Donald Trumps Twitter-Botschaften haben bisher das Leben von John Oliver, Trevor Noah, Stephen Colbert & Co. leicht gemacht. Die Satiriker hatten stets genügend Stoff für ihre bissigen Witze. Seit dem vergangenen Wochenende hat sich das radikal geändert. Mit der Unterstellung, sein Vorgänger Barack Obama habe ihn vom Geheimdienst überwachen lassen, hat Trump den Rubicon überschritten. KremlGate ist zu einer Staatsaffäre mit ungewissem Ausgang geworden.
Dazu zunächst ein Vergleich: Stellt euch vor, Bundesrat Ueli Maurer würde twittern, Ex-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf habe sein Telefon überwachen lassen. Ferner hintertreibe sie mit einer nach wie vor intakten Seilschaft in der Bundesverwaltung seine Politik böswillig.
Als Quelle dieser Unterstellungen diente Maurer Ulrich Schlüers «Schweizerzeit», die sich ihrerseits auf das Basler Aluhut-Blatt «Expresszeitung» beriefe. Der Nachrichtendienst des Bundes und die Bundespolizei würden diese Aussagen rundweg bestreiten. Trotzdem würde Maurer eine Untersuchung der Affäre verlangen.
Tönt ziemlich absurd, aber in etwa darum geht es bei KremlGate. Seit dem vergangenen Wochenende ist die US-Politik komplett aus den Fugen geraten. Präsident Trump hat Barack Obama beschuldigt, die Geheimdienste angewiesen zu haben, sein Telefon im Trump Tower abzuhören. Gleichzeitig bezeichnete er Obama als «bösartig oder krank», und verlangt, dass diese Vorgänge untersucht werden.
Beweise für seine Anschuldigungen hat Trump keine vorgelegt. Als Quelle werden Breitbart, das rechtsradikale Onlinemagazin seines Beraters Steve Bannon, und ein obskurer Radio-Talkmaster genannt.
Mit diesen Anschuldigungen hat Trump seinen Konflikt mit den Geheimdiensten, den Medien und den politischen Gegnern auf eine neue und gefährliche Stufe gehoben. Sollte er Recht haben, dann hätte Obama eine Straftat begangen und müsste von Gerichts wegen verfolgt werden. Treffen die Anschuldigungen nicht zu, dann muss man rätseln: Warum stellt der 45. Präsident der Vereinigten Staaten seine und die Würde seines Amtes in Frage?
KremlGate muss geklärt werden. Selbst das erzkonservative «Wall Street Journal» spricht davon, dass «Washington durchdreht» und stellt fest: «Der politische Streit um Russland, den Trump-Wahlkampf und die US-Geheimdienste hat einen Punkt erreicht, an dem grundlegende Fragen über die US-Institutionen und das Vertrauen in die Regierung zur Disposition stehen.»
Wie ist es so weit gekommen? Am vergangenen Freitag hat Justizminister Jeff Sessions bekannt gegeben, er werde bei der Untersuchung von KremlGate in den Ausstand treten. Sessions war Mitglied des Wahlkampfteams von Trump und hatte unter Eid erklärt, in dieser Zeit keinen Kontakt zu Russen gehabt zu haben. Diese Aussage war falsch. Die Demokraten fordern daher seinen Rücktritt. Der ehemalige Sicherheitsberater Michael Flynn musste aus dem gleichen Grund nach nur wenigen Tagen im Amt seinen Hut nehmen.
Gleichzeitig tauchen immer mehr dubiose Gestalten aus Trumps engerer Umgebung auf. Der jüngste Fall betrifft Carter Page, einen Investor mit besten Kontakten in den Kreml. Page wollte in einem Interview mit CNN Trump entlasten, verwickelte sich dabei jedoch in so viele Widersprüche, dass er genau das Gegenteil erreichte: Er verstärkte den Verdacht, dass Trump bezüglich Russland tatsächlich etwas zu verbergen hat.
Inzwischen ist auch unbestritten, dass Putin & Co. Einfluss auf die US-Wahlen genommen haben. Man weiss auch ziemlich viel über das Wie, aber noch wenig über das Warum. Deshalb wird nun vermutet, dass Trump mit seinen Twitter-Attacken auf Obama von KremlGate ablenken will. Das ist ihm gründlich misslungen.
Hochrangige Geheimdienstleute wenden sich offen gegen den Präsidenten. James Clapper, bis zum 20. Januar Director of National Intelligence, also oberster Geheimdienstmann, erklärte glasklar: «Es hat niemals eine Abhöraktion gegen den Präsidenten, den gewählten Präsidenten und den Kandidaten oder sein Wahlkampfteam gegeben.»
FBI-Chef James Comey, sicher kein Freund der Demokraten, soll über Trumps Tweets derart empört gewesen sein, dass er vom Justizministerium eine Berichtigung verlangt haben soll. Das bestreitet Trumps Pressechef Sean Spicer.
Reihenweise melden sich jedoch ehemalige hochrangige Geheimdienstleute, die gegen den Präsidenten aussagen. Typisch etwa John Schindler, der in seiner Kolumne im «Observer» schreibt: «Ich kann ohne Vorbehalte erklären, dass Präsident Trumps Vorwürfe so unplausibel sind, dass sie ans Absurde grenzen.»
Tatsächlich kann der Präsident gar keine Abhöraktion befehlen. Das verbietet der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), ein Gesetz, das nach Watergate beschlossen wurde, um genau dies zu verhindern. Der Präsident kann höchstens das Justizministerium beauftragen, einen solchen Antrag einem speziellen Gericht vorzulegen. Einen solchen Antrag hat es nie gegeben. Das hätte Trump mit einem einzigen Telefonanruf erfahren können.
Denkbar ist höchstens, dass Mitglieder von Trumps Wahlkampfteam indirekt ins Visier der Geheimdienste geraten ist, dann nämlich, wenn sie sich mit Russen trafen, die der Spionage verdächtigt werden. «Sollten sie nicht realisiert haben, dass ihre zwiespältigen russischen Freunde Ziele der NSA oder anderer westlicher Geheimdienste waren, dann sind sie selbst schuld», stellt Schindler fest.
KremlGate ist zu einer ernsthaften Bedrohung geworden, nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für die Welt. Mit den jüngsten Raketenversuchen hat Nordkorea die geopolitische Lage dramatisch verschärft. Die USA wollen die Raketenabwehr in Ostasien verstärken, sehr zum Ärger der Chinesen. Die Lage kann jederzeit ausser Kontrolle geraten, und im Weissen Haus sitzt ein Mann, der entweder etwas zu verbergen hat – oder der nicht alle Tassen im Schrank hat.
Selbst die Comedians verzweifeln. «Ich kann nicht glauben, dass Putin für diesen Idioten den vollen Preis bezahlt hat», sagt Bill Maher.