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Corona: Warum Massentests gut sind, aber Lockdowns nicht ersetzen können

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Bald soll man sich auch selbst testen können. Bild: keystone
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Die gesamte Bevölkerung testen und dann Lockdown ade? Warum dieser Plan nicht funktioniert

Ein flinker Unternehmer und Arzt aus dem Thurgau scheint den perfekten Plan gegen den Lockdown gefunden zu haben: Innerhalb von acht Tagen soll sich die gesamte Bevölkerung zuhause zweimal selbst testen. Warum das nicht funktionieren kann.
05.03.2021, 19:0805.03.2021, 19:40
Dennis Frasch
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Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Thomas Krech, CEO eines Telemedizin-Unternehmens im Thurgau, will die Schweiz in acht Tagen aus dem Lockdown führen. Mit 20 Millionen Tests, die in jeden Haushalt der Schweiz sowie in die Grenzgebiete geschickt werden. Zwei Mal soll sich jede Person in der Schweiz testen lassen, danach könne der Lockdown aufgehoben werden.

Die Idee von Krech ist nicht neu. Massentests werden seit Monaten diskutiert und teilweise auch schon in der Schweiz durchgeführt, wie zum Beispiel in Graubünden. Trotzdem: Der Plan, die Schweiz innerhalb einer Woche aus dem Shutdown zu führen, wird kaum umzusetzen sein, denn es gibt einige Hürden:

Schnelltests sind zu ungenau

Der Masterplan des Thurgauer E-Mediziners sieht vor, allen Haushalten der Schweiz Antigen-Schnelltests zukommen zu lassen. Diese Schnelltests sollen ohne professionelle Hilfe durchgeführt werden können. Hier entsteht bereits das erste Problem: Die Schweiz hat solche Tests noch gar nicht zugelassen. Beim BAG heisst es jedoch, dass man mit Hochdruck an der Zulassung arbeite.

Sollten die Schnelltests demnächst auf den Markt kommen, wäre das ein grosser Schritt in Sachen Pandemiebekämpfung und Infektionskontrolle, jedoch kein Allheilmittel. Das Problem: Antigen-Schnelltests sind nach wie vor nicht so akkurat wie es die PCR-Tests sind. Das heisst, die Zahl asymptomatisch Infizierter wird zunehmen, das Virus kann sich so weiter ausbreiten.

Thomas Krech will dem entgegenwirken, indem die positiv getesteten an Tag zwei mittels eines PCR-Tests nochmals getestet werden, um das Ergebnis zu bestätigen und unnötige Quarantänen zu verhindern. Das Problem werden jedoch nicht die fälschlicherweise positiv Getesteten sein, sondern jene, die trotz Infektion ein negatives Ergebnis bekommen. Und genau dies führt zu Problem Nummer zwei.

Massentests sind nur eine Momentaufnahme

Krechs Plan sieht vor, dass jede Person sich an Tag fünf ein zweites Mal testen lässt. Genau um jene Infizierten zu erwischen, die in Runde eins noch ein negatives Ergebnis bekommen haben. Das dürfte dafür sorgen, dass nochmals ein Teil an infizierten Personen gefunden würde. Aber nicht alle.

Didier Trono, Leiter der Expertengruppe «Diagnostics and testing» bei der Corona-Taskforce des Bundes, hat es im Gespräch mit watson einst auf den Punkt gebracht: «Ein Massentest mit Antigen-Schnelltests ist wie ein Schnappschuss eines vorbeifahrenden Zuges», sagte er. Für einen Moment erhalte man zwar ein ziemlich genaues Bild, der Zug fährt deswegen aber trotzdem weiter.

Das Problem hier: Personen, welche beim zweiten Massentest an Tag fünf positiv sind, haben womöglich bereits wieder andere angesteckt. Bei diesen neu angesteckten wird es dann wiederum zu früh sein, um mittels Antigen-Schnelltest ein positives Ergebnis zu erhalten. Ein Teufelskreis. Infizierte Kinder und komplett asymptomatische Personen werden zudem nicht detektiert werden können.

Die Vorstellung, mittels zwei Antigen-Massenschnelltests alle infizierten Personen im Land ausfindig machen, ist – Stand heute – nicht realistisch.

Die Schweiz ist keine Insel

Erschwerend kommt hinzu, dass die Schweiz keine Insel ist. Sie kann sich also nicht abschotten von der Aussenwelt, so wie es Neuseeland oder Südkorea können.

Solange dies so ist, unsere Grenzen offen sind und auf sehr vielen Wegen auch ohne Test eingereist werden kann, wird es Coronafälle geben. Vor allem, wenn die Infektionszahlen auf dem jetzigen Niveau verbleiben. Oder – wie es in unseren Nachbarstaaten und in praktisch ganz Europa wieder der Fall ist – wieder steigen.

Es bräuchte eine gesamteuropäische Strategie, um der Situation auf unserem Kontinent Herr zu werden. Das Beispiel Slowakei hat dies sehr gut gezeigt. Dort wurde im November bereits die gesamte Bevölkerung zwei Mal getestet. Die Infektionszahlen gingen daraufhin kurzzeitig runter, sind momentan aber wieder auf altem Niveau.

Die logistischen und technologischen Hürden sind zu gross

Im Gespräch mit der «NZZ» beteuerte Krech zwar, dass die Post und auch Roche in der Lage wären, die Verteilung in alle Haushalte zu organisieren. Auch gegenüber watson bestätigt die Post, dass solche logistischen Aufgaben «nichts neues» seien.

Weitaus höher dürften indes die technologischen Hürden sein. Der Plan sieht vor, dass alle Personen ihr Testresultat online mit dem Smartphone in einer zentralen Datenbank erfassen sollen. Angesichts der bisherigen Erfahrung bezüglich digitaler Unterstützung während dieser Pandemie scheint dieses Vorhaben schwer umsetzbar. Sind wir technisch trotzdem bereit, gibt es noch eine weitere grosse Unsicherheit: Wie viele werden die Technologie auch tatsächlich nutzen? Zum Vergleich: Die SwissCovid-App gibt es seit neun Monaten, die Nutzerzahl liegt momentan bei 1,7 Millionen Menschen.

Der Faktor Mensch als Todesstoss

Zu guter Letzt spielt auch der Faktor Mensch eine entscheidende Rolle. Das Ganze soll auf Freiwilligkeit beruhen. Diese Freiwilligkeit wird nicht überprüfbar sein. Und man muss davon ausgehen, dass nicht genügend Menschen die Teststrategie mitmachen, viele mit der Umsetzung überfordert sein werden oder sich vor der Quarantäne scheuen.

Fazit

Der Plan von Thomas Krech, mittels Massentests nach nur acht Tagen aus dem Shutdown herauszufinden, ist äusserst optimistisch und in der Umsetzung mit vielen Unsicherheiten verbunden. Dass Krech mit Massentests einen Ausweg aus den Shutdown-Massnahmen sucht, ist allerdings naheliegend. Denn Massentests sind ein probates Mittel, um dem Infektionsgeschehen Herr zu werden.

Dies hat mittlerweile auch der Bundesrat erkannt. Am Freitag hat er entschieden, künftig alle Tests kostenlos zu machen und jeder Person in der Schweiz fünf Selbsttests pro Monat gratis abzugeben. Noch fehlt allerdings die Zulassung für die Selbsttests.

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37 Kommentare
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Liebu
05.03.2021 20:03registriert Oktober 2020
Immerhin gehen jetzt die Diskussionen in eine Lösungsorientierte Richtung, man versucht aktiv an das Problem heranzugehen und nicht mehr es auszusitzen.
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Toerpe Zwerg
05.03.2021 20:13registriert Februar 2014
Lockdowns sind noch viel weniger eine Lösung.
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Max Demian
05.03.2021 20:39registriert April 2020
Alles richtig und trotzdem falsch. Gesucht ist nicht die perekte Lösung, gesucht ist die Strategie, die Normalität ermöglicht, möglichst wenig Hospitalisierte fordert und möglichst günstig ist.
Der Lockdown ist keine Alternative. Massiv teuer und massive Kollateralschäden und nur als einmalige Notmassnahme glaubwürdig durchsetzbar.
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