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Das müssen Sie über die geheimen Anti-Terror-Listen wissen

Veröffentlichte die neuen Dokumente, Glenn Greenwald
Veröffentlichte die neuen Dokumente, Glenn GreenwaldBild: AFP
Neue US-Enthüllungen

Das müssen Sie über die geheimen Anti-Terror-Listen wissen

Die USA führen Hunderttausende in einer geheimen Anti-Terror-Datenbank. Die Menschen werden teils willkürlich ausgewählt. Wer wird dort aufgeführt? Woher stammen die Informationen? Die wichtigsten Antworten zu den neuen Enthüllungen. 
06.08.2014, 21:2606.08.2014, 21:28
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Der US-Journalist Glenn Greenwald hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder angedeutet: Es sei zu erwarten, dass erneut vertrauliche Dokumente der US-Regierung oder der Geheimdienste öffentlich würden – und das auch ohne die Hilfe seines Schützlings, des NSA-Enthüllers Edward Snowden.

Jetzt hat Greenwalds Webseite «The Intercept» tatsächlich neue Informationen des Nationalen Antiterror-Centers der USA verbreitet. Sie enthalten Details zu den US-Datenbanken, die Terrorverdächtige aufführen - und zeigen, nach welchen Kriterien Menschen auf der Liste landen. Diese sind oft teils vage und willkürliche. 

Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten: 

1. Was sind das für Informationen? 

Ein zwölfseitiges Geheimdienstpapier vom August 2013 trägt die Warnaufschrift «secret» (geheim) und «noforn» (nicht für ausländische Regierungen) – die Geheimhaltungsstufe ist also nicht die höchste. Dagegen sind die Dokumente, die Snowden gesammelt und enthüllt hatte, mit «top secret» (streng geheim) gekennzeichnet. Dennoch sind die neuen Informationen nicht weniger brisant, zeigen sie doch das Ausmass der Datenbanken, in dem die USA vermeintliche Terrorverdächtige speichern.

2. Um welche Datenbanken handelt es sich? 

Es geht um zwei Datenbanken. Erstere wird TSDB (Terrorist Screening Database) genannt. Den veröffentlichen Informationen zufolge führen die USA dort mindestens 680'000 Menschen als «bekannte oder mutmassliche Terroristen». Sie sollen Verbindungen zu internationalen Terrororganisationen wie al-Qaida, Hisbollah oder den Taliban haben. Auch die radikalislamische Hamas im Gaza-Streifen wird aufgeführt. 

Allerdings werden Analysen von «The Intercept» zufolge mehr als 40 Prozent – also 280'000 Menschen – «ohne erkennbaren Kontakt zu terroristischen Gruppen» kategorisiert. Es stellt sich also die Frage, warum die Namen überhaupt auf der Liste zu finden sind.

In einer weiter gefassten Datenbank mit potenziellen Extremisten, genannt TIDE (Terrorist Identities Datamart Environment), sollen eine Million Namen verzeichnet sein. Den Angaben zufolge gibt es täglich 240 neue «Nominierungen». Als besonders gefährlich eingestufte Verdächtige setzen die Behörden auf die sogenannte No-Fly-Liste, die Betroffene vom Flugverkehr in den USA ausschliesst. Insgesamt 47'000 Menschen werden dort aufgeführt. 

3. Was sagen die Datenbanken über das Ausmass der Speicherung aus?

Nach Erkenntnissen von Greenwalds Webseite intensivierten die US-Behörden das Sammeln von möglichen Terrorverdächtigen seit Beginn der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama. So finden sich nach Angaben von «The Intercept» auf der No-Fly-Liste heute zehnmal so viele Namen wie 2008.

Wie CNN meldet, sind die gesammelten Datenmengen nach Weihnachten 2009 sprunghaft gestiegen. Damals war ein Sprengstoffattentat des «Unterhosen-Bombers» auf ein US-Flugzeug beim Landeanflug auf Detroit vereitelt worden.

Die Liste nennt ausserdem US-Städte, in denen die meisten Personen unter Verdacht stehen – an erster Stelle: New York; an zweiter: Dearborn in Michigan. In dem Ort leben zwar nur 96'000 Einwohner, aber er hat landesweit den höchsten Anteil arabischstämmiger Bürger (40 Prozent). Auf Platz drei liegt Houston.

4. Wie und warum gelangen Namen auf den Terrorlisten?

Im Juli hatte «The Intercept» bereits berichtet, wie leicht Menschen ins Visier der US-Terrorfahnder geraten können. Bereits ein nicht näher zu begründender «angemessener Verdacht» reiche aus, um auf die Liste potenzieller Extremisten gesetzt zu werden, meldete die Webseite und veröffentlichte ein Dokument mit dem Titel «March 2013 Watchlisting Guidance». 

In den Leitlinien wird auf 166 Seiten dargelegt, wie verdächtige Personen in den Datenbanken landen und wieder entfernt werden können. «Unwiderlegbare Beweise» oder «konkrete Fakten» seien «nicht nötig», bestimmt das Regelwerk. Die Betroffenen haben keine Möglichkeit, ihren Status herauszufinden.

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5. Wer hat Zugriff auf diese Datenbanken? 

«The Intercept» beschreibt den Zugriff auf die TDSB-Liste als «breit». Das heisst: Der Website zufolge können lokale Strafverfolgungsbehörden, private Vertragspartner des Staates und ausländische Regierungen Zugriff auf die Datenbanken zugreifen. Die weiter gefasste Datenbank TIDE ist den Angaben zufolge einerseits innerhalb der US-Geheimdienste einsehbar. Andererseits hätten aber auch inländische Behörden wie die New Yorker Polizei und die Special Operations Command Zugriff, also die Kommandostelle aller Spezialeinheiten des US-Militärs. 

6. Woher hat «The Intercept» die Informationen?

Eigenen Angaben zufolge erhielt die Enthüllungswebseite die Listen von einer nicht näher identifizierten «Geheimdienstquelle». Edward Snowden kann es nicht gewesen sein. Als das Geheimdienst-Papier über die Zusammenstellung amerikanischer Anti-Terror-Listen im August 2013 entstand, hatte der IT-Spezialist seine Arbeitsstelle in Hawaii für die NSA bereits verlassen.

7. Wie reagiert die US-Regierung? 

Aus dem Weissen Haus in Washington gibt es bisher keine Stellungnahme. Die US-Regierung befürchtet aber offenbar einen weiteren Whistleblower in ihrem Sicherheitsapparat. Die Suche nach der undichten Stelle hat bereits begonnen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Regierungskreise meldet, erwägen Vertreter der Geheimdienste jedoch, das US-Justizministerium um die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens zu bitten. 

Ein Vertreter des Nationalen Antiterror-Centers verteidigte die TSDB-Liste als «entscheidenden Bestandteil in unserer Anti-Terror-Verteidigung». Sie sei ein grosser Fortschritt gegenüber den Überwachungsmöglichkeiten vor dem 11. September 2001. Damals habe es «getippte oder handgeschriebene Katalogkarten und Notizbücher» gegeben. 

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