Ein Mann macht einen Film über eine aussterbende Gattung. Über ein gedrucktes Magazin nämlich, das mit nichts als langen Texten gefüllt ist. Mit Texten, an denen nicht unbedingt der Wahrheitsgehalt das Wichtigste ist, sondern eine Empfindsamkeit der Autorinnen und Autoren für einen bestimmten Winkel der Welt zu einer ganz bestimmten Zeit.
Das klingt, geben wir's zu, langweilig. Unverfilmbar gar. Aber wir sind schliesslich bei Wes Anderson, einem Mann, dessen Fantasie seit Jahren dem berühmten, Regenbögen erbrechenden Einhorn gleicht. Sein Weltwinkel liegt in Frankreich und heisst Ennui-sur-Blasé (gut, da hätte er die Ironie etwas feiner dosieren können), sein Magazin nennt sich «The French Dispatch», also die französische Depesche, und geleitet wird es von einem Amerikaner aus Kansas (Bill Murray). Und wenn sich einer aus Kansas ausserhalb der USA begibt – das wissen wir seit dem «Zauberer von Oz», dann landet er in einem Traumland oder gleich auf einem anderen Planeten. In eine Gegenwelt des Pittoresken und Grotesken.
Wes Andersons Frankreich ist denn auch nicht Frankreich und erst recht nicht von heute. Es befindet sich irgendwo zwischen Nachkrieg und den Studentenunruhen von 1968 – für Anderson immer wieder ein magisches Jahr, weil er 1968 gezeugt wurde –, und es ist, so Anderson, «die Idee, die ein Fremder von Frankreich hat».
Nichtfranzösische Regisseure hatten immer wieder ihre Ideen von Frankreich, meist waren es Ideen von Paris, die populärste hatten 1951 der Regisseur Vincente Minelli und der Komponist George Gershwin in ihrem nostalgischen Bohème-Musical «An American in Paris». Woody Allen verklärte Paris in «Midnight in Paris», Baz Luhrman machte es in «Moulin Rouge» zur frivolen Wundertüte, und Lasse Hallström verzauberte in «Chocolat» die Provinz in einen Süsswarenladen. Aber das ist okay, wir haben schliesslich auch unsere Ideen von Amerika.
In Ennui-sur-Blasé gibt es alles, was es sonst in Paris gibt, Gourmets, ein Gefängnis, Künstler, Bordelle, Intellektuelle und die attraktivsten und radikalsten Studenten und Studentinnen, die jemals auf einer Demonstration gesichtet wurden. Es gibt hier bloss alles im Klein- ja vielleicht sogar Puppenstubenformat. So wie Wes Andersons Filmen immer etwas Puppenstubenartiges anhaftet. Da sind die Kulissen, die immer nach Laubsägearbeit und handgemalten Tapeten aussehen, da sind die Figuren, die einen leicht künstlichen, oft zu schnellen, überpräzisen Sprechduktus haben, und derart verschroben sind, dass ihnen jeder Hauch von Natürlichkeit abgeht.
In «The French Dispatch» sind das auf der einen Seite die amerikanischen Journalistinnen und Journalisten. Da ist der melancholische Lokalreporter und Velofetischist Herbsaint Sazerac (Owen Wilson), der in der letzten toten Ratte noch etwas Malerisches sieht, aber Blumenläden hasst. Da ist die Kunstkritikerin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton), die sich ganz der Legendenschreibung eines Genies hinter Gittern (Benicio Del Toro) widmet, das die immergleiche sadistische Gefängniswärterin (Léa Seydoux) malt. Eine hinreissende Satire auf den Kunstbetrieb.
Wir begegnen der Reporterin Lucinda Krementz (Frances McDormand), die behauptet, die neutralste und objektivste Journalistin zu sein, aber eine Affäre mit dem blutjungen Studentenführer (Timothée Chalamet) hat. Als klarsichtige Autorin hilft sie ihm bei der Verfassung eines revolutionären Manifests. Und schliesslich will der Gastrokritiker Roebuck Wright (Jeffrey Wright) einen legendären Koch porträtieren und gerät stattdessen in eine turbulente Entführungsgeschichte. Es zählt nicht der Gegenstand seines Artikels, sondern, was der Journalist dabei erlebt.
Ihnen gegenüber stehen die leidenschaftlichen, durchgeknallten, latent gewaltbereiten Einheimischen – von denen übrigens die wenigsten französische Namen tragen, sondern paneuropäische Phantastereien sind. Oder Hommagen an den europäischen Film. Timothée Chalamet heisst nicht einfach so Zeffirelli, da ist schon auch ein gutes Stück Verehrung für den italienischen Regisseur Franco Zeffirelli mit dabei.
Der «French Dispatch» und seine Redaktionsmitglieder sind Andersons Liebeserklärung an die Zeitschrift «The New Yorker», nach dem er seit der Highschool süchtig ist, nach seinen langen, semiliterarischen Lesestücken und seinem exzentrischen Personal. Hinter jeder von Andersons Figuren stecken mindestens drei «New Yorker»-Legenden, Anderson ist ein hoffnungsloser Medien-Nerd und -Nostalgiker und ein Sammler, der keine Grenzen kennt.
Seine zusammengeträumte Liebeserklärung ist denn auch mit etwas zu viel Liebe und etwas zu wenig dramaturgischer Konsequenz gestaltet, die Ausstattung ist wichtiger als ein roter Faden, es herrscht eine Verschwendung an Ideen und Stars – Christoph Waltz und Saoirse Ronan etwa sähe man gerne länger als nur für ein paar Sekunden.
Es ist wie immer bei Wes Anderson, man sitzt im Kino und staunt selig und weiss am Ende wirklich nicht, wozu das jetzt gut gewesen sein soll. Aber vielleicht muss man das auch nicht wissen. Vielleicht will uns Anderson ganz einfach auf einen jener Jahrmärkte mitnehmen, auf denen früher die ersten kurzen Filme gezeigt wurden. Als Teil eines Kuriositätenkabinetts zwischen Schlangenmenschen, bärtigen Frauen, Gewichte stemmenden Männern und Raubkatzen. Als Ausflug zum Wunderbaren und Sonderbaren. Und zum reinen Vergnügen.
«The French Dispatch» läuft ab dem 21. Oktober im Kino.