Kann er das? 450 Millionen Real-Fans in aller Welt waren verunsichert. Startrainer Ottmar Hitzfeld wunderte sich, dass einer ohne Trainererfahrung einen Weltklub übernimmt, und der frühere Real-Goalie Bodo Illgner zeigte sich überrascht, dass ein so schüchterner Mensch überhaupt Trainer wird.
Ja, es gab viele Bedenkenträger, als Real Madrids Präsident Florentino Pérez am 4. Januar 2016 bekannt gab, Zinédine Zidane habe Rafael Benitez als Trainer abgelöst. Die Liste von grossen Fussballspielern, die später als Übungsleiter gescheitert sind, ist lang, umfasst Namen wie Maradona, Matthäus und Van Basten.
Ja, er kann! Und wie! − 17 Monate nach der Inthronisierung gibt es keinen Experten mehr, der an Zidanes Fähigkeiten zweifelt. Anderthalb Jahre harter Arbeit haben dem 44-Jährigen genügt, um sich in die Reihe grosser Fussballer einzugliedern, die grosse Trainer geworden sind. Wie Cruyff, Guardiola, Ancelotti und Heynckes.
Mit einem verdienten 4:1-Sieg über Juventus Turin bescherte Zidane am Samstag in Cardiff den Königlichen nun den fünften Titel seiner Amtszeit. Nach dem Gewinn der Champions League gegen Atlético Madrid im Vorjahr, dem europäischen Supercup, der Klub-WM und der spanischen Meisterschaft verteidigte der Franzose mit Real als erster Klub den Titel der Königsklasse.
Innerhalb der ersten beiden Cheftrainerjahre gleich zwei Mal den Europacup zu gewinnen, dies hatte bisher nur José Villalonga – 1956 und 1957 ebenfalls mit Real – geschafft. Zahlen mögen trocken sein, doch sie helfen begreifen, wie beeindruckend Zidane seine Trainerkarriere lanciert hat.
Nach einem 5:0 gegen La Coruña zum Einstand musste Real unter ihm in 86 Pflichtspielen nur sieben Mal als Verlierer vom Platz. Es stellte einen spanischen Rekord von 40 Pflichtspielen ohne Niederlage auf und übertraf die 73 Jahre alte Bestmarke des FC Barcelona, der in 44 Partien hintereinander immer mindestens ein Tor erzielt hatte.
Real hält mittlerweile bei 65. Eines davon ging auf das Konto von Zidanes 22-jährigem Sohn Enzo in dessen bisher einzigem Einsatz.
Jetzt liegt Madrid einem Mann zu Füssen, der 1998 den WM-Final gegen Brasilien mit zwei Kopftoren entschieden hatte, 2001 für 73,5 Millionen Euro von Juventus zu Real gekommen war und die Galaktischen ein Jahr später mit einem Traumvolley gegen Leverkusen zum Sieg in der Champions League schoss.
In Cardiff sagte Pérez: «Zidane ist der beste Trainer der Welt, weil er als Erster den Titel verteidigt hat.» Die Replik des Gelobten: «Ich soll plötzlich der Beste sein? Ich, der zu Beginn in den Augen vieler doch so skandalös schlecht war …»
Natürlich hat Zidane das Glück, mit Ronaldo über den weltbesten Spieler zu verfügen. Zwei Tore hat der Portugiese auch gegen die Juve geschossen, mit zwölf Treffern ist er Torschützenkönig geworden. Noch nie aber ist der Superstar am Ende einer Saison so frisch und agil gewesen wie nun unter Zidane.
Das ist zwar zunächst einmal das Verdienst von Fitnesscoach Antonio Pintus, doch dann eben auch jenes von Zidane, der diese Kapazität engagiert hatte. Vor allem aber ist es dem Trainer gelungen, Ronaldo davon zu überzeugen, bei allem Torhunger auch mal eine schöpferische Pause einzulegen.
Zidane, der als überaus fleissiger Trainer gilt, hat aber noch viel mehr erreicht. «Wir sind dank ihm zu einem freundlichen Klub geworden», sagte Real-Legende Jorge Valdano.
Was insofern eine Überraschung ist, weil Zidane als Spieler ein rabiater Kerl gewesen war und zwölf Mal vom Platz gestellt wurde. Einer, der sich noch im letzten Karrierespiel, dem WM-Final 2006, einen üblen Kopfstoss gegen Marco Materazzi geleistet hatte.
Doch an der Seitenlinie findet Zidane im Gegensatz zu Zappelphilipp Guardiola auf angenehme Weise die Balance zwischen dem emotionalen und sachlichen Coaching. Und in der Ansprache den richtigen Ton.
«Er hat uns in der Halbzeit lediglich gesagt, wir sollten etwas höher stehen», verriet Aufbauer Toni Kroos, weshalb Real die Italiener nach der Pause überrannte.
Zidane sorgte dafür, dass sich Real nicht mehr im schönen Spiel verliert. Er hat ein Team geformt, das mit Ballbesitz etwas anfangen kann, aber ebenso das schnelle Umschaltspiel beherrscht.
Nach der Verletzung von Flügel Gareth Bale hatte Zidane aus der Not eine Tugend gemacht, aus dem 4-3-3-System ein 4-4-2, mit einem Ronaldo, der in der Spitze genauso auftrumpft wie zuvor am Flügel.
Das grösste Kompliment gebührt «Zizou» aber dafür, wie sehr er den Haufen egozentrischer Stars zu einem verschworenen Team, zu einer harmonischen Familie zusammengeschweisst hat. «Das ist sein Werk, alle hören ihm zu», sagte Kroos.
Gleichwohl ist Zidane in der Lage, harte Entscheide zu treffen. So sass James Rodriguez, der WM-Star von 2014, zuletzt nur auf der Tribüne. «Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass sich alle Spieler wichtig fühlen und sich gut vertragen», sagte Zidane und bestätigte, dass er bei Real weitermachen will. «Ich habe hier jede Minute genossen.»
Es kristallisiert sich heraus, dass Empathie eine von Zidanes ganz grossen Stärken ist. Neben dem Fachverstand besitzt er viel menschliches Feingefühl. «Von allen Facetten hat mich seine Rolle als Kommunikator am meisten überrascht, weil er doch so schüchtern ist», sagte Valdano. «Zuvor hatte ich mich gefragt: Wie soll er bloss den richtigen Ton treffen, wenn er nie etwas sagt?»
Als Sportdirektor hatte Zidane 2011 bei Real begonnen, er wurde Ancelottis Assistent und übernahm das Reserveteam, ehe er Cheftrainer wurde. «Was ich mag, ist Fussball, was ich verstehe, ist Fussball, worin ich gut bin, das ist Fussball», sagte Zidane vor Jahren.
Wer will ihm widersprechen?