Im Science-Fiction-Film «I, Robot» wird der Held wütend, weil ein Roboter bei einem Autounfall ihn rettet und ein kleines Mädchen sterben lässt. Wird ein solches Szenario im Zeitalter von selbstgelenkten Autos Realität werden?
Ich kenne den Film nicht, doch die sogenannte «Tragic-choices»-Situation ist mir vertraut, die Situation, in der ein Fahrzeug beispielsweise entscheiden muss, ob es in eine Mauer rasen und den Fahrer gefährden soll, oder in eine Frau mit Kinderwagen. Dieses Problem stellt sich tatsächlich bei der Programmierung von selbstfahrenden Autos.
Befassen sich bei uns Juristen heute mit diesem Problem?
Ja, und es wird von der Versicherungsindustrie erörtert. In Deutschland gibt es bereits einen so genannten Code of conduct, eine Anleitung, wie man bei der Programmierung vorgehen soll.
Theoretisch gibt es drei Optionen: Bei einem Unfall ist entweder der Lenker Schuld, der Hersteller oder der Software-Ingenieur. Trifft dies zu?
Das betrifft die Haftungsfrage. Dabei unterscheide ich zwischen einer evolutionären und einer revolutionären Entwicklung. Eine evolutionäre Entwicklung wollen die Automobilhersteller. Sie wollen, dass Autos neben dem automatischen Parkieren immer weitere Funktionen übernehmen.
Das gibt es bereits.
Auf den Autobahnen können Sie in einem Tesla oder einem entsprechend ausgerüsteten Autos bereits das Steuer loslassen. Das ist die evolutionäre Entwicklung. Hier muss die rechtliche Grundlage kaum verändert werden.
Der Halter haftet?
Zumindest solange, wie der Fahrer noch aktiv eingreifen kann. Zunächst haftet der Halter und seine Versicherung. Erst wenn es sich herausstellen sollte, dass das Fahrzeug einen Fehler in der Software hatte, wird ein Rückgriff auf den Hersteller oder Software-Lieferanten möglich.
Gibt es auch eine revolutionäre Entwicklung?
Ja. Dazu zählen etwa die Google-Fahrzeuge oder die Tests mit einem kleinen Postauto in Sion. Dort gibt es gar keinen Fahrer mehr. Für diese Fälle müssen wir eine neue gesetzliche Grundlage schaffen. Wahrscheinlich muss der Betreiber, oder gegebenenfalls der Hersteller, in diesem Fall die Haftung übernehmen, und er muss auch entsprechend versichert sein.
Bereits heute werden solche Robotaxis in amerikanischen Städten getestet. Wird das bald auch bei uns der Fall sein?
Es gibt Studien, die besagen, dass dies bereits 2020 der Fall sein wird. Ich gehe von einer schrittweisen Entwicklung aus. Das bekannteste Beispiel ist der Waymo von Google. Er wird in Phoenix getestet. Diese Stadt hat ein sehr einfaches Strassennetz. Ich kann mir vorstellen, dass sehr bald ähnlichen Städten und Umgebung – auch in Europa – ein Robotaxi-Netz operativ sein kann. Daher müssen auch die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Ein Land tut gut daran, dies bald zu tun, um einen entsprechenden Technologie- und Wettbewerbsvorteil zu haben.
Wären in einer Stadt wie Zürich bereits solche Tests möglich?
Das Walliser Postauto ist aufgrund einer Sonderbewilligung ein Einzelfall.
Nehmen wir den Bellevue-Platz in Zürich. Es hat Autos, Trams, Velos und Fussgänger. Was ist in einem solchen Fall schwieriger zu regeln: die Technik oder die Gesetzgebung?
Für vollständig selbstgelenkte Fahrzeuge braucht es eine vollständig neue Gesetzesregelung, vergleichbar mit den Sondergesetzen und Haftungsregeln bei der Einführung der Eisenbahnen oder der Flugzeuge. Technisch muss man unterscheiden zwischen der Autobahn-Situation und der Bellevue-Situation. Bis man die Bellevue-Situation ohne separate Spuren und Verkehrstrennungen im Griff hat, wird es noch lange dauern.
Was bedeutet das für die Robotaxis?
Sie werden wohl zunächst nur auf genau bestimmten Strecken eingesetzt werden, ein bisschen wie Trams. Das gilt für Schweizer Verhältnisse. In den USA fahren die Google-Fahrzeuge seit Jahren praktisch unfallfrei, aber – wie erwähnt – bei ganz anderen Strassenbedingungen. Bei uns könnte ich mir vorstellen, dass relativ schnell der öffentliche Verkehr – Postautos, aber auch Züge – führerlos auf definierten Routen fahren wird.
Selbstfahrende Autos werden mit Smartphones verglichen, sie werden eine Revolution auslösen. Braucht es für diese Revolution eine massive gesetzliche Regulierung?
Es gibt einzelne Fragen, die geregelt werden müssen – die eingangs erwähnten «Tragic choices» etwa – oder Versicherung, Zulassung, IT-Bereiche und Datenschutz. Doch das gilt für die gesamte Entwicklung, die als «Internet of Things» bezeichnet wird. Alles wird mit allem verbunden sein: Autos, Häuser, Infrastruktur. Das auch im Sicherheitsbereich zu Problemen führen, die so genannte «cyber security». Diese Risiken hat die traditionelle Automobilindustrie lange ignoriert. Sie behandelt jedes Auto für sich als ein autonomes proprietäres System.
Nicht nur Sicherheitsprobleme werden sich mit selbstgelenkten Fahrzeugen ändern, sondern auch die Eigentumsverhältnisse. Wer will im Zeitalter von Robotaxis noch sein eigenes Auto besitzen?
An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die traditionelle Autoindustrie geht davon aus, dass die Autos billiger und kurzlebiger werden und wie ein Smartphone permanent updated werden. Aber man bleibt Eigentümer. Es gibt jedoch auch die Idee des konsequenten Car-Sharing. Oder man kann sich vorstellen, dass ein Restaurant seine Gäste künftig mit einem selbstfahrenden Auto abholen lässt, nachdem ein Tisch reserviert worden ist. Die entscheidende Frage wird sein: Wie weit sind die Menschen bereit zu teilen?
Wenn wir Menschen immer weniger selbst Auto fahren, nimmt auch die «Freude am Fahren» – wie ein bekannter Werbeslogan lautet – ab, und damit auch die Qualität der Autolenker. Stimmt das?
Ja, dafür geniesst man die Zeit und das Auto wird zum selbstfahrenden Büro oder Wohnzimmer. Und selbstfahrende Autos werden deutlich weniger Unfälle produzieren. Daher werden wahrscheinlich auch die Versicherungsprämien massiv sinken.
Wer selbst fährt, muss höhere Versicherungsprämien bezahlen?
Das ist denkbar. Wir brauchen auf jeden Fall neue Versicherungslösungen. Vielleicht werden die Hersteller oder Betreiber die gesamte Haftung übernehmen. Volvo hat bereits angekündigt, für alle Unfälle mit einem selbstfahrenden Fahrzeug geradezustehen.
Und wo bleibt die Freude am Fahren?
Ich gehe davon aus, dass es gemischte Systeme geben wird. Unter der Woche, im Stau oder auf Autobahen lässt man das Auto fahren, am Wochenende und auf schönen Strecken fährt man selber.
Wenn mein Auto selbst fährt, weiss es bald mehr über mich als ich selbst. Wie wird die Datensicherheit bei selbstgelenkten Fahrzeugen geregelt?
Das ist ein Abwägungs-Problem. Je mehr Daten das Fahrzeug hat, desto sicherer wird es. Umgekehrt erhöht sich das Risiko, dass ein Eindringling auf Ihre Daten zugreift. Studien besagen, dass die Menschen im Zweifelsfall die Sicherheit bevorzugen und dafür die Privatsphäre opfern. Andererseits sind sich die meisten Menschen der Gefahren gar nicht bewusst, die durch das Verknüpfen der Auto-Daten mit anderen entstehen können.
Woran denken Sie konkret?
Sie kaufen ein neues Autos. Es ist mit Ihrem Smartphone verbunden, aber auch direkt mit ihrer Garage, ihrem Haus, ihrem Computer und beliebig vielen anderen Systemen, auch mit den Autos, die vor oder hinter ihnen fahren, um den Verkehr optimal zu steuern. Das schafft grosse Risiken für die Privatsphäre. Die Autoindustrie ist sich noch zu wenig bewusst, was da auf sie zukommen wird.
Es gibt dazu ebenfalls ein Science-Fiction-Szenario: Der Bösewicht hackt ein Auto und lässt es gegen eine Wand rasen. Ist das, wie das «Tragic-choice»-Szenario, ebenfalls denkbar?
Ich denke, dass auch dieses Risiko tatsächlich existiert. Wenn Sie in ein System wie Google eingreifen, an dem Tausende von Fahrzeugen hängen, dann können Sie sehr grossen Schaden anrichten.
Zum Schluss noch eine Prognose: Werden wir es noch erleben, dass wir in selbstfahrenden Autos unterwegs sind?
Auf jeden Fall. Die rechtlichen Grundlagen lassen sich relativ schnell anpassen. Ich schätze, dass wir in der Schweiz in rund zehn Jahren soweit sein werden.