise diverse Prideveranstaltungen oder grössere Schwulenpartys. Er wollte das Risiko nicht eingehen, Lionel über den Weg zu laufen. Auch am Arbeitsplatz begann in den ersten Wochen nach dem Vorfall sein Puls zu rasen, wenn ein Mann das Restaurant betrat, der Lionel in Grösse und Haarfarbe ähnlich sah. 

«Manche würden mein heutiges Onlineverhalten als übervorsichtig, übertrieben oder arrogant bezeichnen. Aber es gibt mir das Gefühl, die Oberhand zu haben, sollte mir ein Typ wie Lionel je wieder begegnen.» 
Mark

Keine falsche Höflichkeit mehr

Angst, dass Lionel plötzlich wieder auftaucht, hat Mark mittlerweile nicht mehr. «Ich denke, sein Verhalten war nicht krankhaft und meine Drohung mit der Polizei hat ihm endgültig klargemacht, dass ich kein Interesse an ihm habe. Aber ein Stalker war er auf jeden Fall.» 

Er bereut zwar, dass er es aus falscher Höflichkeit mit Lionel so weit habe kommen lassen. Aber seither sei er viel direkter, wenn er neue Männer kennenlerne. «Ich weiche nicht mehr aus und mache keine zweideutigen Angaben mehr, wenn ein Mann an mir interessiert ist. Ich sage ihm direkt, wenn ich ihn nicht weiter treffen will.» 

«Manche würden mein heutiges Onlineverhalten als übervorsichtig oder vielleicht sogar als übertrieben oder arrogant bezeichnen», meint Mark. «Aber es gibt mir das Gefühl, die Oberhand zu haben, sollte mir ein Typ wie Lionel je wieder begegnen.» 

Stalking: Anlaufstellen für Betroffene
Opferhilfe beider Basel: Tel. 061 205 09 10
Fachstelle Stalking, Stadt Bern: Tel. 031 321 69 07, stalking@bern.ch
Kantonspolizei Zürich, Opferberatung: Tel, 044 299 40 50

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