Am 12. März 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation die Pandemie ausgerufen. Es war klar, dass sich das Coronavirus über den ganzen Erdball verteilen wird. Doch wann ist die Pandemie wieder zu Ende? Wenn das Virus gänzlich ausgerottet ist? Die ganze Welt dagegen geimpft ist? Oder wenn die Masken aus dem Alltag verschwunden sind? Wir haben zehn Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Philosophie und Kultur gefragt – und zehn verschiedene Antworten erhalten.
«Obwohl wir in der Schweiz auf einem guten Weg sind, kann man nicht ein Datum oder eine bestimmte Anzahl neue Fälle nennen. Die Pandemie wird enden, wenn die Präventionsmassnahmen stark genug sind, um die Übertragung des Virus weltweit zu unterdrücken. Zwei Faktoren beschleunigen oder verlangsamen: der Mensch und das Virus. Der Mensch hat in Rekordzeit sichere, wirksame Impfstoffe entwickelt. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass sie in weltweit benötigten Mengen produziert und dort zum Einsatz kommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Es gilt, global zu denken und zusammenzuarbeiten.
Da das Virus in vielen Ländern zirkuliert und mutiert, ist die Früherkennung und Überwachung neuer Varianten sehr wichtig, besonders in Ländern, wo derzeit das Virus noch kaum sequenziert wird. Dies ermöglicht eine frühe und schnelle Reaktion zur Unterbindung neuer Ausbrüche. Die mRNA-Impfstoffe können glücklicherweise schnell an Mutationen angepasst werden. Das Virus wird also weiter mutieren, aber rasches menschliches Handeln kann das Blatt endgültig wenden.»
«Pandemien sind medizinische und soziale Erscheinungen. Das medizinische Ende lässt sich meist mehr oder weniger objektiv bestimmen: Wenn die Krankheitsfälle stark abnehmen, es keine Todesfälle mehr gibt, sich Krankenhäuser leeren, sind die lokalen Ausbrüche vorbei. Pandemien sind auch soziale Ereignisse. Wenn die Menschen aufhören, sich vor der Pandemie zu fürchten, ist das soziale Ende der Pandemie nahe. Es braucht in Politik und Gesellschaft Einzelne oder Gruppen, die sie beenden wollen. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ende von Pandemien umstritten sein kann.
Aus historischer Sicht dürfte Covid kein klares Ende finden. Die Politisierung von Covid lässt sich als Übergangsphase interpretieren, in der die Pandemie durch die Politik sozusagen normalisiert wird. Wenn die Normalisierung mit dem weiteren Rückgang der Fallzahlen zusammenfällt, könnte es zu einem Ende der Pandemie kommen. Aber ähnlich wie bei der saisonalen Grippe kann das bei Covid bedeuten, dass die Krankheit ihren Charakter ändert und zu einer ständigen Herausforderung für unser Gesundheitswesen wird.»
«Ob Corona für mich vorbei ist, interessiert das Virus leider nicht. Die Pandemie ist ein Marker in der Zeitrechnung, es wird fortan in «before Corona» und «after Corona» gerechnet, wobei man «after» durchaus als Synonym für den Darmausgang verstehen darf. Denn Corona ist tatsächlich ein hinterhältiges Füdliloch. Wie jenes trennt es das Innen vom Aussen, bei Aerosolen, bei Restaurants, bei privaten Treffen. So gesehen, wäre Aussengastro nur ein anderes Wort für Hämorrhoiden.
Ein wirkliches Nach-Corona wird es wohl nicht geben. Wie die Wortspiele zeigen, werden wir im Sinn der Skeptikerinnen und Kritiker lernen müssen, mit Corona zu leben. Weitere Pandemien werden folgen. Das ist die Kehrseite der weltweiten Mobilität. Es gibt keine Globuli gegen Globalisierung, höchstens ein Vakzin für den glimpflichen Ausgang. Mir bleibt der Galgenhumor: Je tragischer die Situation, desto nötiger scheint er. Auch dafür ist ein Darmausgang gut: aufgestauten Mist pointiert abzulassen??»
«Die Pandemie ist dann vorbei, wenn wir uns gegenseitig nicht mehr als Bedrohung wahrnehmen. Wenn sich genug Menschen impfen lassen und keine Mutanten auftauchen, die die Impfung unterlaufen, dann wird es sich in Europa vielleicht schon im Herbst so anfühlen.
Ich fürchte nur, dass wir vergessen, dass die Pandemie in den Ländern des globalen Südens noch lange nicht vorbei ist. Dass wir plötzlich nur noch von einer Epidemie sprechen werden und wir das Interesse daran verlieren, dass alle geimpft werden können. Das darf nicht passieren.»
«Aus wirtschaftlicher Sicht beginnt das Ende der Pandemie an deren erstem Tag. Ab diesem Zeitpunkt berücksichtigen die Menschen und die Firmen die Gefahr der neuen Krankheit und behördliche Einschränkungen bei all ihren privaten und geschäftlichen Aktivitäten.
In der Not passen wir uns alle an. Es entstehen neue Produkte, neue Prozesse und neue Formen der Zusammenarbeit; die meisten werden über die Pandemie hinaus bestehen bleiben. So tief und einschneidend der wirtschaftliche Einbruch wegen Sars-CoV-2 war, die Daten zeigen, dass sich die Schweiz und die meisten anderen Länder schneller, robuster und dauerhafter erholen als nach der Finanzkrise.
Auch deshalb, weil - anders als in der Finanzkrise - die Bedrohung diesmal nicht aus der (Finanz-)Wirtschaft selber kam. In vollen Schwung kommen Wirtschaft und Gesellschaft allerdings erst, wenn auch das Virus unter Kontrolle ist.»
«Objektiv: Wenn das Virus regional und global unter Kontrolle gebracht ist, sodass gelegentliche lokale Ausbrüche rasch eingedämmt werden können.
Subjektiv: (a) Wenn im Kopf die Warnsirene der Abstandsregeln nicht mehr gleich losheult, sobald soziale Kontakte sich normalisieren und wieder Nähe zu den Mitmenschen zulassen. (b) Wenn all die Freiheitsbeschränkungen aufgehoben sind, die uns als selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebewesen irritiert haben.
Historisch: Wenn Covid-19 dem kollektiven Gedächtnis einverleibt ist - als Ereignis einer weltweiten gesundheitlichen Bedrohung, die Millionen Opfer gefordert hat und schliesslich erfolgreich bewältigt werden konnte - durch das Zusammenspiel medizinischer, wissenschaftlicher, gesellschaftspolitischer und individueller Diskurse, die in einem demokratischen Trial-and-Error-Verfahren die Abwehrmassnahmen problematisierten und konsensfähig machten. Vor allem aber durch Solidarität.»
«SARS-CoV-2 wird als menschliches Virus nicht mehr auszurotten sein. Es wird mit uns bleiben. Aber sobald sich die Fallzahlen weltweit stabilisieren, wird man nicht mehr von einer Pandemie sprechen. Das Virus wird dann endemisch sein wie viele andere Viren.
Eine Pandemie macht uns Sorgen, wenn sich viele Menschen anstecken können, wenn Infektionen die Gesundheit schädigen. In der Schweiz wird diese Gefahr dank der hochwirksamen Impfstoffe nach und nach gebannt. Aber wir müssen uns auf die Möglichkeit vorbereiten, dass Varianten entstehen, die den Impfschutz umgehen. Impfstoffe kann man anpassen, aber es wird ein Wettrennen mit der Zeit sein. Wer sich gut vorbereitet und schnell reagiert, den wird es weniger hart treffen.
Weltweit ist die Pandemie noch nicht zu Ende. Die Impfraten sind in sehr vielen Ländern viel zu tief. Je mehr Infektionen es gibt, desto häufiger entstehen neue Varianten. Sie können sich in kürzester Zeit verbreiten. Es ist in unser aller Interesse, mit Impfungen die Pandemie weltweit so schnell wie möglich zu beenden.»
«?Vorbei? im Sinn von ?wieder wie früher? wird es wohl nie sein. Und das ist okay. Die Pandemie wird Spuren hinterlassen. Im Bewusstsein, im Denken, im Verhalten. Auch wenn wir dieses bestimmte Virus halbwegs unter Kontrolle bekommen und die Restriktionen wieder lockern können, werden wir nicht so schnell vergessen, was es angerichtet hat. Mit den Folgen werden wir noch lange zu tun haben. Ich meine damit nicht nur die immer neuen Varianten, die uns immer wieder neu verunsichern, die Spätfolgen der eigentlichen Erkrankung, die wir noch nicht wirklich einschätzen können, oder die wirtschaftlichen Konsequenzen.
Mich interessiert vor allem der zwischenmenschliche Aspekt. Die Pandemie hat eine Unversöhnlichkeit in uns geweckt, die ich so nicht kannte und mir fast mehr Angst macht als das Virus selbst. Ich frage mich, ob wir wieder zu einem grosszügigeren Umgang miteinander finden werden. Ob sich die Fronten, die in den letzten fünfzehn Monaten aufs Unerträgliche verhärtet sind, wieder aufweichen. Ob wir einander unsere unterschiedlichen Haltungen verzeihen können.»
«Die Coronapandemie ist vorbei, wenn der Bundesrat feststellt, dass die Krankheit durch die normalerweise zuständigen Behörden und Einrichtungen des Gesundheitswesens bekämpft werden kann und die Covid-19-Verordnung aufhebt.
Das kann er auf der Grundlage der Beurteilungen der Covid-19-Taskforce, des BAG und anderer Fachorgane sowie unter Berücksichtigung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aspekte aus eigener Initiative tun. Die Bundesversammlung kann ihn beauftragen, einen solchen Beschluss zu fassen.
Will er dem Auftrag nicht nachkommen, muss er der Bundesversammlung einen Entwurf zu einer Änderung des Epidemiengesetzes vorlegen, der vorsieht, dass die Bundesversammlung an seiner Stelle über die Aufhebung der besonderen Lage entscheidet.»
«Corona ist für mich und Krokus dann vorbei, wenn wir unsere 2019 begonnene ?Adios Amigos?-Tournee beenden können. Wir rechnen mit 2022 oder 2023 und können nur hoffen, dass unsere Schutzengel weiterhin einen guten Job machen. Klar auch: Dieser Covid-Spielverderber wird gehen, aber neue werden kommen.
Ich bin in einer Lebensphase, wo die Zeit immer kostbarer wird und man sich wie ein Kind auf jeden Sommer freut. Covid hatte durchaus positive Seiten. Weniger Hektik, es entstand ein ?Slow down?, man kam zur Ruhe und konnte sich um Dinge kümmern, die sonst vernachlässigt wurden. Weniger erfreulich fand ich eine gewisse mediale Berichterstattung. Zu viel Panik und Schaumschlägerei, mit fragwürdigen Zahlen, Statistiken und Thesen. Einfache Hinterfrager (nicht Leugner) wurden sofort in die Verschwörungs- oder Aluhut-Ecke abgeschoben. Das förderte Spaltung und Feindschaft anstatt Zusammenhalt und Frieden.
Mögen Politiker, Medien und Citoyens aus diesen Jahren gelernt haben. Pandemie als Chance.» (aargauerzeitung.ch)