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Die Frage «Was ist der Unterschied zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus?» hat erwartungsgemäss zu angeregten Debatten in der Kommentarspalte geführt – und weitere Fragen aufgeworfen:
Das sind sie sicher nicht. Aber was ist von folgenden Zitaten zu halten?
Das erste Zitat stammt von Theodor Herzl, dem Begründer des modernen politischen Zionismus. Das zweite von der Holocaust-Überlebenden Mira Knei-Paz. Und das dritte von Yair Golan, stellvertretender Generalstabschef der israelischen Streitkräfte. Die drei als Antisemiten zu bezeichnen, wäre absurd.
Dennoch führte zum Beispiel die Aussage von Yair Golan am diesjährigen Holocaust-Gedenktag zu heftigen Reaktionen. Der israelische Bildungsminister und Rechtsaussen-Hardliner Naftali Bennett war im Publikum, als der hohe Militär – und Sohn von Holocaust-Überlebenden – diese Sätze sagte. Auf Twitter schrieb Bennett im Anschluss empört:
רגע לפני שמכחישי השואה יהפכו מילים שגויות אלו לדגל.
— Naftali Bennett (@naftalibennett) 4. Mai 2016
רגע לפני שחיילינו יושוו לנאצים חלילה בהכשר מגבוה.
סגן הרמטכל שגה. ועליו לתקן מיד.
Juden, die solche Dinge sagen, sind in den Augen Bennetts keine Antisemiten, sondern in gewisser Weise sogar schlimmer. Sie dienen den Antisemiten als nützliche Idioten: Wer Israel mit den Nazis vergleicht und deswegen als Antisemit bezeichnet wird, könne fortan auf die Nummer 2 in der israelischen Armee verweisen und sagen: «Seht her, er sagt es auch. Also kann ich kein Antisemit sein.»
Ein Widerspruch in sich ist die Vorstellung antisemitischer Juden nicht. Theodor Herzl, der in seinem Werk «Der Judenstaat» (1896) die Verachtung beschrieb, welche assimilierte Westjuden den ärmeren, der Tradition verpflichteten Ostjuden entgegenbrachten, sprach von «Antisemiten jüdischen Ursprungs».
Historisch bedeutender und bis heute im Umlauf ist der Begriff des «jüdischen Selbsthasses»: Wer Jude ist und antisemitische Dinge sagt, der hasst sich selbst, so die Logik. Zu den «selbsthassenden Juden» wurden seinerzeit zum Beispiel Karl Marx und Karl Kraus gezählt, weil sie in ihren Werken antisemitische Stereotype verwendeten. Der deutsch-jüdische Philosoph Theodor Lessing mutmasste in «Der jüdische Selbsthass» (1930), dass solche Juden nicht unbedingt in böser Absicht handeln, sondern nach all der Zeit der Anfeindung tatsächlich so empfinden:
Die fatale Konsequenz des jüdischen Selbsthasses beurteilte Lessing (der 1933 von Nazi-Auftragskillern erschossen wurde) damals gleich wie der israelische Minister Bennett heute:
Der Begriff des jüdischen Selbsthasses ist allerdings auch höchst umstritten, da er von einem richtigen und einem falschen Judentum ausgeht und sich der selbsthassende Jude demnach ausserhalb des akzeptierten Judentums befindet. Verwendet wird er heute fast ausschliesslich von rechten jüdischen Hardlinern, um jüdische Linke zu verunglimpfen. Prominente Zielscheiben sind in den USA der Comedian Jon Stewart, der Philosoph Noam Chomsky und der demokratische Bewerber für das Präsidentenamt, Bernie Sanders.
Fazit: Es gibt Juden, die harsche Kritik an der Politik Israels gegenüber den Palästinensern üben. Es gibt auch solche, die Dinge sagen, die anderen schnell den Vorwurf des Antisemitismus einbringen würden. Für dieses Phänomen, nenne man es jüdischen Antisemitismus oder jüdischen Selbsthass, gibt es verschiedene Erklärungen. Kritische Juden sozusagen als Schild gegen die Antisemitismus-Keule zu benutzen, ist keine gute Idee. Sehr durchsichtig und sehr gefährlich, wie Theodor Lessing schon vor fast 100 Jahren wusste.